Kapitel 32

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„Ich weiß nicht, ob ich wieder bereit bin. All die Prüfungen und-". Ich nicke zwar, doch ich höre kaum ein Wort. Der Anruf hat mich total aus der Bahn geworfen. ‚Im Moment würde ich alles tun um dich bei mir zu haben und alles mit dir tun zu können'. Seine Worte gehen mir unter die Haut - ich hasse ihn dafür. Warum kann er mich dann einfach nicht bei ihm haben? Er hat es selbst vergeigt. Ich bemühe mich ihr aufmerksam zuzuhören. Wir sitzen in einem Restaurant in der Innenstadt und trinken ein Glas Wein. Jedes Mal, bevor ein neues Semester beginnt, treffen wir uns hier und stoßen gemeinsam auf den ein weiteres Kapitel in unserem Leben an. Mary wirft mir ein schiefes Lächeln zu. In ihrer Sprache heißt das soviel wie ‚Es war nicht so gemeint'. Ich bin ihr ehrlich gesagt nicht mehr böse. Meine negativen Gefühle konzentrieren sich derzeit auf etwas anderes. ‚Tu nicht so, als hätte es uns nicht gefallen'. Unwillkürlich muss ich sofort an meine knallroten Wangen vorher im Spiegel denken. Ich verdrehe die Augen. Kann mein Unterbewusstsein einmal die Klappe halten? Es hätte mir nicht gefallen. Er gefällt mir ni-. „Alles okay? Hör mal." Ich schalte meine Gedanken ab. „Es tut mir ehrlich leid. Ich wollte nicht so - harsch sein. Ich weiß, das alles muss hart für dich sein." Ich unterbreche sie. „Nein, alles okay. Ich habe einfach überreagiert. Die ganze Sache ist halb so so schlimm." Ich schenke ihr ein warmes Lächeln. Ein falsches Lächeln. Es ist alles andere als halb so schlimm. Alle Erinnerungen schwirren konstant in meinen Gedanken herum. ‚Du weißt, deine Stimmlage würde mir alles verraten'. War ich wirklich so leicht durchschaubar? Bin ich wirklich so durchschaubar? „Weißt du, hätte ich gewusst, dass das alles so ernst für dich wurde, naja, ich hätte dich gewarnt. Männer wie er sind für jemanden wie dich nicht gut. Wer weiß, was er nebenbei noch getrieben hat." Oder mit wem. Genau das meint sie doch. Mein Blut kocht. Männer wie er und jemand wie ich. Ich wende den Blick ab und tue so, als würde ich mein Kleid zurechtrücken. „Aber wie auch immer - sind wir froh, dass es nun vorbei ist und du weißt, wer wirklich hinter der Fassade steckt. Ich mein - verübeln kann es dir wohl keiner". Sie zwinkert mir zu. Ich darf mir vor ihr nichts anmerken lassen. Ich will nicht, dass sie weiß, wie sehr mich der Gedanke an andere Frauen in seiner Gegenwart zum Kotzen bringt. Wie sehr mich das alles hier zum Kotzen bringt - ich hasse es, wie sie über ihn spricht. Sie kennt ihn nicht - kein bisschen. Aber wie gut kenne ich ihn? Ich atme tief durch und stoße mit ihr an. Vielleicht hätte ich mich am Ende doch für das Schauspielstudium entscheiden sollen. „Auf vergessene Affären, die uns am Ende nur stärker machen". Das ist mit Abstand der größte Irrsinn, den ich seit langer Zeit gehört habe. Nichts ist vergessen. Kann man das, was zwischen uns war wirklich eine Affäre nennen? Wir haben nicht mal miteinander geschlafen - worüber ich jetzt wirklich froh bin. Stärker fühle ich mich auf jeden Fall auch nicht.

Jedes Mal, wenn ich nach den Ferien wieder die Uni betrete, fühlt es sich alles so unnatürlich an. Auf den Gängen sieht man immer wieder neue Gesichter und alle scheinen sich über den Start zu freuen. Das gilt auch für mich - mein Plan in den Ferien etwas vorzuarbeiten hat nicht so wirklich geklappt. Dafür bin ich zuversichtlich, dass ich jetzt sowieso nichts anderes zu tun habe als zu lernen und mich auf mein letztes Semester zu konzentrieren. Ich hoffe inständig, dass dieses Semester nicht zu schnell vergeht, denn derzeit habe ich noch keine Ahnung, was ich danach machen will. „Sophia!". Ich drehe mich um und blicke in ein vor Freude strahlendes Gesicht. Eli kommt näher und schließt mich in ihre Arme. Sie ist sozusagen meine einzige Freundin hier. Ich habe zwar schon mit meinen anderen Studienkollegen das ein oder andere Wort gewechselt, doch es konzentriert sich hier jeder eher auf sich selbst - wie ironisch für den Studiengang Kommunikationswissenschaften. „Wie waren deine Ferien?". Ich denke an die vergangen Wochen zurück - was zum Teufel kann ich ihr darüber erzählen.

„Mary hat dich wirklich überreden können, wieder dort hinzukommen? Also langsam entwickelst du dich echt zur Partymaus!" Ich lache und nippe an meinem Kaffee. Ich mag Eli sehr gerne - wir sind uns ziemlich ähnlich. Wir beide haben eigentlich nur Kopf für Uni-Sachen sowie anderen entspannteren Aktivitäten und gehören nicht wirklich zu den Mädchen, die in ihrer Freizeit ausgehen und daten. Naja, wie gesagt, eigentlich. Vielleicht sind wir uns doch nicht so ähnlich, wie ich gedacht habe - denn die letzten Wochen sind alles andere als entspannt verlaufen. Doch darüber mache ich mir keine Gedanken - nicht jetzt. Eli wirft ihren blonden Haare über die Schulter und schaut sich um. Hier in der Kantine ist echt wenig los für den ersten Tag - niemand könnte sie hören. Dann flüstert sie. „Also, ich muss dir was erzählen". Sie beugt sich vor und schaut mir direkt in die Augen. Was um alles in der Welt kommt jetzt? Gespannt schiebe ich die Tasse zur Seite und lehne mich ebenfalls nach vorne auf den Tisch. „Ich habe jemanden kennengelernt" Ihre Wangen verfärben sich rötlich. Anscheinend sind wir uns doch ähnlicher als ich dachte. Sie will gerade fortsetzen, doch ein schrilles Geräusch ertönt plötzlich. „Ist es schon so weit?" Eli wirft einen Blick auf die Uhr und nickt.

Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt