Kapitel 20

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Sie nimmt mich in den Arm. "Sophia! Sag mal wo ist eigentlich dein Handy?". Ich werfe Mary einen verwirrten Blick zu - sie scheint ebenfalls keine Ahnung zu haben, warum meine Mutter im Parlament ist. "Ich habe dich mehrmals angerufen. Warum-". Ich unterbreche sie. "Tut mir leid, ich habe es auf stumm geschalten, da ich bei der Rede keine Aufmerksamkeit erregen wollte. Was machst du hier?". Ihre Miene ist ausdruckslos. "Tja, wenn du mir schon keine Informationen darüber gibst, wie dein Studium läuft, muss ich wohl hierherkommen." Sie hält kurz inne und mustert Mary mit hochgezogenen Augenbrauen, bevor sie ihren Blick wieder auf mich richtet. "Außerdem musste ich etwas für die Arbeit hier erledigen. Ein Interview mit einer Dame aus dem Bundesministerium für Bildung. Wie es der Zufall so will, habe ich mitbekommen, dass heute der Wahlauftakt stattfindet und entschieden, mal hier vorbei zu schauen. Keine Überraschungen, aber naja, war doch zu erwarten". Missbillig schaut sie sich um. "Jetzt zu dir. Was machst du hier?". Meine Mutter ist Autoren für eine kleine Kolumne in meiner Heimatstadt. Sie schreibt hauptsächlich über das Kochen, wie man seine Kinder richtig erzieht und warum das Leben mit 40 erst beginnt. Dass sie sich neuerdings für Politik interessiert, ist mir auch neu. Und was soll das überhaupt heißen - 'Keine Überraschungen'? Hat sie sich die Rede angehört? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie eine Meinung zu alldem hier hat. Klar, sie gibt überall ihren Senf dazu, doch noch nie habe ich mitbekommen, dass es um Politik ging. Sie redet gerne darüber, wie wichtig es ist, seine Kinder bestmöglich auf die Schule vorzubereiten und das Industriezucker Gift für unseren Körper ist. Sie mustert mich, als wäre ich total fehl am Platz. Ja Mama, das weiß ich auch selbst. Wie schafft sie das jedes Mal, mich so zu verunsichern? Ich kann auch Interessen haben, von denen sie nichts weiß. Natürlich ist das nicht der wahre Grund, warum ich hier bin aber - . "Sophia!". Ich drehe mich zu Mary um. Sie deutet in Richtung Hörsaal. Ich richte den Blick nach rechts und erstarre. Er kommt auf uns zu. Oh nein. Meine Mutter wird sofort merken, dass etwas nicht stimmt. Was mache ich denn jetzt? "Ich habe gehört, dass es draußen noch Interviews für die Medien gibt. Ich brauche noch Stoff für meine nächste Arbeit, wie wär's wenn wir das Gespräch nach draußen verlegen?". Meine Mutter macht sich auf den Weg und mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich forme mit meinen Lippen ein großes Dankeschön. Mary zwinkert mir zu. Sie geht nun einige Meter vor mir mit meiner Mutter und versucht sie in ein Gespräch zu verwickeln. Ich atme auf. Dann spüre ich, wie mich eine Hand am Arm berührt. "Sophia, ist alles okay?". Als ich mich umdrehe, blicke ich in zwei strahlend blaue Augen. Panisch versuche ich zu vermeiden, dass meine Mutter mich mit ihm zusammen sieht und gleichzeitig will ich nicht, dass er etwas davon bemerkt. Also ganz locker. Mein Blick wandert von seinen Augen zu seinen Lippen und ohne etwas dagegen unternehmen zu können, gleiten meine Gedanken zu unserem letzten Treffen. "Ja danke, alles okay". Seine Lippen formen sich nun zu einem Lächeln und ich spüre, dass ich rot werde. "Hast du heute Abend schon etwas vor?". Die Schmetterlinge in meinem Bauch beginnen zu flattern. Es klingt irgendwie fremd, wenn wir uns per Du ansprechen. Natürlich will ich nicht wirken, als hätte ich seit dem letzten Mal nur so darauf gewartet, bis er wieder fragen würde, also überlege ich einen Moment. "Ich begleite Mary dann noch in die Innenstadt und danach habe ich eigentlich nichts mehr vor". Er schaut sich einen Moment um. Dann beugt sich dann zu mir vor und spricht nur so laut, dass gerade ich ihn hören kann. "Gut. Denn ich kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen und dich zu -". Die Dame, die mich beim ersten Mal hier im Parlament in sein Büro gebracht hat, unterbricht uns. Was für ein Timing. "Entschuldigen Sie die Unterbrechung Herr Bundeskanzler. Ihr nächster Termin erwartet Sie im Meeting-Raum." Sie wirft mir einen kühlen Blick zu. Oder bilde ich mir das bloß ein? "Ich rufe dich später an." Lächelnd verabschiedet er sich und macht kehrt. Wie eine Irre stehe ich nun im Parlament und schmunzle vor mich hin. Langsam kehre ich zurück in die Realität - meine Mutter! So schnell wie möglich mache ich mich auf den Weg nach draußen.



Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt