9. Einladung

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Genervt hängte ich die gefühlt tausendste Jacke auf einen Kleiderbügel. Es war Samstagabend kurz nach Mitternacht, während andere sich vergnügten, musste ich arbeiten. Der Club war bereits ziemlich gut gefüllt und dennoch schien die Schlange vor mir kaum abzureißen. Als sich für einen kurzen Moment eine Lücke auftat, nutzte ich die Gelegenheit, mich umzudrehen und schnell etwas zu trinken.

„Na Spaßbremse!" Hörte ich plötzlich eine mir bekannte Stimme sagen. Ich zuckte zusammen, stellte die Flasche weg und drehte mich herum - nur um direkt in Valentins Gesicht zu schauen. Er sah wieder aus wie er selbst - oder wie ein Rockstar - jedenfalls trug er ein langes weißes T-Shirt, Lederjacke, Röhrenjeans, eine auffällige Kette und einen Hut, der ihm ziemlich gut stand. „Na Promi-Söhnchen", konterte ich diesmal. Er verzog die Mundwinkel zu einem Grinsen. „Wie geht's?" „Gut, hab viel zu tun. Und dir so?" Er nickte. „Auch." „Wo ist Julian?" Fragte ich, weil ich ihn nirgends entdecken konnte. Ich hatte seit Tagen nichts mehr von ihm gehört und wenn ich ehrlich war, vermisste ich ihn ein wenig. Valentin zuckte mit den Schultern. „Ich schätze Zuhause, Rebecca nimmt ihn in Beschlag. Ich bin mit zwei Kumpels hier – Manu und Flo", erklärte er und deutete auf zwei Typen hinter sich. Ich warf einen kurzen Blick auf sie, doch sie kamen mir nicht bekannt vor. Das musste allerdings nichts heißen, ich kannte mich in der Promi-Welt wahrlich nicht besonders gut aus. Einige Mädels warfen ihnen jedenfalls interessierte Blicke zu, was mich zu der Annahme verleitete, dass sie womöglich doch bekannt waren. Ich gab mir alle Mühe, trotz meiner Verwirrung lässig zu wirken. 

Hinter Valentin wurde die Schlange länger, doch ihn schien das nicht weiter zu stören. Ich wollte allerdings auf keinen Fall Ärger mit meinem Chef riskieren, schließlich brauchte ich den Job dringend. „Also, möchtest du mir deine Jacke geben?" Fragte ich deshalb. Valentin grinste, zog seine Jacke aus und reichte sie mir. „Denk dran..." „Die war teuer, schon klar", vervollständigte ich seinen Satz. Valentin zwinkerte mir zu, reichte mir auch die Jacken seiner Kumpels und gab mir dieses Mal zehn Euro. „Kannst du behalten." „Danke", murmelte ich. „Also dann, wir sehen uns", meinte er noch und verschwand anschließend gemeinsam mit den beiden anderen im Club. 

„Oh mein Gott, Valentin Löwenstein und MB Maniac", hörte ich ein Mädchen in der Schlange zu ihrer Freundin sagen. Wer? „Ja, voll krass, ob die mit uns reden?" Sie klang aufgeregt. „Wahrscheinlich nicht, hab gehört, die sind voll eingebildet", meinte ihre Freundin. Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht lachen zu müssen. „Hi, wollt ihr mir eure Jacken geben?" Fragte ich freundlich und unterbrach damit ihr Gespräch. Eine der beiden drehte sich zu mir herum und lächelte entschuldigend. „Ja klar, sorry."

Die Party war noch in vollem Gange, aber an der Garderobe war es mittlerweile ruhig, als Valentin erneut zu mir kam. „Hey", er beugte sich lässig über den Tresen. „Na." „Wie läufts?" „Ist gerade nicht so viel los hier", berichtete ich. „Wie lange musst du noch arbeiten?" „Bis der Club schließt." Er nickte. „Okay, kommst du kurz mit rein?" Ich fragte mich, was er wollte und warum er plötzlich so freundlich war. Er glaubte doch nicht, dass er mich wieder abschleppen konnte? Ob es drinnen keine Frauen gab, für die er sich interessierte? „Ich werde ja nicht fürs Feiern bezahlt", antwortete ich. Valentin grinste. „Schade eigentlich." „Ich kann gleich fragen, ob ich kurz Pause machen kann", schlug ich vor, ohne großartig darüber nachzudenken, ob ich überhaupt mit ihm hineingehen wollte. „Okay, cool." Er machte keine Anstalten, sich wegzubewegen, jetzt blieb mir wohl keine andere Wahl mehr. „Okay, warte kurz!" Ich ging nach hinten zu Carlotta. „Hey, es ist gerade nichts los, kann ich kurz Pause machen?" Fragte ich. Sie schaute von ihrem Handy auf. „Ja klar, hast du dir verdient." „Danke!" Ich lief zurück nach vorne, wo Valentin tatsächlich noch wartete. „Alles klar, ich habe Pause", erklärte ich, trat um den Tresen herum und ging gemeinsam mit Valentin ins Innere des Clubs. Hier drinnen war es unfassbar stickig und laut, es lief Techno-Musik, deren Bass so sehr drückte, dass ich das Gefühl hatte, er würde meinen Herzrhythmus beeinflussen. 

„Willst du etwas trinken?" Brüllte Valentin über die Lautstärke hinweg. „Red Bull?" Ich musste vermutlich noch ziemlich lange wach bleiben, die Party erreichte gerade erst ihren Höhepunkt. Valentin nickte und lief in Richtung der Bar. Unschlüssig blieb ich stehen und wartete, bis er zurück war. Er drückte mir die Getränkedose in die Hand. „Danke", rief ich. Er nickte und ging dann nach oben in die Lounge, ich folgte ihm. Hier war es wenigstens etwas leiser. „Jungs, das ist Julie, eine Freundin", stellte er mich vor. „Das ist Flo, und Manu kennst du ja bestimmt", meinte er dann zu mir. Verdammt, ich sollte ihn also kennen und hatte noch immer keinen blassen Schimmer, wer er war. Ich hätte Carlotta fragen sollen. Unsicher reichte ich beiden die Hand, wenigstens schienen sie nett zu sein. „Hi, setz dich doch", meinte Flo. Ich setzte mich auf einen Hocker neben Valentin. „Arbeitest du an der Garderobe?" Fragte Manu. Er hatte mich wohl vorhin gesehen. Ich nickte. „Genau, ich muss auch bald wieder zurück." Er sah mich mitfühlend an. „Das stelle ich mir auch stressig vor! Du arbeitest hier aber noch nicht lange, oder? Hab dich noch nie gesehen!" Offenbar war er öfter hier. „Nein, ich wohne erst seit Sommer in Berlin", erklärte ich. „Ah. Und wo hast du Val kennengelernt?" „Hier, als er mit Julian und ein paar anderen feiern war", berichtete ich. Manu lächelte nur. Ich musterte ihn und überlegte fieberhaft, ob ich ihn schon einmal gesehen hatte. Sein Look war auf jeden Fall außergewöhnlich, selbst für Berlin. Er hatte wilde, pink gefärbte Haare, zahlreiche Tattoos und sein Outfit bestand fast ausschließlich aus auffälligen Markenklamotten, was ich natürlich nur erkannte, weil die Labels riesengroß auf den Teilen prangten. "Und was machst du so?" Fragte ich an Flo gerichtet. Hoffentlich war der nicht auch bekannt. "Ich bin Eventmanager", antwortete er. "So habe ich die Jungs auch kennengelernt." Super, dachte ich. Lauter kreative, erfolgreiche Menschen und dazwischen - ich. "Oh, das klingt spannend. Aber musst du da nicht arbeiten am Samstagabend?" Fragte ich ihn. Hatte eigentlich jeder frei außer mir? "Meistens schon, das ist einer meiner seltenen freien Abende", erklärte Flo. Irgendwie mochte ich ihn sofort und auch Manu wirkte sympathisch, sie schienen beide offen und locker zu sein. 

„Ich gehe eine Rauchen, willst du mit?" Unterbrach Valentin das Gespräch irgendwann. „Ja, ich geh' mit." Ich stand auf und folgte ihm in den Außenbereich, es war in den letzten Tagen wahnsinnig kalt geworden, ich fühlte mich wie schockgefrostet. „Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, wer Manu ist", gab ich zu, während ich frierend von einem Bein auf das andere trat und Valentin beim Rauchen zusah. Der grinste. „Er ist DJ und Produzent, ziemlich angesagt momentan." „Aha." Er zog erneut an seiner Zigarette und pustete den Rauch in die kalte Nachtluft. Selbst dabei sah er irgendwie besonders aus. "Ich glaube, er legt nächstes Wochenende hier in Berlin auf, du kannst ja mitkommen." Ich war verwundert. "Hast du gerade ernsthaft die Spaßbremse eingeladen?" Valentin zuckte mit den Schultern. "Sieht ganz so aus." Lernte ich jetzt etwa doch noch seine nette Seite kennen? "Wie viel Alkohol hast du getrunken?" "Ich kann noch klar denken." "Dann ist ja gut." Er nickte und drückte die Zigarette aus. "Ich muss jetzt auch wieder arbeiten", meinte ich beim Reingehen. "Alles klar. Ich denke, wir werden auch noch weiterziehen. Ich frage Manu, wann er auflegt und schicke dir die Infos!" Er wollte mich also tatsächlich mitnehmen? Ich stimmte erst einmal zu und war gespannt, ob er sich wirklich bei mir melden würde. 

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