Schuss 1

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"Kora, Videobeweis!", ruft mich mein Kollege und ich setze mir kompliziert mit einer Hand mein Headset auf. Ich halte meinen Neffen im Arm, der gerade aus seiner Flasche trinkt. Ich gehe gestresst zu den Bildschirmen und beobachtet genau die Bilder. "Abseits oder kein Abseits?", fragt mich Henri. Ich stoppe wieder die Szene und schüttele mit dem Kopf. "Was hängt davon ab?", murmele ich. "Ein 3:2 für Dortmund.", seitdem meine Schwester ihren Sohn bekommen hat und meine Mutter im Krankenhaus liegt, bekomme ich gar nichts mehr von der Bundesliga mit.

Ich liebe Fußball. Es ist meine Leidenschaft, auch wenn ich selbst nie als Profi Fußballerin spielen konnte, weil ich als Jugendliche einen schweren Kreuzbandriss hatte. Ich trage immer noch Folgen davon. Immer noch muss ich zum Therapeuten. Deshalb entschied ich mich nach der Schule mein Hobby weiterzuleben und arbeite nun als Videoassistentin. Das mache ich jetzt schon seit 6 Jahren. Ich habe es auch mal als Linienrichterin versucht, aber ich wurde nie in dieser Männerdomäne akzeptiert. Ich könnte mich durchsetzen, aber ich wollte es nicht.

"DFB Pokal Finale...", hängt Henri noch dran. Ich nicke und schaue mir die Szene nochmal an. "Kein Abseits, aber ich kann auch nicht sagen, ob er den Ball berührt hat. Gib das so durch.", sage ich und lasse mich wieder auf die Couch fallen. Ich bin die oberste Kraft und stelle das Endergebnis unserer Erkenntnis fest, aber heute weiß Henri, dass ich nicht wirklich entscheiden kann. Deshalb entscheidet er doch selbst. Gott sei Dank ist mein Chef die nächsten Wochen im Urlaub. Wenn er das Baby hier sehen würde, dann könnte ich gleich meine Sachen packen. Mein ganzes Team steht hinter mir und keiner würde mich verpfeifen, aber es ist echt Stress pur. "Gut, Spiel läuft wieder.", murmelt Henri und zieht sich eine Seite seines Headsets runter. "Wann willst du dir endlich Hilfe vom Jugendamt holen?", fragt er dann mit einem mitleidigen Blick. "Wie oft den noch Henri? Meine Mutter ist bald wieder fit und dann bin ich ihn wieder los. Meine Mutter würde mich hassen.", sage ich überzeugt. "Es geht hier nicht um deine Mutter, sondern um die Mutter dieses Kindes. Deine eigene Schwester. Sie ist nur am saufen, macht sich ein buntes Leben und ihr kümmert euch andauernd um Jonas. Was ist den wenn deine Mutter nicht so schnell wieder fit ist? So eine Fußop kann auch mal länger dauern, bis komplett alles in Ordnung ist. Der Chef kommt in 3 Wochen wieder, wo soll er dann hin? ", fragt er und schaut mich nun kritisch an. "Hör auf sowas zu sagen. Mama geht es schon viel besser." "Du verlierst wegen deiner deperten Schwester noch deinen Job.", mault er und dreht sich wieder zu den Bildschirmen. "Sie ist nicht depert. Sie ist einfach nur jung.", verteidige ich meine Schwester Sophie. "Also ich habe mich nicht so aufgeführt wie sie und du dich auch nicht.", dreht er sich nochmal um und schaut entschuldigend. "Sorry, aber langsam kann ich nichts mehr anders denken.", er nimmt den Kleinen und füttert ihn zu Ende. Jonas gluckst zufrieden. Henri ist nicht nur mein Kollege, sondern auch einer meiner besten Freunde und ich muss ihm leider recht geben. Nur leider kann ich Mama das nicht antun. Sie empfindet zuviel für den Kleinen und sie möchte nicht, dass er zwischen Jugendamt und Familienstress aufwächst. Es reicht schon Familienstress, sagt sie immer. Meine Schwester und ich sind von Mama alleine aufgezogen worden und sie weint fast jeden Tag darüber, dass sie nicht genug auf Sophie aufgepasst hat und ihrem Kind jetzt genau dasselbe passiert.

Ich packe das schon, die restlichen Tage. Mama kommt bald wieder auf die Beine und dann kann sie sich wieder um ihn kümmern. Sie fühlt sich schuldig Jonas gegenüber und kümmert sich gerne um ihn, als Entschuldigung. Ich schaue auf den Bildschirm und beobachte meinen Lieblingsverein FC Bayern. Gnabry will gerade ein Tor schießen, wird aber total fies gefoult, von einem Stürmer. Der kommt mir nicht bekannt vor bei Dortmund und ich schaue den Schönling genau an. Er diskutiert mit dem Schiri und versucht ihm die gelbe Karte und den Elfmeter auszureden. "Der denkt auch, er darf alles, nur weil er gut aussieht.", murmle ich angesäuert. Gegen meine Lieblingsmannschaft kenne ich nichts. Nicht besonders gut in meinem Beruf, aber schlussendlich entscheide ich trotzdem fair. "Das ist Julian Brandt. Der ist neu bei Dortmund. Ist schon ein Schnuggel. Vor allem so verschwitzt.", grinst Henri neben mir und lässt Jonas gerade ein Bäuerchen machen. Henri hatte genau dasselbe Schicksal wie ich. Er wurde auch nicht in der Männerdömene akzeptiert, weil er schwul ist. Vielleicht sind wir deshalb so gut befreundet.

Die Bayern bekommen ihren Elfmeter und Müller trifft sicher. Somit steht es am Ende der 90 Minuten 3 zu 3. Sie gehen alle etwas trinken und ich beäuge den BVB genau. Dieser Julian sieht wirklich gut aus. So normal und bodenständig. Nicht abgehoben und alles perfekt gestylt. "Leider steht er auf Frauen.", sagt Henri noch neben mir. "Woher weißt du das?", frage ich belustigt. Er zuckt mit den Schultern. Ich klicke die Kameras durch und stoppe bei einer Großaufnahme von Julian Brandt. Ich beäuge ihn wieder.

Als ich immer noch auf den Bildschirm starre als wieder angepfiffen wird, stößt mich Henri an. "Ey, Julian spielt schon wieder.", lacht er. Ich schaue ihn verständnislos an. "Ich habe doch nicht auf Julian Brandt geachtet.", stelle ich fest. "Der ist vom BVB.", lache ich abfällig. Als ich eine eindringliche Stimme auf meinem Ohr höre, reagiere ich und antworte. "Ja, ich schaue nach.", ich klicke mich durch die Kameras und stelle den nächsten Foul fest. Ich gebe es durch und lehne mich dann wieder zurück und konzentriere mich wieder aufs Spiel und auf meine Arbeit. Nach der halben Stunde extra Spielzeit, ist kein weiteres Tor gefallen und die Jungs bereiten sich aufs Elfmeterschießen vor.

Das Spiel ist sehr spannend und ich verfluche meine Schwester heute Abend, dass ich das Spiel nicht von Anfang an gucken konnte. Das erste Tor macht Müller, beim BVB Reus. Die nächsten zwei Tore werden verschossen und ich bekomme gleich Schweißausbrüche. Als das dritte Tor wieder verschossen wird und Julian Brandt beim BVB Antritt, weiß ich das der DFB Pokal ihnen gehört. Julian trifft und ich bemerke sofort eine Wut auf ihn. Bayern verliert gegen den BVB. Henri grinst neben mir und ich verschränke sauer die Arme. Dortmund feiert auf dem Rasen und die gelbe Wand bejubelt die Jungs und den letzten Torschützen Julian Brandt.

Foul! - Julian Brandt Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt