Julian und ich verbrachten den Rest der Fahrt schweigend. Keiner von uns schien zu wissen, was er in diesem Augenblick sagen sollte. Ich versuchte, die Gedanken, die in meinem Kopf umherschwirrten, zu ordnen. Warum hatte Julian mich geküsst? Hatte das etwas zu bedeuten oder war es wirklich nur ein Ausrutscher - dem Alkohol geschuldet? Was war mit Rebecca? Hunderte von Fragen, aber ich kam zu keiner befriedigenden Antwort.
Draußen verabschiedeten wir uns wie gewohnt mit einer Umarmung. Anschließend blieb Julian unsicher vor mir stehen. "Ich wollte noch mal sagen, dass es mir leid tut, wegen eben. Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe... Wahrscheinlich habe ich gar nicht gedacht." Ich versuchte mich an einem Lächeln. "Ist schon okay, mach dir keinen Kopf!" "Danke Julie!" "Kein Problem! Danke fürs nach Hause bringen, ich hoffe, du kommst selbst noch gut Heim." Er nickte. "Bestimmt. Also dann", er hob seine Hand zum Gruß und entfernte sich langsam. "Bis dann!"
Natürlich war meine Coolness nur Fassade. In Wirklichkeit war ich völlig durch den Wind und so kam ich wenig später ziemlich durcheinander Zuhause an. Drinnen war alles dunkel, Elisa schien also zum Glück bereits zu schlafen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, Julian zu küssen? Er war vergeben und obendrein mittlerweile so etwas wie mein bester Freund. Ich wollte ihn nicht verlieren. „Fuck", zischte ich und es kostete mich alle Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. Leise zog ich Schuhe und Jacke aus, ging erst einmal ins Wohnzimmer und legte das Päckchen von Valentin vor mir auf den Tisch. Noch war ich viel zu aufgewühlt zum Schlafen. Eine Weile starrte ich einfach ins Leere und hing meinen wirren Gedanken nach. Ob Julian doch Gefühle für mich hatte? Vielleicht nahm er es mit der Treue ja auch nicht so genau. Mir kam das Gespräch zwischen ihm und Valentin wieder in den Sinn, welches ich damals in Valentins Wohnung belauscht hatte. Vermutlich kam ich nicht darum herum, doch noch einmal mit Julian zu sprechen, wenn ich Antworten auf meine Fragen haben wollte.
Irgendwann fiel mein Blick wieder auf das Geschenk, das noch immer ungeöffnet vor mir auf dem Tisch lag. Es war sogar in Weihnachtspapier eingepackt. Ich atmete tief durch, nahm es vom Tisch und riss es vorsichtig auf. Ein wenig hatte ich Angst vor dem, was mich wohl erwarten würde, womöglich war es irgendetwas fieses. Schließlich kam allerdings der Kapuzenpullover zum Vorschein, der mir vor einigen Wochen so gut an Valentin gefallen hatte. Anscheinend hatte er Wort gehalten und mir den gleichen besorgt - sogar in der richtigen Größe. Ich hielt ihn probeweise an meinen Körper, dabei fiel etwas zu Boden. Ich hob es auf. Es war ein Bild von Val und mir, als wir mit Manu im Club gewesen waren. Ich mochte es, wir sahen glücklich aus, mein Kopf an seine Schulter gelehnt grinsten wir beide in die Kamera. Ich drehte das Foto herum. „Frohe Weihnachten, Spaßbremse 😉", war mit schwarzem Edding darauf geschrieben. Ich seufzte und fühlte mich nun noch schlechter. Wie bescheuert konnte man sein? Valentin gab sich Mühe mit meinem Geschenk und ich machte mit seinem vergebenen Bruder herum. Allerdings war Valentin heute schon wieder den ganzen Abend über seltsam distanziert mir gegenüber gewesen und ich wurde einfach nicht schlau aus seinem Verhalten. Wieso hatte er mir das Geschenk nicht einfach früher gegeben?
Nach einer Weile gelangte ich zu dem Schluss, dass ich auf diese Weise vermutlich keine Antworten auf meine Fragen finden würde, ich musste morgen mit Julian und auch mit Valentin sprechen. Seufzend nahm ich das Geschenk und ging erst einmal zu Bett.
Es war schon beinahe Mittag, als ich wach wurde und ich war kein bisschen schlauer als in der Nacht zuvor. Mein Handy zeigte allerdings bereits einen verpassten Anruf von Julian an. Verwundert setzte ich mich auf und versuchte, richtig wach zu werden, bevor ich ihn zurückrief. Er ging ziemlich schnell ran. "Hey, du hast versucht mich anzurufen", sagte ich. "Ja, Hi." "Was gibt's?" "Ich wollte noch mal wegen letzter Nacht mit dir sprechen", begann er. "Schieß los!" "Ich habe keine Ahnung, was mit mir los war. Ich glaube, ich hatte viel zu viel getrunken, dann habe ich irgendwie deine Aussage falsch interpretiert oder vielleicht auch nicht, jedenfalls wollte ich dich nicht einfach küssen. Und du weißt ja auch, dass ich eine Freundin habe, die mir sehr viel bedeutet. Du bist aber auch eine wichtige Person für mich und ich möchte einfach nicht, dass das zwischen uns steht", erklärte er und klang dabei ziemlich durcheinander. Ich versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. "Schon gut. Meine Aussage war wirklich rein freundschaftlich gemeint und ich möchte auch nicht, dass dieser blöde Kuss zwischen uns steht. Wollen wir es nicht einfach vergessen?" Fragte ich. Ich hatte das Gefühl, durchs Telefon hören zu können, wie Julian ein Stein vom Herzen fiel. "Okay! Du sagst Rebecca doch nichts, oder?" "Nein, natürlich nicht, versprochen!" "Danke Julie, du bist ein Schatz! Also... rein freundschaftlich meine ich!" Ich seufzte und hoffte einfach, dass dieser Kuss jetzt nicht doch unsere Freundschaft ruinierte. "Ich weiß", meinte ich nur.
Nach dem Telefonat stand ich auf, zog kurzentschlossen den Pullover von Valentin über und tapste dann in die Küche, wo ich auf Elisa traf. "Spät geworden gestern?" Fragte sie. "Es geht." "Kaffee?" "Gerne." Elisa schenkte mir Kaffee ein und ich ließ mich ihr gegenüber auf einen Stuhl fallen. „Wo hast du denn den coolen Pullover her? Ich wollte den auch haben, aber der ist doch überall ausverkauft", meinte sie. „Hat mir ein Kumpel geschenkt", erklärte ich. „Krass, die sind total beliebt und nicht gerade günstig", sagte Elisa. „Ich glaube, er kennt die Designerin", erklärte ich und fühlte mich schon wieder schäbig. „Wow, meinst du, er kann mir auch einen besorgen? Ich bezahle ihn natürlich auch!" „Ich frage ihn, aber er ist gerade etwas schwierig", antwortete ich ehrlich. „Oh, okay. Aber ihr seid nicht zusammen oder so?" „Nein! Ich sage doch, er ist ein Kumpel." "Ja, schon gut. Vielleicht rauft ihr euch ja wieder zusammen", meinte sie. "Vielleicht", murmelte ich nur und trank einen Schluck Kaffee.
Später machte ich ein Foto in meinem neuen Hoodie und schickte es an Valentin. "Danke für den Pullover! Passt perfekt, würde ich sagen :-)", schrieb ich. Es dauerte ein wenig, bis er antwortete, aber am Abend kam dann doch eine Antwort: "Nichts zu danken! Sieht gut aus :-)". Jetzt war er also plötzlich wieder nett? Ich wurde einfach nicht schlau aus diesem Menschen. Ob er womöglich noch mit mir gesprochen hätte, wenn ich länger auf der Party geblieben wäre? Andererseits war das eher unwahrscheinlich, so betrunken wie alle bereits gewesen waren. "Was machst du so?" Fragte ich. "Bürokram, ich muss demnächst auf Promo-Tour für meinen neuen Film und dafür muss noch einiges organisiert werden. Und du so?" "Du bist ja ziemlich beschäftigt, ich wusste gar nicht, dass ein neuer Film kommt! Ich muss auch gleich arbeiten!" "Der Film startet übernächste Woche. Viel Spaß bei der Arbeit," schrieb Valentin. Ich legte das Handy zur Seite und machte mich fertig für die Arbeit.
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Neonliebe
Romanzi rosa / ChickLit"Du bist so langweilig", raunte Valentin mir zu. „Langweilig, ich?" Er lehnte sich zurück und stützte sich auf seinen Unterarmen ab, während er mich provokant ansah. „Du bist der Inbegriff von Langeweile." Wie mir dieser Typ und seine Überheblichkei...