Wie kann er mich jedes Mal so eiskalt erwischen? Ich bleibe wie angewurzelt stehen und blicke ihn an. „Und? Teilst du deine Gedanken mit mir?". Was soll denn schon so witzig sein? Es sollte ein Witz sein, dass ich gerade an ihn gedacht habe und er im nächsten Moment vor mir steht. Er wirkt herausfordernd - doch ich spiele das nicht mit. All die Gefühle der letzten Wochen kommen in mir hoch. Doch neben all der Wut und Enttäuschung versteckt sich auch noch Sehnsucht. Ich kann es nicht verleugnen, schon gar nicht vor mir selbst - ich habe ihn vermisst. Jeden einzelnen Tag. Jetzt steht er hier vor mir und versucht so zu tun als wäre nichts passiert. Ich würde ihm gerne so vieles an den Kopf werfen doch ich stehe nach wie vor hier und sage gar nichts. Plötzlich verwandelt sich sein Gesichtsausdruck von belustigt zu etwas ernster. „Sophia, im Ernst. Wie geht es dir?". Er kommt einen Schritt näher und mein Puls beginnt zu rasen. Ich beschließe ihm nicht auf diese Frage zu antworten. „Wie geht es dir? Wie läuft der Wahlauftakt?". Er wendet den Blick ab. „Alles läuft großartig." Ich erkenne, wie er bloß halbherzig antwortet. Er blickt mir erneut in die Augen. „- beruflich." Was soll das nun heißen? Privat nicht? Mein Herz macht einen Sprung doch ich will die Freude klein halten. Denn egal was jetzt kommt - er hat mich verletzt. Auch wenn er mich ebenso vermisst hat - er hat mich verletzt. Mein Inneres Ich lacht auf mich herab. 'Schön wie du dir das einredest aber wir sehen beide dasselbe oder? Er trägt unseren Lieblingsanzug!' Ich versuche es zu ignorieren. „Wie lange wusstest du schon, dass du hier in der Uni eine Rede halten würdest?". Ich ziehe meine Augenbrauen hoch. Warum hat er mir nichts davon erzählt? Zum Beispiel, als er mich betrunken angerufen hat. „Weißt du, das war ein kurzfristiger Termin und -". Bevor er fortsetzen kann, höre ich Stimmen im Flur immer näher kommen. Er unterbricht und schaut sich um. Sebastian Kurz hat an einem Montagvormittag einen 'kurzfristigen' Termin an der Uni, die ich zufälligerweise besuche. Plötzlich wird es mir klar. Der Besuch im Café von dem mir Lisa erzählt hat - an dem Tag, an dem ich Schichten getauscht habe. Die kurzfristige Ansprache hier in der Uni und jetzt findet er mich in einem Nebengang nachdem ich den Saal verlassen habe. Er wollte mich sehen. Er wusste, ich hätte eigentlich Schicht gehabt und er wusste ebenso, dass es mich kalt erwischen würde, wenn er hier auftaucht. Ich hätte keine Ausweg gehabt. Die Stimmen kommen näher und zwei Professorinnen biegen um die Ecke Richtung uns. Ich spüre zwei Hände an meiner Hüfte und sehe, wie er die Türe neben uns öffnet. Stürmisch zieht er mich mit sich und verschließt sie hinter uns. Wir befinden uns in einer Art Archivkammer, die kaum Platz für zwei Personen bietet. Langsam blicke ich an mir herab und starre auf seine Hände, die immer noch an meiner Hüfte weilen. Der Raum hier ist so dunkel, dass ich nur ihn direkt vor mir sehen kann. Alles was ich höre ist sein schwerer Atem und mein Herz, das mir bis zum Hals schlägt. Ich spüre, wie er seine Hand auf meine Wange legt und mich zwingt, ihm in die Augen zu schauen. „Sophia". Er flüstert. Sein Blick wandert zu meinen Lippen und wieder zurück zu meinen Augen. Alle negativen Gefühle verschwimmen. Ich will ihn. Er streift meine Tasche von meiner Schulter und stellt sie auf den Boden. Dann kommt er näher und ohne darüber nachzudenken bewege ich meinen Kopf ebenso in seine Richtung. Ich nehme den vertrauten Pfefferminzduft wahr. Seine Lippen stoßen auf meine und meine Knie werden weich. Fordernd wandert seine andere Hand zu meinem Rücken und drückt mich näher zu ihm. Ich habe mich noch nie so machtvoll gefühlt wie in genau diesem Moment. Nun hält er mit beiden Händen mein Gesicht fest und küsst mich noch leidenschaftlicher als davor. Jeder Augenblick wird intensiver und ich kann spüren, dass er mich will. Hier auf der Stelle. Und ich würde lügen wenn ich sage, dass ich etwas dagegen hätte. Alles was in meinem Kopf schwirrt sind seine Worte. 'Um alles mit dir tun zu können'. Ich will, dass er alles mit mir tut. Ich kann ihm keinen Widerstand mehr halten und lasse mich an das Regal hinter mir drücken. Er unterbricht unseren Kuss keine Sekunde - ich habe das Gefühl, als würden meine Knie nicht mehr lange mithalten. Ich kann meine Hände nicht bei mir lassen. Langsam lege ich sie auf seine, die immer noch mein Gesicht festhalten. Er will die Kontrolle haben - und das ist die einzige Situation, in der es mir recht ist. Naja, sagen wir, fast die einzige. Ich bewege meine Hände weiter zu seiner Krawatte und ziehe leicht an ihr. Er stöhnt auf und unterbricht somit unseren Kuss. Überrascht öffne ich die Augen und er tut dies ebenso. Er schmunzelt bevor er sich zu meinem Ohr vorlehnt. Dann flüstert er - seine Hände berühren nun wieder meine Hüfte. „Ist dir eigentlich klar, welche Wirkung du auf mich hast?" Ich spüre, wie ich rot werde, doch hier drinnen kann man das zum Glück nicht so gut sehen. „Also gibst du zu, dass es keine Zufälle waren?" Ich weiß, dass er mich sehen wollte. Ich kann spüren, wie sehr er mich sehen wollte. Er lächelt. „Sophia, ich muss dir diese Frage nicht mehr beantworten". Behutsam drückt er mich noch näher an die Wand, sodass unsere Körper sich berühren. Ich schließe für einen Moment die Augen und genieße den Duft seines Parfüms. Ich werde schwach - all das hier, wie soll ich dem widerstehen? Gerade als er mit seinen Lippen erneut näher an meine kommen, reißt uns ein schrilles Geräusch aus dem Moment. Mein Handy klingelt. Scheiße - Eli! Ich krame es aus meiner Tasche, die noch immer am Boden neben mir steht und gehe ran. „Ich komm sofort, Eli." Ich brauche einen kurzen Moment, um mich zusammenzureißen. Dann erwache ich aus meiner, ich muss schon fast sagen Trance, und öffne die Türe. Sobald das Licht in den Raum dringt, ist der Moment vorbei. „Ich muss los." Dann packe ich meine Tasche und gehe so schnell ich kann Richtung Ausgang. Ich drehe mich kein einziges Mal um - ich will seinen Gesichtsausdruck gar nicht sehen. Ich will ihn gar nicht mehr sehen. Wie kann ich bloß so schwach werden? Braucht es wirklich nur eine dunklen Raum und einen Pfefferminzkaugummi um die letzten Wochen über Board zu werfen? Ich spüre die Hitze auf meinem Gesicht - bestimmt bin ich knallrot. Ich brauch eine Toilette um mich frisch zu machen.
Was ist bloß in mich gefahren? Ich starre mein Spiegelbild an. Wie vermutet sind meine Backen total errötet und meine Haare zerzaust - man würde von 50 Metern Entfernung sehen, was gerade los war. Ich versuche meine Haare mit meinen Fingern durchzubürsten. Während ich mein Gesicht mit kaltem Wasser abwasche, muss ich an vorher denken. Der Gedanke an sein Stöhnen lässt mein Gesicht wieder knallrot werden - na toll. Wie konnte mich so ... mitziehen lassen? Noch nie war ich in so einer leidenschaftlichen Situation. Nie im Leben hätte ich mir gedacht, dass unser Gespräch so endet. Zuerst haben wir noch normal gesprochen und dann - alles ging so schnell. 'DAS war HEISS' Ich verdrehe die Augen. Mein Inneres Ich scheint auch wieder hier zu sein - das brauche ich jetzt.'Er ist bestimmt auch so durch den Wind'. Sehe ich so aus? Nochmals gehe ich meine Haare mit meinen Fingerspitzen durch. Bevor ich das WC verlasse, binde ich sie jedoch zu einem Zopf zusammen. Ich will nicht, dass mich irgendjemand so sieht.
„Vielen Dank, dass du mich begleitest! Ich weiß, dir geht es nicht so gut." Nervös gehe ich Schritt für Schritt neben ihr her. Ich fasse es nicht, mich zu so etwas überreden zu lassen. Eli möchte unbedingt noch beim Gartenfest mit unserer Rektorin sprechen. Sie gewann letztes Semester bei irgendeinem Schreibwettbewerb und ist nun eine Runde weiter. Bei der Bekanntgabe hat die Rektorin zwar gemeint, dass Eli sie einfach aufsuchen und alles weitere mit ihr besprochen soll, jedoch wissen wir beide, dass sie auch nicht ganz uninteressiert an der Fragerunde mit ihm ist. Ich will keine schlechte Freundin sein und habe sie versprechen lassen, es kurz zu machen. Ich werde einfach im Hintergrund warten - und beobachten ob man es ihm auch ansieht. Um ehrlich zu sein, nichts interessiert mich gerade mehr. Lässt ihn sowas kalt? Oder ist er auch so durch den Wind? Im Garten hinter der Uni sind relativ viele Menschen versammelt. Die meisten haben ein Glas Sekt in der Hand und warten gespannt auf die Fortsetzung des Nachmittags. Ich hingegen will nur einen kurzen Blick erhaschen und bin weg - natürlich nur rein aus Interesse. Die Rektorin ist nirgends zu sehen. „Warten wir doch einfach, sie wird sicher bald auftauchen". Ich verdrehe die Augen. „Komm schon Sophia! Sicherlich interessiert dich die gemütliche Fragerunde doch auch oder?" Sie wirft mir eine verspielten Blick zu. „Holen wir uns ein Glas?" Sie deutet auf einen riesigen Tisch, an dem noch allerhand Getränke stehen. Ich nicke und folge ihr. Ich entdecke die beiden Mädchen, die hinter uns im Hörsaal gesessen sind. Wenn die wüssten, dass ich gerade mit dem Bundeskanzler in einer winzigen Kammer rumgemacht habe - ich meine, wenn das irgendjemand wüsste. Das klingt so surreal. Was auch surreal ist, ist das ich mich schon wieder auf ihn eingelassen habe. „Oh Gott, schnell, gehen wir!" Eli nimmt mich an der Hand und zieht mich in ihre Richtung. Sie steuert zu Stehtischen und - .... Mein Herz rutscht mir in die Hose. Er kommt gerade um die Ecke. Ich kann nur sein Seitenprofil sehen. Während Eli mich noch weiter zu den Tischen zieht, dreht er sich langsam um und erblickt mich. Er geht zu einem der Tische und sieht - normal aus. Bin ich enttäuscht? Wir machen Halt bei einem Tisch, der nur wenige Meter von ihm entfernt ist. Ich kann ihn nicht mehr sehen, da sich eine Menschenmenge um ihn herum gebildet hat. „So kann ich gar nichts sehen". Eli geht einen Schritt weiter und einige Leute machen Platz für sie. Ich erblicke ihn wieder. Er lächelt - mein Blick wandert zu seiner Krawatte. Sie sitzt schief.
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Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)
RomanceFanfiction über Sebastian Kurz