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Ich wusste, dass mein Vater mich für verrückt hält, aber ich dachte nie, dass er mich für so verrückt hält.
*
Ungläubig drehe ich mich um. Vielleicht bin ich ja doch verrückt. Erst als ich Vanessa vor mir stehen sehe, weiß ich, dass ich es nicht bin. Nein ganz sicher nicht, aber wütend.

Vanessa lächelt mich an, als wäre nie was gewesen. Und als mir dann schließlich klar wird vor wem ich stehe, werde ich noch wütender. Ich drehe mich um und gehe. Ich gehe so schnell ich über diesen unebenen Boden gehen kann. Um ehrlich zu sein Stolper ich mehr, als dass ich gehe. Aber das ist mir egal, alles was zählt ist, dass ich hier weg komme.

Vanessa ist damals nicht nur gegangen, nein, sie hat mich verlassen. Sie hat mich sitzen lassen, um mit denen zusammen zu sein. Sie hat mich verlassen und meine Stimme mitgenommen. Es ist peinlich, dass es mich so verletzt und wütend macht. Aber ich dachte, unsere Freundschaft hätte mehr verdient, als das ihre Oma mir sagen musste, dass sie keine Zeit mehr für mich haben wird. Nie mehr.
Ich habe damit abgeschlossen. Ich habe mich daran gewöhnt und auch Gefallen gefunden an dem Alleinsein. Aber jetzt, da ich weiß, dass Vanessa hier ist, hat man mich eines besseren belehrt.

Das Glück steht auf meiner Seite. Nach einer Stunde habe ich das Ende des Waldes gefunden und marschiere in mein neues Heim. Eins steht fest. Die restlichen fünf Wochen Sommerferien werde ich in meinem Zimmer verbringen. Ich habe schon genug von Grünwald gesehen.

Zuhause schlage ich die Haustür zu. Wenn ich schon nicht spreche, sollen meine Eltern eben auf diese Weise wissen, dass ich es hier echt beschissen finde. „Was ist den los?", fragt meine Mutter besorgt. Ich ignoriere sie und laufe die Treppen hoch.

Mein Zimmer ist leer. Nur die Kartons und eine Matratze, die nun für die nächsten Tage oder Wochen mein Bett darstellen wird, befinden sich hier. Ich ziehe einen Karton aus der Ecke und öffne ihn. Natürlich habe ich meine Kartons weder beschriftet, noch sortiert. Ich habe mein altes Zimmer auf den letzten Drücker ausgeräumt und dann keine Zeit mehr gehabt um zu sortieren. Ich wollte den Gedanken an den Umzug so lange wie möglich hinausschieben und jetzt Büße ich dafür. Ich ziehe einen Karton nach dem Anderen hervor und durchwühle jeden einzelnen, bis ich endlich ein Schlafshirt finde. Ich ziehe noch eine Jogginghose an, bevor ich die Treppen wieder runter laufe.

Die Stufen quietschen unter meinen nackten Füßen und als ich unten ankomme, habe ich achtzehn Stufen gezählt. Ich folge dem Duft von angebratenen Zwiebeln und finde die Küche, in der meine Mutter hinter dem Herd steht und mein Vater auf einem Klappstuhl sein Buch ließt. „Hallo Spätzchen. Was war den vorhin los?", fragt meine Mutter, während sie gehackte und passierte Tomaten zu den Zwiebeln kippt. Anschließend gibt sie noch Kräuter und Gewürze in ihre Soße, während sie auf eine Antwort wartet. Sie bekommt keine. Sie seufzt.
Mein Vater blickt von seinem Buch hoch, zwischen mir und meiner Mutter hin und her. Dann sieht er aus dem Fenster. Sein Buch hat er abgelegt und seine Hände auf den Schoß gefaltet. Seine typische Pose, wenn er mir etwas sagen möchte.

Ich setze mich nicht. Grundsätzlich hat dieses Verhalten nichts gutes zu bedeuten. Ich mache mich bereit umzudrehen und einfach schlafen zu gehen.
Meine Mum kippt die Nudeln in ein Sieb um und dann in die Soße. Sie verteilt drei Teller auf den Tisch und unser Abendessen. Dabei redet sie kein Wort.
Mein Vater bittet mich mich zu setzen. „Bitte. Bitte Lillian, setz dich.", bittet er mich erneut, als ich nicht reagiere. Ich setze mich, was soll ich denn auch anderes machen? Meine Mutter verteilt das Essen und seufzt erneut. „Es kann so nicht weitergehen, Lilli. Du kannst nicht dein ganzes Leben schweigend und allein verbringen. Du musst endlich aus dir herauskommen und mit uns reden.", beginnt mein Vater. „Und nicht nur mit uns. Auch mit anderen, Lilli, mit Leuten in deinem Alter!", fügt Mama bei. Mein Vater nickt nachdenklich, bevor er weiter spricht, „Wir sind wirklich am verzweifeln. Gibt es einen Grund, dass du nicht redest? Wir waren bei unzähligen Ärzten und alle sagen, dass es die körperlich gut geht, du kannst reden. Also warum tust du es nicht?" Er klingt verzweifelt. Ich gebe keine Antwort. Nun seufzt Papa. Ich weiß nicht worauf die beiden hinaus wollen, aber es fällt beiden schwer, es mir einfach zu sagen. „Vielleicht solltest du mal zu einem Psychologen, Lilli.", platzt es aus meinem Vater heraus.

In dem Moment, als mein Vater das gesagt hat, scheint die Welt unterzugehen. Draußen scheint die Sonne, aber in mir fühlt es sich an, als würde ein Sturm wüten. Er will ausbrechen und die ganze Welt um mich herum ins Chaos stürzen, so wie er mich ins Chaos stürzt, aber ich schweige. So wie ich es immer tue. Ich schüttele nur geistesabwesend meinen Kopf. Ich wusste, dass mein Vater mich für verrückt hält, aber ich dachte nie, dass er mich für so verrückt hält.

Bei den wilden Kerlen

Sie alle sitzen im Kreis um das Lagerfeuer. Das Lager ist bereits aufgebaut. Sie hätten nach Hause gehen können, zu ihren Eltern, aber sie wollten zusammen bleiben. In den letzten Jahren haben sie sich so aneinander gewöhnt, dass es schon unmöglich scheint getrennt zu sein. Sie sind ihr neues Zuhause.

„Woher kennst du dieses Mädchen?", fragt Klette interessiert und beißt einmal in ihre Pizza. Die Popcorn- Pizza- Bonbons sind wohl eine der besten Erfindungen überhaupt. Dennoch schauen alle interessiert zu Vanessa. Sie sind neugierig. Das fremde Mädchen hat sich verdammt merkwürdig verhalten und als Vanessa grinsend in ihre Pizza beißt, wächst die Neugierde nur noch weiter. Diese Lilli war merkwürdig, aber sie ist auch hübsch gewesen. Das ist Maxi zumindest nicht entgangen. Die anderen sind einfach nur interessiert, weil sie nicht verstehen, wie Vanessa so jemanden kennen kann.

Alle. Alle bis auf Markus. Er sitzt dabei, isst seine Pizza und hört nur halb zu. Er hat das Mädchen nicht mal angeschaut, nicht mal den Namen hat er sich gemerkt. Dafür gab es keinen Grund. Düsentrieb hat ihn verlassen und er hat sich geschworen, sich nie mehr zu verlieben. Schließlich war sie seine wahre Liebe, immerhin hatte er den Fluch gebrochen. Durch den Kuss der wahren Liebe. Ja und seine wahre Liebe hatte ihn sitzen lassen, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Sie war einfach verschwunden und Markus hat zwei Wochen damit verbracht sie zu suchen. Er war überall, doch sie war weg. Und das ist sie noch immer.

„Lilli war früher mal meine beste Freundin gewesen. Wir haben uns einfach auseinander gelebt, als ich umgezogen bin.", erklärt Vanessa. Doch die anderen geben sich damit nicht zufrieden. „Warum verhält sie sich so komisch?", fragt Terry. Vanessa grinst erneut und schaut belustigt zu Maxi, der seine Freundin Blossom im Arm hält. „Könnt ihr euch noch daran erinnern, als Maxi kein Wort gesprochen hat?", fragt Vanessa in die Runde. Die Jungs, bis auf Nerv, beginnen zu grinsen, teilweise lachen sie sogar. „So ähnlich ist das auch mit Lilli. Sie hat schon früher mit niemanden geredet, nur mit mir. Alle anderen hat sie angeschwiegen. Die meisten auf unserer alten Schule dachten sogar sie wäre Stumm und kann gar nicht reden. Das hat sie wohl bis heute bei behalten.", erklärt Vanessa. Das ist genug Erklärung für alle. Nur Klette reicht es nicht. „Aber warum ist sie abgehauen, als du gekommen bist? Habt ihr euch gestritten?", fragt sie. Vanessa zuckt mit den Schultern, „Nein, wir haben uns nicht gestritten. Wir haben nur den Kontakt verloren."

Klette beginnt zu grinsen, „Vielleicht sollten wir sie zum Reden bringen!"
Die anderen stimmen ein. Nur Vanessa und Markus nicht. Markus hat nicht wirklich zugehört und Vanessa lässt das Gefühl nicht los, dass sie der Grund ist für Lilli's Verhalten. „Vielleicht braucht sie einfach jemanden zum Reden. Sie ist bestimmt einsam!", sagt Blossom. Ihr Mitgefühl macht sie aus und ist einer der Gründe warum Maxi sie so liebt. Neben ihr scheint selbst die schöne Lilli nur wie eine graue Maus. Leon, der das ganze Gespräch schweigend verfolgt hat, steht auf. „Wir sollten für sie da sein. Das willst du doch, oder Vanessa? Sie ist dir doch wichtig?", Leon wendet sich zu Vanessa. Diese schaut auf den Boden. „Sie war mir wichtig, sehr sogar. Aber ich kenne sie nicht mehr, Leon. Sie wird sich verändert haben, so wie ich es getan habe. Vielleicht will sie nichts mehr mit mir zu tun haben.", mein Vanessa leise. Tief in ihrem inneren weiß sie, dass Lilli ihr noch immer wichtig ist.
Leon grinst, „Dann finden wir das eben heraus."
*
Hey ho kleine Sterne,
Wie auch immer ihr auf diese Geschichte gestoßen seid, ich hoffe euch gefällt sie:)
Ihr könnt mir ja gerne eure Meinung sagen, die ihr bis jetzt habt. Das würde mich wirklich freuen:)

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