Kapitel 31

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"Hallo? Sophia?". Ich erwache aus meiner Starre und richte mich auf. Lisa fuchtelt mit ihrer Hand vor meinem Gesicht. Fragend blickt sie mich an. "Tut mir leid, was brauchst du?". Sie deutet auf den Bildschirm über der Kassa. Ich gehe näher ran und versuche, die Fehlermeldung zu beheben. "Das passiert manchmal, da musst du nur hier klicken." Ich zeige ihr noch, was sie machen soll, wenn sie mal alleine Dienst hat und nicht weiter weiß. Gespannt hört sie mir zu. Sie wirkt noch immer etwas nervös, aber definitiv nicht so unsicher wie anfangs. "Wie soll ich jemals eine Schicht alleine schaffen?". Ich zwinkere ihr zu. "Das machst du mit links." Lisa lächelt verlegen. Sie ist wirklich nett. Das ist nun schon meine vierte Schicht mit ihr, sie macht einen sehr guten Eindruck. Ich arbeite wirklich gerne mit ihr - im Gegensatz zu Max. Ihn mag ich eigentlich auch gerne, doch seit zwei Wochen gehe ich ihm bei jeder gemeinsamen Schicht aus dem Weg und verlasse das Café direkt nach Dienstschluss. Er wirkt ziemlich verwirrt aber auch sauer. Ich weiß, dass er denkt, dass ich ihm eine Erklärung schulde, doch das tue ich nicht. Kein einziges Mal habe ich mich auf seine Flirts eingelassen oder ihm das Gefühl gegeben, dass da mehr sein könnte. Also schulde ich ihm keinerlei Erklärung, wenn er mich mit jemand anderem sieht. Obwohl er eigentlich gar nichts gesehen hat. Ich verbiete mir darüber nachzudenken. Ich helfe Lisa die restlichen Tische abzuräumen. Während sie das Geschirr in den Geschirrspüler einräumt, wische ich den Tresen sauber. Unwillkürlich versetzen mich meine Gedanken zurück an den Tag, an dem er sich mit seinem Armen auf diesen Tresen gelehnt hat und von Schicksal geredet hat. Ich schüttle den Kopf und ermahne mich selbst. Keine Gedanken in diese Richtung Sophia. Einige Minuten später kommen einige Gäste durch die Türe und ich werfe Lisa einen 'das ist deine Chance' Blick zu. Noch einige Schichten und sie kann das alles hier alleine meistern. Lisa geht nervös zu dem Tisch, an dem die Gruppe Platz genommen hat. Die Männer tragen allesamt schicke Anzüge. Die Türe geht nochmal auf und mein Herz für einen kurzen Moment stehen. Ich schließe die Augen und atme tief aus. Das kann nicht für immer so weitergehen. Nicht jeder Mann, der Anfang dreißig ist und einen blauen Anzug trägt ist automatisch er. Ich öffne meine Augen und sehe in das verwirrte Gesicht von Lisa. "Alles okay?". Nein, nichts ist okay. Der Bundeskanzler hat mich sitzen lassen weil ich eine naive Studentin bin, die leicht rumzukriegen war. Denke ich das ehrlich? Oder bin ich wütend? "Klar, alles okay. Ich bin bloß ein wenig müde." Ich bin mir nicht sicher, ob sie mir die Geschichte abkauft. Plötzlich macht sie große Augen. "Übrigens!". Ich mache mich für eine ihrer Geschichten, die sie meistens viel zu emotional erzählt, bereit. Letzte Woche hat sie mir von ihrer Freundin berichtet, die während ihres Studiums geschummelt hat, aber nie erwischt wurde. Sie hat die Erzählung aber so in die Höhe getrieben, dass man denken könnte, ihre Freundin wurde erwischt und darf nun nie wieder an einer Uni studieren. Doch so enden ihre Geschichten nicht. Die genannte Freundin wurde nie erwischt und hat auch nicht wieder geschummelt. Meine Gedanken kreisen zu Mary. Sie erzählt Geschichten auf die genau gleiche Art und Weise. Doch ihre Geschichten enden meistens mit Konsequenzen. Es ist nun schon zwei Wochen her, seitdem ich mit ihr gesprochen habe. "Bei meiner Schlussschicht gestern, nachdem du weg warst, kam noch jemand herein und wollte etwas bestellen. Zuerst wollte ich natürlich sagen, dass wir bereits geschlossen haben, doch dann erkannte ich, wer vor mir stand ...". Meine Backen glühen. Es ist auch schon zwei Wochen her, seitdem ich ihn gesehen habe. War er meinetwegen hier? Meine Hände beginnen zu schwitzen. Dann nennt sie seinen Namen. Er war tatsächlich hier. Ich versuche, so normal wie möglich zu klingen. "Was wollte er denn?" Mein Inneres Ich wacht nun langsam auf und lauscht ebenfalls. "Ich war total nervös. Er wollte einen Kaffee bestellen - " "Doppelten Espresso." Lisa wirft mir einen überraschten Blick zu. "Woher weißt du das?". Scheiße, habe ich das gerade eben laut gesagt? Ich versuche, etwas gelassener zu klingen. Vielleicht sollte ich versuchen, etwas gelassener zu sein. "Ach weißt du, er kommt manchmal hierher und bestellt immer dasselbe-". Lüge. "Nach der Zeit weißt du schon, was die Kunden bestellen". Lüge. Er war bloß einmal hier und hat einen Kaffee getrunken. Ich weiß bloß was er bestellt, weil ich mit ihm aus war. Dachte ich wirklich, dass er wegen mir hier war? Moment mal - warum weiß Lisa nicht, dass ich ihn kenne? Hat sie uns damals nicht gesehen? Als er vor der Türe auf mich gewartet hat? Sie setzt fort. "Vielleicht werde ich eines Tages eine Schicht alleine übernehmen können. Doch ich kann niemals Sebastian Kurz bedienen. Auf gar keinen Fall - hast du mal gesehen, wie er aussieht?" Sie schwärmt. Sein Name versetzt mir einen Stich. Die Art, wie sie von ihm spricht - ich vermisse diese Freude wenn ich von ihm spreche. Es ist schon eine Weile her, seitdem ich seinen vollen Namen gehört habe. Seit dem letzten Gespräch in seinem Wohnzimmer, vermeide ich jegliche Berichte, Social Media Posts oder Plakate, auf denen er zu sehen ist. Naja, das mit den Plakaten hat sich als etwas schwieriger erwiesen. Auf dem Weg zur Arbeit heute morgen hat mich eine ältere Frau angerempelt, weil ich mitten auf dem Gehsteig von einem Plakat abgelenkt wurde. Inmitten von all den Fußgängern bin ich einfach wie angewurzelt vor einem ÖVP-Plakat mit seinem Gesicht darauf stehen geblieben. Nicht gerade einer meiner besten Tage.

Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt