"Und? Wie schmeckt es Ihnen?". Gespannt sieht er mich an, während ich die Gabel ablege und mit meinen Händen eine große Geste forme. Mein Kopf weiß nicht, wie er verarbeiten soll, dass ich hier gerade beim Bundeskanzler zu Hause sitze und mit ihm selbst gekochte Pasta esse. "Das hier-". Ich deute auf meinen Teller. "-ist atemberaubend lecker". Er lächelt zufrieden. "Und Ihnen?". Gerade als er antworten möchte, klingelt sein Handy. Entspannt holt er es aus seiner Hosentasche und schaut nach, um wen es sich handelt. "Entschuldigen Sie mich". Er steht auf und gerade als ich dachte, er telefoniert nun wieder endlos lange, schaltet er das Handy auf stumm und legt es neben meine Tasche in den Vorraum, bevor er zurückkommt. "Für den Rest des Tages nehme ich mir frei, da ich meine Zeit gerne dem hier widmen möchte." Er deutet auf mich und die Pasta. Ich kann nicht glauben, was ich da höre. Was, wenn es wichtig ist? Okay, wenn es so wichtig ist, würde er es wohl kaum weg legen. Nachdem er sich hingesetzt hat, will mir klar machen, dass das das beste geschnittene Gemüse ist, das er jemals kosten durfte. Ich lache laut auf und wir essen fertig.
"Bleiben Sie sitzen, ich übernehme das." Ich beobachte, wie er den Tisch abräumt und die Sachen in den Geschirrspüler schlichtet. Warum wirkt das so unnatürlich? Denkt man, dass er solche selbstverständlichen Dinge nicht macht, bloß weil er Bundeskanzler ist? Wie auch immer - es steht ihm unglaublich gut. Das beweist wieder einmal, wie schnell ich über Menschen, die ich nicht kenne, vorschnell und unterbewusst urteile. Er lehnt sich mit seinen Händen auf die Küchenplatte und schaut mich eindringlich an. "Haben Sie Lust auf eine Nachspeise?" Eine Nachspeise? Hier? Gespielt denke ich nach. "Tatsächlich habe ich große Lust". Sein Atem stockt. Ich meine natürlich - große Lust auf eine Nachspeise. Vielleicht sollte ich bedenken, dass sich manche Dinge im Kopf besser anhören, und dort auch bleiben sollten. Sein Mund verformt sich zu einem Lächeln. "Exzellente Wahl Madame. Ich kenne da einen Ort, an dem gibt es die besten Torten der ganzen Stadt". Er bietet mir an, im Wohnzimmer zu warten bis er in der Küche fertig ist. "Den Gang hinauf und die letzte Türe rechts." Bevor ich den Raum verlasse, drehe ich mich ein letztes Mal um und bewundere die Küche. Na gut - ich werfe auch einen kurzen Blick auf ihn. Bevor er sich noch zu mir umdreht und entdeckt, dass ich ihn beobachte, mache ich mich auf den Weg ins Wohnzimmer. Langsam schlendere ich durch den Gang und lasse die Atmosphäre auf mich wirken. Im Wohnzimmer angekommen, entdecke ich am Ende des Raumes ein Bild, das ihn mit seiner Großmutter zeigt. Um es besser betrachten zu können, trete ich näher. Sie ist eine wirklich attraktive Frau. Zumindest weiß ich nun, woher er diesen Charme hat. Ich frage mich, wie oft sie sich zu Gesicht bekommen oder welche Familienmitglieder noch eine große Rolle in seinem Leben spielen. Ich erinnere mich zurück an die Wanderung. Es scheint, als hätte er ein wirklich gutes Verhältnis zu seiner Großmutter. Ob er das auch zu seiner Mutter hat? Oder zu seinem Vater? Gerade, als ich mein Handy rausholen will, da ich diese Fragen sicherlich mit Google klären könnte, fällt mir auf, dass es sich in meiner Tasche auf dem Regal im Vorraum befindet. Dann schaue mich weiter um. Wirklich viel gibt es nicht zu entdecken. Was mir auffällt ist, dass ich bisher noch keinen Fernseher gesehen habe - in der ganzen Wohnung nicht. Vielleicht hat er dafür keine Zeit oder ist sowieso so gut wie nie zu Hause. Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie habe ich mir sein ganzes Zuhause anders vorgestellt. Seine Einrichtung ist bewundernswert. Auf den ersten Blick bekommt man einen kalten und glatten Eindruck, doch je länger man hier Zeit verbringt, desto heimischer und wohler fühlt man sich. Die Wohnung ist ein bisschen wie er selbst - ich muss schmunzeln. Mitten im Raum, auf einem weißen Teppich, bleibe ich stehen und denke darüber nach, wer sie wohl eingerichtet hat. Sein Wohnzimmer sieht aus wie das Titelblatt einer Zeitschrift für skandinavische Einrichtung. Vielleicht die Frau auf dem Foto? Gut möglich, dass sie diese Sitzgruppe hier gekauft hat. Ich gehe auf den hellbraunen Sessel zu und setze mich hinein. Wie lange waren die beiden wohl zusammen? Warum haben sie sich bloß getrennt? Ich habe viel mehr Fragen, als mir lieb ist und auf jeden Fall Fragen, auf die ich niemals eine garantierte Antwort bekommen werde. Nicht nur über gestern Nacht, sondern allgemein. Eigentlich kenne ich ihn so gut wie gar nicht, trotzdem gibt er mir das Gefühl, ich müsse mich für nichts schämen, weder für peinliche Anrufe, noch für meine ruhige Art oder meine Schüchternheit. Oft wollen Leute kein Gespräch anfangen, bloß weil sie beginnen müssen zu sprechen. Doch das ist bei ihm anders - er ist aufgeschlossen aber nicht überheblich. Um ehrlich zu sein, habe ich das bisher selten erlebt, dass ich in so kurzer Zeit gegenüber einer Person so offen werde und ich nicht bei jedem Wort zweimal überlegen muss, ob ich es sagen soll und das, obwohl er mich nach wie vor manchmal einschüchtert. Ich erwische mich dabei, wie ich sogar über ihn nachdenke, obwohl ich hier bei ihm bin. In Gedanken versunken, bemerke ich nicht einmal, dass er im Türrahmen steht. Hastig springe ich auf und überlege, wie lange er mich schon beobachtet hat. Schmunzelnd betrachtet er mich. "Kann's los gehen?". Ich nicke.
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Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)
RomanceFanfiction über Sebastian Kurz