Kapitel 2

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Von dem kurvenreichen Fahren wird mir ganz übel und ich muss mich darauf konzentrieren, mich nicht zu übergeben. "Ist alles okay? Sie sehen ganz blass aus". Ich murmle ein leises 'Ja', das wahrscheinlich nicht ganz verständlich war. "Wir sind gleich da, dann sehen wir, was los ist". Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, aber irgendwann kommen wir zum Stehen. Kurze Zeit bin ich alleine im Auto, bis jemand die Türe aufmacht. Ich öffne meine Augen und sehen eine zwei Frauen, die einen weißen Kittel mit einem Namensschild tragen. Eine der beiden hat einen Rollstuhl bei sich, und keine fünf Sekunden später, setzt mich der Fahrer hinein. "Wollen Sie mitkommen?". Die Schwester blickt ihn fragend an. "Ich - äh - muss kurz telefonieren, ich komme nach". Die Schwestern fahren mich ins Krankenhaus, ich sehe wie langsam alles verschwimmt ....

"Wissen Sie, wie die junge Dame heißt?" "Nein, ich habe sie nicht gesehen, und ... und sie kam so schnell hervor, hat sie Verletzungen?" "Nein, wir haben sie untersucht, ihr fehlt absolut nichts." "Gott sei Dank". Ich öffne die Augen, wo bin ich? Ich liege in einem Bett und - oh mein Gott. Jetzt fällt es mir wieder ein. Ich sehe den Fahrer und eine Schwester im Türrahmen stehen. Sie merken nicht, dass ich wach bin. "Ich muss jetzt los, Sie können mir diesen Gefallen wirklich tun?". Die Schwester nickt. Ich schließe die Augen und schlafe erneut ein.

"Guten Morgen!". Eine Schwester steht direkt vor mir. "Wie geht es Ihnen?" Ich halte kurz inne. Außer einen Kater, scheine ich wirklich nichts zu haben. "Ähm - gut, denke ich?". Sie stellt sich jetzt direkt zu mir. "Können Sie sich an gestern erinnern?" Klar kann ich mich an gestern erinnern. "Ich wurde angefahren - und hierher gebracht". Mein Kopf pocht. "Der Mann, der Sie hergebracht hat, bat mich, Ihnen das hier zu geben." Sie überreicht mir einen Zettel. 'Falls sie Anzeige erstatten wollen - melden Sie sich', darunter eine Telefonnummer. "Danke. Wann darf ich nach Hause?" "Sie dürfen jederzeit nach Hause, Ihnen fehlt nichts, außer eine Runde Schlaf". Die Schwester zwinkert mir zu.

Auf dem Weg zur Bahn, kommen mit jedem Schritt weitere Erinnerungen an gestern hoch. Die Sonne blendet mir ins Gesicht, ich kann kaum meine Augen öffnen. Das alles ist einfach nicht zu fassen. Mary hat mich stehengelassen und ich wurde angefahren weil ich von einem Mann, der mich anmachen wollte, weggerannt bin. Was für eine Nacht. Ich bleibe bei einer Bushaltestelle stehen um taste nach meinem Handy in meiner Clutch. Gott sei Dank - ich taste weiter nach meinem Wohnungsschlüssel und meiner Geldbörse. Alles da - bin ich erleichtert. Auf dem Weg zur U-Bahn Station ertappe ich mich, wie ich mein Äußeres in einer Spiegelung mustere. Mein Make-Up ist total verschmiert und meine Haare zersaust. Meine Strumpfhose hat ein riesiges Loch. Verlegen versuche ich, die Blicke der Menschen, die mich beim Vorbeigehen anstarren, zu ignorieren. In der U-Bahn sind zum Glück nicht viele Leute, entspannt setze ich mich hin und lasse den gestrigen Abend nochmals Revue passieren.

"Sophia, du weißt wie leid es mir tut. Ich weiß nicht, was los war. Immer wenn ich Shots trinke, werde ich zu einem anderen Menschen." Natürlich rechtfertigt das nicht, dass ich alleine durch Wien nach Hause gehen musste, aber so richtig böse sein, kann ich Mary sowieso nicht. Ich sitze auf meiner Couch, meine Haare in einem Handtuch eingewickelt, mein Gesicht verdeckt in einer Gesichtsmaske und mein Handy am Ohr. "Ich kann das nicht ohne dich machen". Mary will mich weiter überreden, zu diesem Vortrag, für ihre politikwissenschaftliche Arbeit, mitzukommen. "Im Parlament werden so viele Leute sein, nach gestern habe ich eine Weile genug von großen Menschenmengen". Ich sehe vor meinen Augen Mary, die ihren berühmten Hundeblick aufsetzt und denke an all' die Male, bei denen sie mich für meine Projekte begleitet hat. "Wann bist du hier?". "Ich hab dich sooo lieb, Sophia, du bist die allerbeste".

Im Badezimmer bin ich gerade dabei, meine Haare einzulocken. Ich werfe einen Blick auf die Uhr. 13:20. Ich habe noch zehn Minuten Zeit, bevor Mary mich abholt, vorausgesetzt natürlich, sie kommt pünktlich, was nicht zu ihren Stärken zählt. Kopfüber schüttle ich meine Locken nochmals aus und trage ein bisschen Mascara und mein rosafarbenes Lieblingslipgloss auf. Im Schlafzimmer tausche ich den Bademantel gegen ein lockeres, gelbfarbenes Sommerkleid aus. Dann klingelt es auch schon. Ein Wunder - 13:29, sie ist sogar zu früh. Vorsichtig ziehe ich mir meine Knöchelriemen Sandaletten an, um den frischen Nagellack auf meinen Füßen nicht zu ruinieren, hänge mir meine kleine Handtasche um und mache mich auf den Weg nach unten.

Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt