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Einige Stunden später im Krankenhaus:

Unruhig ging Hope auf dem Gang auf und ab. Seit anderthalb Stunden war das das einzige, was sie beschäftigte. Vor knapp zwei Stunden waren sie und Rea im Krankenhaus eingeliefert worden und man hatte Rea sofort ins OP gebracht. Hope aber nicht. Warum auch? Mit Ausnahme von der Wunde an ihrem Arm, der unter ihrem Auge und ein paar blauen Flecken fehlte ihr ja nichts. Diese beide Wunden hatte eine Schwester behandelt und damit war Hope fertig. Sie hätte einfach gehen können. Aber das tat sie selbstverständlich nicht. Zum dritten Mal in einer halben Stunde kam eine junge Schwester zu der unruhigen Hope. "Bist du dir sicher, dass du nicht nach Hause willst? Wir haben 22 Uhr..." fragte sie und Hope hob den Blick. "Wissen sie, wer da gerade in der OP liegt?" Fragte sie mit eiserner Stimme. "Äh... soweit ich weiß, ist das Rea Garvey..." stotterte die Schwester verwirrt. "Richtig. Rea Garvey, der einzige lebende Verwandte von mir. Fragen sie mich noch einmal, ob ich nach Hause will, und ich schlage sie. Er IST mein Zuhause." Fauchte sie und die Schwester sah sie ängstlich an. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und ließ Hope wieder alleine.

Nach einer Zeit, die Hope nicht genau bestimmen konnte, da es ihr vorkam wie Jahre, allerdings vermutlich nur eine Stunde gewesen war, ging endlich die Türe auf und Rea wurde in einem Krankenbett herausgeschoben. "Onkel Rea..." flüsterte Hope und unterdrückte den Zwang, zu ihm zu stürzen und nie wieder loszulassen. Mit gespielter Ruhe folgte sie dem Bett und betrat hinter den Ärzten ein leeres Zimmer. "Also, wir haben das Salz entfernt, die Wunden genäht und ihm seine Blutgruppe an Blut gespritzt. Theoretisch sollte er in knapp einer Stunde aufwachen. Wir haben ihn nicht ins Koma gesetzt." Erklärte der Arzt und Hope nickte. Sie würde, wenn es sein müsste, auch diese Nacht durchmachen. Die Ärzte verließen das Zimmer und Hope ließ sich auf einem Stuhl gegenüber von Reas Bett nieder. Sie lehnte ihren Kopf an die Wand und schloss die Augen. Sie war seit anderthalb Tagen wach, hatte zwischendrinnen diverse Kräfte zehrende Aktivitäten betrieben. Langsam waren auch ihren Kraftreserven ausgeschöpft. Auf einmal holte sie die gesamte Anstrengung der letzten Tage wieder ein. Sie hatte das Gefühl eine unsichtbare Mauer würde in ihr brechen und Müdigkeit in jede Zelle ihres Körpers pumpen. Ihr Knie begann zu zittern und ihr Atem zu beben. Ihr Herz raste und sie krallte sie krampfhaft an den ungemütlichen Stuhl. Doch es half nichts. Sie hatte ganz offensichtlich eine Panikattacke ausgelöst von zu großer Anstrengung.

"Hope!" Die Stimme von Rea riss sie aus ihrer Trance. "O...Onkel R...Rea..." ihr Hals schien wie ausgetrocknet und ihre Zunge weigerte sich, auch nur ein einziges Wort zu sagen. Hope öffnete die Augen und sofort fing alles um sie herum an, sich zu drehen. Reas Stimme nahm sie nur noch verschwommen wahr. Nein, du bleibst wach! Fuhr sie sich gedanklich an und krallte sich noch fester an den Stuhl. In einer ruckartigen Bewegung sprang sie von ihrem Stuhl auf und stolperte ins Badezimmer. Wirklich etwas erkennen konnte sie nicht, aber sie konnte mit ihren Fingern ein Glas ertasten und hob es hoch. Sie füllte Wasser hinein und trank es leer. Langsam begann ihre Umgebung Form anzunehmen. Zufrieden stellte sie das Glas weg und ging, wenn auch etwas wackelig, zurück zu ihrem Onkel.

Rea hatte sich inzwischen ebenfalls etwas wackelig aufgerichtet. "Was war das denn?" Fragte er halb belustigt halb besorgt, als Hope wiederkam. "Äh, eine Panikattacke...", gab sie etwas kleinlaut zu. "Ich vermute mal, ausgelöst wegen Anstrengung... die letzten Tage waren kein Zuckerschlecken für mich." Gestand sie und mied Blickkontakt zu ihrem Onkel. "Hope, sieh mich an. Und komm her." Forderte er sie auf. Nervös hob Hope ihren Blick und sah in Reas Augen. Sie strahlten Besorgnis, ein wenig Angst aber vor allem Stolz aus. Langsam und unsicher ging sie auf ihn zu. Kurz vor ihm blieb sie stehen. Was hatte er vor? Ehe sie diese Frage stellen konnte, hatte Rea sie vorsichtig in eine Umarmung gezogen. Er wollte ihr nicht zu nahe treten aber er sah, dass die genau das jetzt brauchte. Eine Umarmung, und keine lange Unterhaltung.

Hope atmete etwas verwundert aus. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Doch nachdem der erste, kurze Überraschungsmoment überstanden war drückte sie ihren Onkel ebenfalls. Sie vergrub ihr Gesicht in seiner unverletzten Seite. Diesmal konnte Rea ihr tröstend über den Rücken streicheln. "Wir werden das schon schaffen. Zusammen." Sagte er leise und Hope schluchzte einmal auf. Die Bilder von dem leeren Bett in Deutschland, dem Blut überströmten Körper ihres Onkels, dem bewusstlosen Rea und schlussendlich auch das Bild von Rea als Carey-Senior ihm das Salz in die Wunden streute, hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt, als hätte jemand sie dort eingebrannt. "Hey, don't cry. Es wird wieder besser." Rea hob ihr Kinn mit seinem Finger so an, dass sie ihn ansehen musste. Behutsam strich er eine Träne aus ihrem Gesicht und lächelte etwas. Hope schluchzte noch einmal auf und nickte. "Wir schaffen das." Flüsterte sie und Rea nickte zufrieden. Er ließ ihr Kinn wieder los und sie versteckte sich noch einmal in seiner Seite. "Danke, dass du da bist." Murmelte sie und Rea huschte ein Lächeln übers Gesicht. Offenbar hatte sie ihn endlich akzeptiert. 

SEINE Tochter (Rea Garvey)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt