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Am nächsten Morgen wachte Hope mit Conner im Arm auf und gähnte.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie ja nicht mehr im Krankenhaus war. Auf einmal wusste sie nicht mehr, ob sie fröhlich oder wütend sein sollte. Also stand sie erst einmal auf und ging auf den Balkon. Es war draußen zwar schon hell aber im Haus schienen noch alle zu schlafen. Neugierig verließ sie ihr Zimmer und untersuchte das Haus von oben nach unten.
Es gab einige Zimmer, deren Sinn sie nicht so ganz verstand, aber ansonsten war alles ziemlich normal. Natürlich hatte nicht jeder ein Aufnahmestudio oder einen Speisesaal bei sich, und auf den Speisesaal passte auch keine andere Beschreibung als Saal, aber es hätte noch wesentlich ausgefallener sein können.
Gerade hatte sie die Tür aus der Küche in den Garten entdeckt, da schlurfte ein verschlafener Rea in die Küche. Schnell versteckte sie sich. Nicht das jemand ihr verboten hätte, in die Küche zu gehen, aber es war ihr dennoch etwas peinlich. Außerdem verspürte sie nicht das Verlangen, sich mit ihrem Onkel zu unterhalten. Dieser schlurfte auch einfach nur zum Kühlschrank, nahm sich den Orangensaft, holte ein Glas aus einem anderen Schrank und verschwand wieder. Erleichtert atmete Hope aus und setzte ihren Weg in den Garten fort.
Draußen stand ein hoher Baum und sonst war weit und breit nur Feld. In der Ferne meinte sie, einen Wald erkennen zu können, aber mehr war hier nicht. Seufzend lief sie durch den Garten. Eine Sache hatte sie nämlich übersehen. Der Garten wurde je weiter man auf das Feld zu ging, schräger und man verschwand nach einer Weile in einem kleinen Tal. Unten plätscherte ein kleiner Bach, über den man mühelos springen konnte. Dann musste man den Hügel nur wieder erklimmen und schon stand man in einem Feld.
Hope blieb am Wasser stehen und kniete sich nieder. Sie streckte ihre Hand in das Wasser und ließ es einfach nur gegen ihre Hand fließen. Nach einer Weile zog sie die Hand wieder aus dem Wasser und ließ sich in das grüne Gras sinken. Wenn es nach ihr ginge, würde sie die gesamte nächste Zeit hier bleiben und mit keiner anderen Person ein Wort wechseln. Doch das ging natürlich nicht.
Sie war gerade eingenickt, da erklangen von oberhalb des Hügels Stimmen:
„But she couldn't have run away!"
Hope erkannte die Stimme des No-Name-Mannes.
„She did not run away, Traver!", die andere Stimme gehörte Rea.
Hope seufzte und erhob sich. Mit angewinkeltem Arm krabbelte sie den Abhang wieder rauf und fiel vor den Füßen ihres Onkels ins Gras. So einen Hügel mit einem gebrochenen Arm zu erklimmen, war alles andere als einfach.
„See, she didn't run away.", sagte er zu dem No-Name-Mann, der offenbar doch einen Namen hatte. Rea hielt Hope die Hand entgegen, doch diese rappelte sie ohne Hilfe auf.
„What's so important?", fragte sie genervt und Rea sah sie ernst an.
„School will start in two weeks. But until then you will have German lessons. We got you a teacher. And he will be here in two hours. So you better get changed.", sagte er und Hope seufzte hörbar auf.
Na, wenigstens werde ich nicht vom No-Name-Mann unterrichtet..., versuchte sie sich aufzumuntern. Aber das klappte nicht so wirklich effektiv.
„Okay.", sagte sie und ging, ohne ein weiters Wort zu verlieren, ins Haus.
Rea und Traver sahen ihr nach.
„Da hast du aber noch einiges vor...", sagte Traver und klopfte Rea mitleidig auf die Schulter. Ob Rea wollte oder nicht, aber da musste er seinem Wertgeschätzten Assistenten recht geben. Wenn er mit Hope eine Bindung aufbauen wollte, was er eigentlich wollte, dann hatte er noch einiges zu tun.
„Aber ich glaube, ich schaffe das schon.", er grinste Traver ins Gesicht.
„Na, ich weiß nicht...", murmelte Traver und wandte sich wieder seinem Klemmbrett zu.
„Ich schaffe das schon...", murmelte Rea noch einmal mehr zu sich selber als zu seinem Assistenten. Dann folgte er seiner Nichte ins Haus.

Zwei Stunden später stand ein recht groß gewachsener Mann mit hellgrauen Haaren und einem Anzug im Flur und Hope musterte ihn skeptisch.
„You ordered that kind of a snob?", fragte sie an ihren Onkel gewandt und kassierte einen bösen Blick.
„Sollen wir dann einfach einmal los legen?", fragte der Lehrer zurück, und hatte Hopes bissige Bemerkung wohl einfach überhört.
„Das klingt gut.", sagte Rea und deutete auf die Türe zum Speisesaal. Der Lehrer ging hindurch und Hope wollte ihm schon genervt folgen, da hielt Rea sie noch einmal am Arm fest.
„Behave, girl. If you don't like me, okay. Sooner or later you will have to accept me. But it is not Herr Müllers fault.", zischte er ihr zu und blickte ihr eindringlich in die Augen. Hope deutete ein Nicken an, und riss sich los.
Bei zwei Sachen musste sie ihrem Onkel allerdings recht geben. Sie mochte ihn nicht und Herr Müller konnte da nichts für.
Da war Rea ganz allein dran schuld. 

SEINE Tochter (Rea Garvey)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt