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Nach diesem enttäuschenden Abend hatte ich die Clique nicht mehr gesehen, obwohl ständig irgendjemand versuchte, einen Termin zum gemeinsamen Glühwein-Trinken zu organisieren. Valentin war zu beschäftigt mit der Promotion für seinen neuen Film und Vorbereitungen auf seine nächste Rolle, Julian war ständig mit Rebecca unterwegs und ich musste andauernd arbeiten, um anschließend zwei Wochen frei nehmen zu können. 

Mittlerweile war es der 23. Dezember und ich saß im Zug, der mich nach Niedersachsen zu meinen Eltern brachte, schaute hinaus in die verschneite Landschaft und grübelte sowohl über die vergangenen Monate und meine Erlebnisse in Berlin als auch darüber, wie ich meinen Eltern beibringen sollte, dass ich mein Studium bereits vor Monaten geschmissen hatte. Ich freute mich zwar sehr, sie und meine kleine Schwester Sophie wiederzusehen, wollte aber auf keinen Fall wieder bei ihnen einziehen. Nach drei langen Stunden stieg ich aus dem Zug und blickte direkt in die erwartungsvollen Gesichter meiner Eltern. „Julie, da bist du ja", meine Mutter umarmte mich stürmisch, ich meinte sogar erkennen zu können, dass sie Tränen in den Augen hatte. Meine Mutter war ein sehr emotionaler Mensch und sie hing wahnsinnig an ihren Töchtern, schon mein Umzug nach Berlin hatte ihr fast das Herz gebrochen. „Hi Mama", murmelte ich und spürte plötzlich ein Gefühl von Geborgenheit in mir. Vielleicht hatte ich sie doch mehr vermisst als ich mir eingestehen wollte. Die Begrüßung meines Vaters fiel deutlich weniger emotional aus, er war kein Mensch der großen Worte, aber ich war mir dennoch sicher, dass auch er sich über unser Wiedersehen freute. „Wie war deine Zugfahrt?" Fragte meine Mutter, während wir uns unseren Weg vorbei an den vielen Menschen zum Parkplatz bahnten. „Ganz gut, ich hatte ein bisschen Zeit, meine Gedanken zu sortieren." Sie lächelte mitfühlend. „Es ist sicher stressig in Berlin mit deinem Studium. Jetzt wirst du erstmal verwöhnt." Mein schlechtes Gewissen meldete sich, aber dies war nicht der richtige Ort, um sie über meinen Studienabbruch zu informieren.

Das hob ich mir auf, bis wir wenig später alle gemeinsam beim Abendessen saßen. „Ich muss euch noch etwas sagen", begann ich. Alle schauten mich erwartungsvoll an. Ich holte tief Luft – jetzt oder nie. „Ich habe mein Studium abgebrochen." Die Augen meiner Mutter weiteten sich. „Was? Wieso denn das?" Ich zuckte mit den Schultern. „Ich habe mich nicht wohlgefühlt und schnell gemerkt, dass es doch nicht das richtige für mich ist. Die Leute an der Uni waren furchtbar!" „Ich habe gleich gesagt, du hättest eine Ausbildung machen sollen. Berlin und Studieren – so etwas unnötiges", schaltete mein Vater sich ein. Meine Mutter bedachte ihn mit einem strafenden Blick. „Aber was willst du denn jetzt machen?" „Momentan jobbe ich weiterhin in dem Club, in dem ich als Aushilfe angefangen habe und bewerbe mich auf Ausbildungsplätze." „In Berlin?" Fragte meine sichtlich irritierte Mutter. Von meinem Job im Club war sie ohnehin nie begeistert gewesen – viel zu gefährlich ihrer Meinung nach. „Ja, ich möchte in Berlin bleiben!" „Aber warum? Du kannst doch wieder nach Hause kommen, hier gibt es auch Ausbildungsplätze und du kannst kostenlos bei uns wohnen!" Ich seufzte. „Ich fühle mich sehr wohl in Berlin, habe dort nette Leute kennengelernt und die Stadt ist toll, nur das Studium war eben nicht das richtige für mich." „Darüber sollten wir noch einmal sprechen", meinte mein Vater. „Das können wir gerne machen, aber meine Entscheidung steht fest", erklärte ich. Schließlich beschlossen meine Eltern, das Thema auf nach Weihnachten zu vertagen, weil sie die Stimmung nicht verderben wollten und ich war froh, dass ich fürs Erste reinen Tisch gemacht hatte.

Am nächsten Tag feierte ich gemeinsam mit meinen Eltern, meiner Schwester und meinen Großeltern Heiligabend. Wir tauschten unsere Geschenke aus und aßen anschließend gemütlich zusammen. Nach dem Essen warf ich einen Blick auf mein Smartphone. Es war doch verrückt, ich hatte mich so sehr über das Wiedersehen mit meiner Familie gefreut und jetzt konnte ich an nichts anderes denken als an Julian, Valentin und Berlin, ich wollte am liebsten schnellstmöglich wieder dorthin zurück. Interessiert stellte ich fest, dass sowohl Julian als auch Valentin Videos hochgeladen hatten. Sie feierten zusammen mit ihrer Familie, Rebecca war natürlich auch dabei und ich fühlte plötzlich ein seltsames Gefühl in mir aufsteigen. War es etwa Eifersucht? So ein Schwachsinn, dachte ich und versuchte, den Gedanken möglichst weit weg zu schieben. Als ob ich jemals die Chance hätte, zu einer solchen Promi-Familie zu gehören, das war absurd. Julian hatte die Geschenke unter dem Baum gefilmt, es war ein ganzer Haufen. Kein Wunder, dass er und sein Bruder manchmal ein wenig realitätsfremd wirkten. Ich schloss die App wieder und versuchte, mich stattdessen auf meine eigene Familie zu konzentrieren.

Als ich das nächste Mal auf mein Handy schaute, hatte ich zwei Nachrichten: Eine von Julian und eine von Valentin. Verwundert las ich zuerst die von Julian: „Hey, wie geht's dir? Bist du gut Zuhause angekommen? Ich wünsche dir frohe Weihnachten mit deinen Liebsten! 😊" Ich freute mich, dass er an mich gedacht hatte, öffnete aber, bevor ich meine Antwort verfasste, erst noch die Nachricht von Valentin. Ob sie über mich gesprochen hatten? Das konnte ich mir kaum vorstellen. „Hey Spaßbremse, ich wünsche dir frohe Weihnachten mit deiner Family!" Ich lächelte und war gleichzeitig verwundert, dass er mir überhaupt geschrieben hatte. Schnell antwortete ich beiden. „Danke Blödmann, 😉 ich wünsche dir auch frohe Weihnachten! Wie ist eure Party?" und „Hey, Danke, ich wünsche euch auch frohe Weihnachten. Ich bin gut angekommen und habe bis jetzt einen schönen, ruhigen Abend mit meiner Familie. Wie ist es bei euch? LG Julie." Julian schickte mir kurz darauf ein Bild seiner kompletten Familie vor dem Weihnachtsbaum, sie alle waren festlich gekleidet und lachten fröhlich in die Kamera, nur Valentin trug mal wieder komplett schwarz und sah aus, als hätte er auf all das nicht wirklich Lust. Ein wenig wirkte er wie ein Fremdkörper in seiner bunten, durchgestylten Familie. „Nice! 😊 Aber Valentin ist wohl der Grinch :-D", schrieb ich. „Ich glaube, er hat richtig Bock auf den Geschenkemarathon gleich :-D", antwortete Julian. In der Zwischenzeit meldete sich Valentin auch selbst: „Ist ganz ok, aber gleich wollen sie die Geschenke auspacken und ich glaube, das wird ziemlich eskalieren." „Naja, du bekommst ja sicher auch etwas 😉", schrieb ich zurück. „Ja, aber den meisten Kram haben glaube ich Julian und Rebecca angeschleppt." Ich fragte mich kurz, ob sie nebeneinandersaßen und mir beide schrieben, ohne es zu wissen, aber es konnte mir ja eigentlich egal sein. 

„Juliane, ist alles in Ordnung? Du wirkst so abwesend", unterbrach mich meine Mutter. Ich legte das Handy beiseite und sah auf. „Ja, alles in Ordnung. Ich habe kurz mit Freunden aus Berlin geschrieben", erklärte ich. „Hast du dort jemanden kennengelernt?" Fragte sie. Ich winkte ab. „Nein, nicht auf romantischer Ebene!" Das entsprach durchaus der Wahrheit. 

NeonliebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt