„Das ist ganz einfach.", sagt eine Stimme, die ich seit Jahren nicht mehr gehört habe, „Das ist Lilli."
*
Ich bin kein Mensch, mit dem man reden kann. Das war ich noch nie.
Wenn man es genau nimmt, will und mache ich es auch nicht. Ich bin nicht krank oder gestört, ich habe nur kein Bedürfnis zu reden. Gut, vielleicht hält mein Vater mich für verrückt, sowie die ganze restliche Welt, aber ich weiß es besser.In meinem Leben gab es nur eine Person, mit der ich gern geredet habe, und die ist schon vor Ewigkeiten weggezogen. Ich war damals 7 und sie 9.
Vanessa war cool, vermutlich ist sie das heute auch noch. Sie hat für Fußball gelebt und schon von klein auf wollte sie die erste Frau in der Männernationalmanschaft sein. Wenn sie mal den Ball auf die Seite gelegt hat, dann wegen mir. Ich bin nicht nur nicht an Fußball interessiert, sondern besitze auch kein großes Talent in sportlichen Dingen.Als sie weggezogen ist hatten wir noch Kontakt. Wir haben jeden Tag telefoniert, jeden verdammten Tag. Eines Tages erzählte sie mir von einer Fußballmannschaft, der sie beigetreten ist. Von diesem Tag an ging es nur noch um das. Der Höflichkeitshalber hat man nach meinem Wohlbefinden gefragt, mehr nicht. Meine einzige Beteiligung an unseren Telefonaten waren von dort an nur noch Brummen, gefälschte Begeisterung und Nicken, was sie so oder so nicht sehen konnte. Aus unseren täglichen Telefonaten, wurden wöchentliche, dann monatliche und schließlich ging nur noch ihre Großmutter dran, um mir zu sagen, dass Vanessa mit den sogenannten Wilden Kerlen unterwegs war. Ich habe nicht mehr versucht sie zu erreichen.
Es sind einige Jahre vergangen. Ich bin nun fünfzehn und sitze in einem Auto, das mich geradewegs ins Unglück befördert. Mein Vater meint, es wäre Zeit für eine Veränderung, meine Mutter sagt, es ist Zeit für neue Abenteuer. Beides ist gelogen. Wir brauchen keine Veränderung und unser Leben wird immer langweilig bleiben. Nur weil meine Eltern hoffen, dass ich in einer neuen Umgebung anfangen werde mich zu verändern, heißt das noch lange nicht, dass es stimmt. Trotzdem habe ich nichts dazu gesagt.
Ich habe es stillschweigend hingenommen, habe meine Sachen gepackt und bin ins Auto gestiegen. So wie es von mir verlangt wurde.Und das dankt man mir, indem man Schlager anmacht. Helene Fischer singt feuchtfröhlich ihren Müll vor sich her und meine Mutter, die glaubt, sie könne singen, krächzt mit. Meine rettenden Kopfhörer liegen im Kofferraum.
Besser wurde es auch nicht. Als wir in Grünwald angekommen sind, ging es nur noch weiter Berg ab. Auch als meine Mutter mir stolz mein Zimmer präsentieren will, hebt sich meine Laune nicht.
„Ist es nicht schön?", fragt sie und lächelt mich an.
Meine Mutter sieht immer in allem das positive. Sie versucht immer wieder ein Gespräch mit mir aufzubauen, das ich aber nie zulasse.
Ich bin vielleicht nicht gestört, aber ich habe nie behauptet kein Arschloch zu sein. Ich gebe keine Reaktion von mir.„Du wirst dich schon noch einleben.", sagt sie und lächelt mir zu. Nachdem sie mir einen Kuss auf die Stirn gegeben hat, geht sie. Und ich stehe nun alleine in der, von mir selbst erklärten, Hölle. Mein Vater trägt den ersten Karton hoch und nachdem er den Dritten hochgetragen hat, erklärt er mir, dass ich auch ruhig mithelfen könnte. „Dafür muss man nicht reden, weißt du?", sagt er und läuft die Treppen runter. Danke Papa, das ist mir neu.
„Wir gehen Einkaufen.", verkündet meine Mutter, nachdem wir alle Kartons rein geschleppt haben und mit wir meine ich meinen Vater und mich. Meine Mutter hat in Ruhe unsere neuen Nachbarn spioniert. Rechts von uns sind komisch, die links von uns scheinen in Ordnung zu sein. Die, die gegenüber wohnen, hingegen sind entzückend. Deren Nachbarn sind allerdings alles andere als entzückend. Aber meine Mutter wird schon etwas finden, weshalb sie diese Leute mag. Meine Mutter findet immer einen Grund.
„Hier, dein Hausschlüssel.", Papa wirft mir den besagten Schlüssel zu. Ich ducke mich und der Schlüssel landet hinter mir auf den Boden. „Schau du dich doch mal in der Gegend um. Wer weiß, vielleicht findest du neue Freunde.", sagt meine Mum. Beinahe hätte ich gelacht, als sie neue Freunde gesagt hat. Als hätte ich in den letzten Jahren Freunde gehabt.Dennoch befolge ich ihren Rat und laufe durch Grünwald. Im Endeffekt stellt sich raus, dass das allerdings eine verdammt miese Idee war. Ich, die von sich selbst weiß, dass sie keine gute Orientierung hat, kam auf die Idee im Wald spazieren zu gehen. Mittlerweile laufe ich seit gut einer Stunde im Wald umher. Trotz der Tatsache, dass ich mich verlaufen habe, gefällt es mir. Es ist still und ich bin allein. Aus den Blätterdach strahlen vereinzelt Sonnenstrahlen auf den Boden herab und lassen den Wald irgendwie besonders erstrahlen. Ich laufe immer weiter gerade aus und finde wieder auf einen Weg, den ich entlang gehe. Ich bestaune die Blumen und die Blätter, die blühen und genieße die angenehme Wärme. Es ist Sommer, aber hier kann man es aushalten.
Ich achte nicht auf die Geräusche. Nur nebenbei erkenne ich Vogelgezwitscher und das Rascheln der Bäume, aber auch das blende ich nach einer Zeit aus. Und so merke ich auch nicht, als plötzlich ein Mädchen neben mich tritt. „Buh.", sagt sie und ich schrecke auf Seite. Verdutzt sehe ich das Mädchen an. Sie fängt an zu lachen und beugt sich, den Bauch haltend, nach vorne. „Du bist aber leicht zu erschrecken.", grinst sie und schiebt ihre braunen, zerzausten Haare aus dem Gesicht. Ihr Gesicht ist leicht gerötet und auf ihrer Stirn glitzert leicht der Schweiß, als wäre sie gerannt. Dann wird sie ernst und ihre braunen Kinderaugen durchlöchern mich. Ihr, so wie ich sie einschätze, sollte man wohl besser nicht sagen, dass sie Kinderaugen hat. Nicht dass ich das vorgehabt hätte. „Ich habe dich noch nie hier gesehen.", stellt sie fest und mustert mich. „Mhh. Irgendwie siehst du nicht so aus, als würdest du von hier kommen.", stellt sie fest. Ob sie mit sich selbst redet, oder mit mir, kann ich nicht sagen.
Nachdem ich mich von meinem Schock erholt habe, gehe ich weiter. „He, warte mal.", ruft sie mir hinterher. Dann plötzlich läuft sie neben mir her. „Das war ja nicht böse gemeint. Das war mehr so eine Feststellung, weißt du?", redet sie weiter. Und dann redet sie immer weiter und weiter. Erklärt mir, warum ich hier nicht reinpasse und verteidigt sich und ihre Meinung, obwohl ich nichts gesagt habe, noch sie darum gebeten habe. „Du redest nicht viel.", stellt sie fest. Als ich zu ihr schaue, blickt sie nachdenklich auf den Boden.
„Hier bist du ja. Man Klette, ich habe dich überall gesucht.", dringt plötzlich eine weitere Stimme auf. Klette schaut auf, ich sehe ihr nach und sehe einen Jungen, der mich verwirrt ansieht. Augenblicklich frage ich mich, ob hier ein Kindergarten unterwegs ist. Aber dafür sind die beiden zu alt. „Wer ist das?", fragt der Junge. Er klingt ziemlich herablassend für sein Alter, vorfallen für sein Alter.
Klette neben mir zuckt mit ihren Schultern, „Weiß ich nicht. Sie redet nicht viel."
Der Junge inspiziert mich genau, sein Blick wird kein wenig freundlicher. Ein Grinsen kann ich mir nicht verkneifen. So wie er mich ansieht, sieht er nervig süß aus.
„Und wer bist du?", fragt er.Noch bevor ich hätte was sagen können, schreit eine Stimme in unserer Nähe „Achtung!"
Mein Blick richtet sich in die Richtung, aus der die Stimme kam, und sehe wie ein schwarzer Ball auf mich zu geflogen kommt. Die Geschwindigkeit scheint schneller als der Schall. Ich reiße meine Augen auf und befürchte, dass ich nichtmal Zeit haben werde mich auf das gefasst zu machen, was mich erwarten wird. Der Ball wird genau mein Gesicht treffen. Aber er kommt nicht an. Stattdessen nehme ich einen dumpfen Aufprall auf dem Boden wahr, gefolgt von mehreren leiseren. Der Ball prallt mehrmals auf den Boden auf, bevor ein Fuß ihn zum ruhen bringt. Vor mir liegt ein Junge auf dem Boden und schaut in die Richtung aus dem der Ball kam. „Guter Schuss, Maxi. Aber achte doch beim nächsten mal darauf, dass du keine Mädchen abschießt.", sagt eine Person, die gerade zwischen den Bäumen auftaucht. Dieser Person folgen weitere Personen. Auch dieser Maxi, der sich verlegen am Kopf kratzt.
Woher um alles in der Welt, kommen all diese Menschen? Vor nichtmal einer Viertelstunde habe ich die Ruhe im Wald genossen und bin nun umringt von Jugendlichen und Kindern, die, als wäre es nicht schon schlimm genug, dass ich ihnen begegnet bin, anscheinend auch noch Fußball spielen.Der, der mich vor der Todeskugel gerettet hat, erhebt sich und klopft dann den Dreck von deiner Kleidung ab. Vergeblich.
„Sorry, ich hab euch nicht gesehen.", entschuldigt sich dieser Maxi. Ich nicke nur knapp und wende mich zum gehen. Ich gehe in die entgegensetze Richtung. Meine einzige Hoffnung ist, dass sich dort die erste Hölle befindet. Grünwald.
„Hey warte. Du hast immer noch nicht unsere Frage beantwortet.", ruft Klette mit nach.
„Ja, wer bist du?", ruft nun der Junge.
„Das ist ganz einfach.", sagt eine Stimme, die ich seit Jahren nicht mehr gehört habe, „Das ist Lilli."
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if love could speak
Fanfiction-Band 1!- Es gibt drei Dinge, in denen ich unfassbar schlecht bin. Reden, Sport und mich nicht in Gefahr zu bringen. Ich wollte das alles nicht. Alles was ich wollte, war meine Ruhe zu haben und mit niemanden zu reden. Das hat auch geklappt, bis m...