Eine gute Woche war vergangen, seitdem Valentin aufgebrochen war - und ich hatte kein Wort mehr von ihm gehört, was mich zugegebenermaßen ein wenig traurig machte. Andererseits hatte ich auch nichts anderes erwartet. Ab und an sah ich ihn im Fernsehen oder, wie heute, in einer Zeitung, die Elisa aus irgendeinem anderen Grund gekauft hatte und die jetzt ausgebreitet vor mir auf dem Küchentisch lag:
Valentin Löwenstein - das Enfant terrible unter den deutschen Schauspielern
Der älteste Sohn von Magnus Löwenstein (50) ist vieles, aber niemals brav und angepasst. In Mainstream-Filmen sucht man den rebellischen Schauspieler meist vergebens. So ist es kein Wunder, dass auch sein neuester Film "Niemals Leise" an die Grenzen geht. Das mag nicht jedem gefallen, aber das sei auch gar nicht sein Ziel, erklärte Valentin uns am Rande der Filmpremiere in München. In "Niemals Leise" geht es um den jungen Musiker Raven, der erst den Drogen verfällt und dann nach und nach in die Kriminalität abrutscht. Der Name des Films ist dabei Programm, immer wieder setzt man auf lauten Electro Rock, Löwenstein singt sogar selbst - und das keineswegs schlecht. Regisseur Markus Kurz erzählt die Geschichte in intensiven, dunklen, schnell wechselnden Bildern, Löwenstein spielt die Figur exzentrisch, bleibt dabei aber stets authentisch. Wer auf Psychodramen steht, sollte sich "Niemals Leise" unbedingt anschauen, wer seichte Komödien bevorzugt, wird daran hingegen wohl kaum Freude haben. Der Film läuft seit Donnerstag bundesweit in den Kinos.
Unter dem Artikel war ein Bild von Valentin in seiner Rolle abgedruckt. Ich mochte es. Es war in schwarz-weiß gehalten, Valentin war von der Seite zu sehen. Er saß mit halb geöffneter Lederjacke und Röhrenjeans auf einem Sofa und rauchte. Eigentlich könnte es auch fast ein privates Foto von ihm sein.
Ich starrte solange auf das Foto, bis es vor meinen Augen verschwamm. Irgendwann holte mich das Klingeln meines Handys zurück in die Realität - es war Julian, von dem ich ebenfalls länger nichts mehr gehört hatte. Insgeheim machte ich mir immer noch Sorgen, dass dieser unnötige Kuss unsere Freundschaft ruinierte. Jetzt nahm ich aber erst einmal das Gespräch an. "Hi", sagte er und klang gut gelaunt, was meine Laune ebenfalls ein wenig verbesserte. "Hi", antwortete ich. "Wie geht's?" "Gut soweit und dir?" "Auch. Ich habe so lange nichts mehr von dir gehört, da dachte ich, ich frage mal nach, was du so machst", erklärte er. Ich lächelte. "Das ist lieb von dir. Eigentlich mache ich nicht viel, ich arbeite am Wochenende meist im Club und informiere mich ein bisschen über andere Studiengänge." "Willst du doch wieder studieren?" Fragte er. "Ich denke darüber nach." "Cool, dann viel Erfolg bei der Suche!" "Danke. Und was machst du so?" Wollte ich wissen. "Ich hatte viel um die Ohren mit Kooperationen und so weiter", antwortete er. "Ab nächster Woche geht es endlich in den Urlaub." "Oh, wo geht es denn hin?" Fragte ich. "Auf die Malediven." "Wow, hast du es gut! Dann seid ihr ja alle unterwegs." "Ja, stimmt. Du musst in Berlin die Stellung halten." Ich seufzte. "Sieht so aus." "Wenn wir wieder zurück sind, kommt Valentin auch bald wieder, dann können wir mal wieder alle zusammen feiern gehen", schlug Julian vor. Wollte er mich damit aufheitern, weil ich als einzige hierbleiben musste? Ich zwang mich zu einem Lächeln, auch, wenn er mich sowieso nicht sehen konnte. "Das wäre schön." "Super! Ich plane das nach dem Urlaub und melde mich dann bei dir." "Ist gut. Ich wünsche euch einen wunderschönen Urlaub!" "Danke! Und du pass gut auf dich auf!" "Mache ich", murmelte ich und dann legte er auch schon auf. Die Malediven. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie geflogen, weil meine Eltern Urlaub in Deutschland bevorzugten. Mich hatte es nie sonderlich gestört, aber wenn ich so herausschaute und das graue Wetter in Berlin betrachtete, wurde ich doch ein wenig neidisch. Außerdem vermisste ich meine Freunde.
Am Abend lag ich im Bett und scrollte gedankenverloren durch Instagram. Valentin hatte ein Video in seiner Story verlinkt. Ich habe zwischendurch auch noch in einem Musikvideo mitgespielt - out now! Hatte er geschrieben und darunter einige Personen verlinkt. Ich klickte auf das Video. Harte Rockmusik erklang, die nicht unbedingt meinem üblichen Musikgeschmack entsprach. Zuerst wurde die Band beim Musizieren gezeigt, nach einigen Sekunden sah man Valentin das erste Mal kurz – halb nackt, angekettet auf einem Bett schaute er verführerisch, aber auch ein wenig beängstigend in die Kamera. Ich war jedes Mal wieder von seiner Ausdrucksstärke, aber auch von seinem Mut beeindruckt, vermutlich hätte ich mich niemals getraut, eine solche Szene zu drehen. Valentin hingegen beherrschte das Spiel mit der Kamera perfekt und ließ den Zuschauer genau das fühlen, was er fühlen sollte. Er brauchte dafür nicht einmal Worte, was aus meiner Sicht vielleicht eine seiner größten Stärken war. Dass er selbst aussah wie ein Rockstar, half in diesem Fall vermutlich auch. Anschließend gab es einen Schnitt, nun wurde eine Frau gezeigt, die eine Treppe hinauflief, in einem Zimmer traf sie auf eine zweite Frau, beide sahen aus wie Models. Langsam entkleideten die beiden Frauen sich bis auf die Unterwäsche, fingen an sich zu küssen, die Kamera schwenkte wieder auf Valentin, der noch immer angekettet war und ihnen zusah. Nacheinander stiegen die Frauen zu Valentin ins Bett und irgendwann steigerte das Ganze sich zu einer Art Orgie, die Bilder waren äußerst ästhetisch, Valentins Tattoos und die Körper der beiden Frauen wurden perfekt in Szene gesetzt. Als der Abspann lief, fühlte ich eine seltsame Mischung aus Faszination und – Eifersucht? Natürlich wusste ich, dass es lächerlich war, erstens war es sein Job und zweitens waren wir kein Paar, ich konnte also definitiv keine Ansprüche stellen. Aber ihn in einer so intimen Szene mit zwei Frauen, mit deren Schönheit ich aus meiner Sicht niemals mithalten konnte, zu sehen, war dennoch seltsam und versetzte mir einen kurzen Stich. Trotzdem schickte ich ihm einen Flammensmiley und schrieb „Ist hot geworden!" Er antwortete etwa eine halbe Stunde später mit einem einfachen "Danke :-)". Ein wenig enttäuscht ließ ich mich zurück in die Kissen sinken.
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Neonliebe
ChickLit"Du bist so langweilig", raunte Valentin mir zu. „Langweilig, ich?" Er lehnte sich zurück und stützte sich auf seinen Unterarmen ab, während er mich provokant ansah. „Du bist der Inbegriff von Langeweile." Wie mir dieser Typ und seine Überheblichkei...