Kapitel 24

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Der Tag ist gekommen. Ich bin fast die ganze Nacht wach gelegen und habe über den heutigen Tag nachgedacht. Um ehrlich zu sein, habe ich auch über gestern nachgedacht. Der Kuss und das schnelle Verschwinden - das alles ist so neu für mich. Ich will mich darauf einlassen, wirklich, aber es gibt definitiv noch vieles, das ich klären muss. Ich stehe schon unten und warte auf ihn. Meine Gedanken kreisen weiter. Ist das üblich, dass er Dates zu seinem Wahlauftakt mitbringt? Wie soll ich mich verhalten, wenn jemand fragt, wer ich bin? Es ist gerade einmal 08:00 Uhr morgens und mein Kopf tut jetzt schon weh. Dafür ist mir die Kleiderwahl heute ziemlich einfach gefallen, da es ein wundervoller sonniger Tag ist. Wenige Augenblicke später fährt auch schon der schwarze BMW vor. Er hält vor mir an und gespannt warte ich darauf, dass er aussteigt. Langsam geht die Türe auf und für einen Moment bleibe ich wie angewurzelt stehen und genieße seinen Auftritt. Es ist jedes Mal so erfrischend überraschend ihn zu sehen. Jedes Wiedersehen verpasst mir erneut einen Realitätsschub und mein Inneres Ich kreischt "DAS ist der Bundeskanzler! Den haben WIR geküsst!". Ich beobachte ihn, während er seinen blauen Anzug zurechtrückt und sich langsam zu mir umdreht. "Wunderschönen guten Morgen Sophia!". Als er mich erblickt stockt sein Atem. "Du siehst-". Er kommt näher. "- wunderschön aus. Danke, dass du mir heute Gesellschaft leistest". Er strahlt förmlich. "Danke. Und sehr gerne." Ich bin heilfroh, dass ich mich für dieses schwarze, schulterfreie Kleid gepaart mit einem lockeren Blazer entschieden habe.

Wir fahren bereits eine gute Stunde. Nach einigen Telefonaten perfektioniert er jetzt noch seine Rede. Er lehnt seinen Kopf an die Fensterscheibe und tippst mit dem Stift auf seine Lippen. Die Sonne strahlt ihm ins Gesicht und er schließt die Augen für einen Moment. Oh Gott, ist dieser Mann attraktiv. Sobald er sie wieder öffnet wende ich den Blick ab. Er berührt mich am Arm. "Hey, alles okay?". Besorgt schaut er mich an, während sich seine Hand weiter zu meinem Kinn bewegt. Nickend antworte ich ihm. "Ich warte bloß gespannt auf das Ergebnis!". Er lächelt und zieht seine Hand langsam zurück, damit er seine Zettel in die Höhe halten kann. "Ich bin so weit". Dann beginnt er mit der Einleitung. Er erzählt von seinen Plänen und Zukunftsvorstellungen. Während er vorträgt, kann ich nur daran denken, wie gut er Leute überzeugen kann. Macht er das mit mir auch? Nachdem er fertig ist, blickt er mich an. "Und? Wie findest du es?". Gespannt wartet er auf meine Antwort. "Es wirkt ziemlich selbstsicher und so, als hättest du einen Plan, der funktionieren könnte". Selbstsicher lächelt er mir zu. "Dennoch würde ich den letzten Satz umändern, er wirkt zu - vielversprechend. Sein Lächeln verschwindet. Dann liest er sich den Zettel noch durch. "Du hast tatsächlich recht. Vielen Dank." Dann überarbeitet er die Rede noch einige Zeit, bevor wir einen kurzen Zwischenstopp einlegen.

"Nimm dir bitte alles, was du möchtest." Er bietet mir an, mit seinem Fahrer in das Geschäft schon einmal vorzugehen, während er am Parkplatz noch telefoniert. Ich folge dem Fahrer und wir trennen uns, nachdem wir reingehen. "Ich warte auf Sie bei der Kassa." Ich nicke und mache mich auf dem Weg zu den Getränken. Hält er sich immer so kurz und knapp? Reden die beiden überhaupt irgendwas, wenn sie alleine unterwegs sind? Ich greife nach einem kühlen Wasser in der Vitrine vor mir. Dann schaue ich ihn durch die Fensterscheibe hinaus auf den Parkplatz. Für einen kurzen Moment bleibe ich stehen und sehe, wie er auf und ab läuft. Es scheint so, als wäre es ein ernstes Gespräch. Um was es wohl geht? Werde ich diese Dinge jemals erfahren? Ich habe keine Ahnung. Verloren in meinen Gedanken bleibe ich vor der Scheibe stehen, bis mich plötzlich jemand von hinten anspricht. "Brauchen Sie Hilfe?". Eine Frau, ein wenig älter als ich, wirft mir einen finsteren Blick zu, als ich mich zu ihr umdrehe. Ich entdecke ihre Mitarbeiteruniform. Neben ihr steht eine Kiste mit Wasser. "Leider füllt sich diese Vitrine nicht von selbst auf". Fassungslos gehe ich einen Schritt zur Seite. "Tut mir leid aber -". Genervt stellt sie die Kiste ab und schaut mich an. Dann tritt er hinter sie. "Alles okay hier?". Die Mitarbeiterin dreht sich um und macht große Augen. Dann beginnt sie zu stottern. Das darf doch nicht wahr sein. Gerade als ich anfangen wollte zu erzählen, wie lächerlich ihr Verhalten war, kommt sie mir zuvor. "Ja natürlich ist alles okay, brauchen Sie vielleicht Hilfe? Ich kann Ihnen zeigen wo-". Er unterbricht sie. "Danke, das ist nicht nötig. Schönen Tag noch". Dann zieht er die Augenbrauen hoch und deutet mir, ihm zu folgen. Wir gehen nebeneinander her. Dann beginnen wir beide zu lachen. "Gewöhnt man sich eigentlich irgendwann daran, dass Menschen einen anders behandeln?". Er blickt mich von oben herab an. "Ich weiß auch nicht so ganz. Aber ich kann dir versichern, dass diese Dame nicht nur zu dir so ist". Er zwinkert mir zu und fragt, was ich noch brauche. Ich führe ihn in die Süßigkeiten-Abteilung und schnappe mir eine Packung grüne Skittles. "Der saure Skittles-Typ also. Das muss ich mir merken." Bei der Kassa greift er nach Pfefferminzkaugummi und legt meinen Einkauf auf das Band. "Ich kann das auch selbst-". Er lässt mich nicht ausreden. "Auf keinen Fall. Das ist das Mindeste - schließlich ist dank dir meine Rede nun vollständig".

Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt