Kapitel 10

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"Hey". Ich kann nicht anders, als über beide Ohren zu grinsen. Er schüttelt meine Hand und schaut mir direkt in meine Augen. Mein Atem stockt bei der Berührung, kurze Zeit bleibt alles um mich herum stehen,  - dann lässt er los. Er lehnt sich mit beiden Armen am Tisch ab und mustert mich genau. "Ich hoffe sehr, die Fahrt war angenehm, und -". Er streift mit seinen Fingern durch seine gestylten Haare. "-tut mir äußerst leid, mein Fahrer muss Sie überrascht haben - so plötzlich vor der Eingangstüre". Mir fällt erst jetzt auf, dass ich ihn das erste Mal ohne Anzug sehe - also in normalen Klamotten meine ich natürlich, nicht ohne. Er trägt eine lockere blaue Jeans und ein blaues T-Shirt, das etwas eng an den Schultern anliegt. Ich kann nicht anders, als mir vorzustellen wie er ohne -. "Sophia?". Er blickt mich eindringlich an und grinst. Oh nein, ahnt er, woran ich denke? Okay das ist unmöglich - wie könnte er denken, dass ich hier in einem normalen Gespräch an ihn oben ohne denke. Das wäre sehr bedenklich - besser gesagt, das ist sehr bedenklich. Oh man. "Die Fahrt war äußerst angenehm, obwohl ich mir den Bus auch nicht schlecht vorgestellt habe". Er lächelt. "Na wenn das so ist, steht Ihnen der Bus zur Heimreise gerne zur Verfügung. Falls Sie es sich doch anders überlegen, würde ich Sie mit Ihnen persönlich wieder zurück nach Wien fahren". Das Gefühl in meinem Bauch macht sich wieder bemerkbar. Ich spüre, wie meine Backen erröten. "Äh -  ja klar. Also gerne können wir gemeinsam -". Ein Mann mit einem Mikrofon in der Hand unterbricht mich - zum Glück. "Die Probe würde jetzt starten, wenn Sie so weit sind." Er gibt dem Mann Bescheid, dass er gleich nachkommt und wendet sich wieder mir zu. "Also Sophia, wir sehen uns nach der Ansprache bei der Wanderung. Sollten Sie irgendetwas brauchen, können Sie sich jederzeit melden." Er geht in Richtung Bühne und verschwindet in einem weißen Festzelt. 




Eine halbe Stunde später stehe ich mit drei älteren Frauen auf der Seite neben der kleinen Bühne. Mittlerweile sind sehr viel mehr Leute anwesend, als bei meiner Ankunft. Überall warten gespannt kleine Gruppen von Familien und Freunden auf den Beginn. Dann kommt auch schon die Landeshauptfrau auf die Bühne und hält eine Ansprache. Sie erzählt von politischen Zielen in den nächsten Monaten in Niederösterreich und wie sehr sie sich auf die Unterstützung des Bundeskanzlers freut. Dann stellt sie ihn vor und er tritt auf die Bühne. Alle beginnen zu klatschen. "Liebe Österreicher und Österreicherinnen! Ich freue mich, heute hier, im wunderschönen Bundesland Niederösterreich zu sein, um mit Ihnen allen wandern zu gehen! Gerne besprechen wir dabei alles, was Sie schon immer fragen wollten." Ich beobachte ihn und schweife ab. Ich denke an unser Treffen und unsere endlos langen Gespräche und daran wie -. "Er kann so gut sprechen vor so einer großen Menge. Haben Sie Ihn schon einmal im Parlament gesehen? Er macht so gute Arbeit." Die ältere Dame neben mir reißt mich aus meinen Gedanken. Sie ist etwa einen Kopf kleiner als ich und trägt eine blaue Sporthose und ein schwarzes Shirt. Sie schaut mich durch ihre Sonnenbrille erwartungsvoll an. "Ja, das habe ich tatsächlich. Er kann das wirklich sehr gut." Sie scheint zufrieden mit meiner Antwort zu sein, denn sie lächelt sehr herzlich. Ich drehe mich wieder um und wende mich der Rede zu, die anscheinend schon zu Ende ist. Die Menschen, die eben noch voller Aufmerksamkeit zugehört haben, sprechen nun laut miteinander, einige holen ihre Rücksäcke aus dem Bus und andere halten Ausschau nach der Hauptperson des Nachmittages. Bisher konnte ich noch keine anderen Frauen in meinem Alter sehen, aber wer weiß, vielleicht werden die auch erst von einem seiner Fahrer hergebracht. Die Menge beginnt sich in Richtung Wald fortzubewegen, anscheinend geht es nun los. Der Großteil befindet sich relativ weit vorne, deshalb halte ich mich eher in der Mitte. Neben mir geht eine Frau mit einem Kind, das an der Leine einen kleinen Hund führt. Ich hatte schon immer etwas für Hunde übrig, meine Eltern haben meine Schwester und mich, als wir noch etwas kleiner waren, eines Tages mit einem Labradorwelpen überrascht. Als er älter wurde, hat er jedes Mal, wenn jemand lauter geworden ist bei Streitereien, angefangen laut zu bellen und ist wie wild auf und ab gelaufen -  das hat viele Male wilde Diskussionen verhindert. Es war immer so, als würde er die Familie um jeden Preis zusammenhalten wollen - und das hat bis heute funktioniert. 




Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt