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Hope verbrachte die Nacht damit, keine Panik zu bekommen. Dadurch das sie nicht schlafen konnte, blieb ihr sehr viel Zeit zum Nachdenken. Wenn Onkel Rea nicht freiwillig mitgegangen ist, wie haben sie ihn denn dann nach Irland bekommen? Ich meine, die lassen ja keinen Bewusstlosen da rein... oder ist er doch Freiwillig mitgegangen...? Nein, dann hätte er wenigstens Traver bescheid gesagt. Und sein Handy wäre nicht so zerstört. Ach man! Das macht alles keinen Sinn! Frustriert ließ sie sich auf ihr Bett sinken und starrte an die Decke. Die Zettel ihres Onkels waren beide in ihrer Hosentasche. Woher nimmt Onkel Rea eigentlich die ganzen Zettel? Hat der immer so einen Notizblock in der Tasche, oder was? Ahh! Hope, das ist völlig irrelevant! Konzentriere dich auf das Wesentliche! Stauchte sie sich selber zusammen und ballte die Fäuste. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Der Vater von Carey und Dad waren doch voll gute Freunde. Vielleicht kennt Careys Dad Onkel Rea auch... Aber ich will mir von Carey nicht helfen lassen! Auch wenn Careys Vater ihr mit Sicherheit helfen könnte, so würde Hope ihn nie um Hilfe fragen. Das verbot ihr ihr Stolz. Frustriert über diese Einsicht schloss sie die Augen und versuchte wieder etwas zu entspannen. Das war allerdings gar nicht so einfach. Die Wut über Carey und die Sorge um Rea machte sie verrückt. Warum passierte das alles ihr? Womit hatte sie das verdient? Erst verlor sie ihre Eltern, dann ihren besten Freund, ihre Heimat und jetzt auch noch ihren einzigen lebenden Verwandten, oder wie. Das konnte doch nicht sein! Kurzentschlossen ging sie zur Stereoanlage und schaltete Neon wieder an. In letzter Zeit war das Album immer wichtiger für sie geworden. Doch die Stimme ihres Onkels zu hören, machte Hope nur noch trauriger. Schnell nahm sie die CD heraus und legte stattdessen eine CD der Fantas hinein. Sofort kam ihr ein Wortschwall entgegen und sie ließ ihre Gedanken davon weg schwemmen.

Als Hope das Album zum zweiten Mal fast durchgehört hatte, schlief sie auch endlich ein. Allerdings nicht für lange. Keine zwei Stunden später, wachte sie wieder auf und machte sich fertig. Ausgerüstet mit ihrem Koffer und einem Hoodie ging sie nach unten und weckte Traver. Dieser fiel zwar förmlich vom Sofa, gab aber keinen Muchs von sich. Schnell frühstückten die beiden, ohne auch nur ein Wort zu verlieren. Dann setzten sie sich in Travers Auto und er fuhr sie zum Flughafen.
Im Flugzeug lauschte Hope ihrer Musik und hoffte, dass keiner sie ansprach. Doch leider machte ihr das Leben mal wieder einen Strich durch die Rechnung. „Reisen sie alleine?" fragte eine Dame, die neben Hope saß. Das Mädchen zog einen der Kopfhörer aus dem Ohr und nickte. „Ja. Ich reise meinem Onkel hinterher. Er braucht bei etwas Hilfe und ja..." sagte sie und versuchte, ein Lächeln zustande zu bringen. Doch es sah vermutlich mehr gruselig als nett aus. „Wohnt ihr Onkel in Irland?" fragte die Dame weiter. „Nein, er ist... geschäftlich verreist. Aber wir sind beide dort geboren." Erklärte Hope und hoffte, dass du Frau endlich aufhörte zu fragen. „Und warum leben sie dann nicht mehr dort? Ich meine, Irland ist wunderschön." Das Mädchen unterdrückte ein genervtes Seufzen und erwiderte: „Ja, Irland ist wirklich wunderschön. Mein Onkel ist für seine Arbeit nach Deutschland gekommen und ich, weil ich zu ihm ziehen musste." – „Ach so. Na dann." Endlich hörte die Dame auf zu reden und Hope konnte wieder ungestört ihrer Musik lauschen. Sie schloss die Augen und lehnte sich an das Fenster. Sofort schlief sie ein. Sie bekam weder den ruckeligen Start noch die kleinen Turbulenzen während des Fluges mit. Erst als das Flugzeug zur Landung ansetzte, wurde Hope wach. Schnell checkte sie ihre Nachrichten, die Wetterlage und die News. Es war eine Nachricht von Traver eingegangen: Pass mir ja auf dich auf. Wenn dein Onkel wieder da ist, und dir etwas passiert, dann bringt er mich um. Stand drinnen. Hope verdrehte die Augen, schrieb eine sehr nette Antwort: Jaja... und schaltete ihr Handy wieder aus.
Als sie endlich aus dem Flugzeug aussteigen konnte, stellte sich ihr allerdings gleich das nächste Problem in den Weg. Wie sollte sie von hier weg? Sie war in Dublin und musste nach Tralee... Sie hatte sich kaum diese Frage gestellt, da hupte ein Reisebus mit der Aufschrift: „Tralee" mit erhobenem Kopf ging Hope auf das Fahrzeug zu und sah zu dem Fahrer. „Wie viel kostet es, wenn sie mich mit nach Tralee nehmen?" fragte sie und der Busfahrer sah sie skeptisch an. „Wenn du dich beeilst, nehme ich dich kostenlos mit." Murrte er und augenblicklich heiterte Hopes Miene sich etwas auf. In Irland waren sie doch wesentlich netter als in Deutschland.

Nach einer ungefähr dreistündigen Fahrt hielt der Bus am ersten Hotel. Hope, die Tralee in und auswendig kannte, wusste, an welchem Hotel sie am besten ausstieg. Wenig später war das kleine Hotel auch schon erreicht und Hope bedankte sich bei dem Fahrer. „Vielen Dank. Es könnte sein, dass sie gerade ein Leben gerettet haben." Ehe der Mann sie fragen konnte, was sie damit meinte, hatte Hope sich ihren Koffer geschnappt und war los gerannt. Sie rannte und rannte, bis sie an ihrem Elternhaus ankam. Die Erinnerung erschlug sie und sie ließ den Koffer fallen. Ihr Herz raste wie wild und sämtliche Erinnerungen spielten sich wie ein Film vor ihrem inneren Auge ab. Wie sie das erste Mal Fahrrad gefahren war, mit ihrem Vater fangen gespielt. Und wie ihre Mutter ihr die Kette mit dem silbernen Herz als Anhänger geschenkt hatte. Automatisch hob Hope ihre Hand zum Hals. Doch da war die Kette nicht. Erst erschrak sie, doch dann fiel ihr ein, dass sie die Kette nicht mitgenommen hatte. Eigentlich müsste das Schmuckstück noch im Haus liegen... Hope nahm sich vor, die Kette suchen zu gehen. Aber erst, wenn sie ihren Onkel gefunden hatte. Das hatte oberste Priorität.  

SEINE Tochter (Rea Garvey)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt