Hilfesuchend schaue ich mich um. Was soll ich bloß sagen? "Ich bin hier als-". Mein Blick wandert zu ihm. Alles was ich erkennen kann sind Menschen, die ihn umkreisen und mit Fragen löchern. Ach Gott. Der Typ mit dem Mikro in der Hand starrt mich weiter an. "Ich bin hier aus Interesse vor der kommenden Wahl." Er scheint mit meiner Antwort ganz und gar nicht zufrieden zu sein. "Dürfen wir Ihnen dann nur folgende Frage stellen: Wir haben zufälligerweise gesehen, dass Sie aus dem selben Auto wie-". Mein Herz rutscht mir in die Hose als ich das ORF Logo auf der Kamera entdecke. Ach du scheiße. Fragt er mich gerade ernsthaft, warum ich mit dem Bundeskanzler im selben Auto her gefahren bin? Mein ganzes Gesicht wird warm. Ich sehe an seinem Blick, dass er erreicht hat, was er wollte. Schadenfroh will er gerade fortsetzen. Doch ein junger Mann kommt ihm zuvor. Er trägt einen blauen Anzug und ich erkenne ihn wieder. Wie hieß er noch schnell? Jakob? Jedenfalls hat er sich vorhin bei mir vorgestellt - er gehört zu seinem Team. "Danke das war's, heute wird hier niemand verhört - Sie werden wieder einmal von uns zu hören bekommen. Schönen Tag noch." Kopfschüttelnd stellt er sich vor mich und deutet mir mit ihm Richtung Zelteingang zu gehen. Hab ich irgendwas falsches gesagt? Wird das jetzt irgendwo ausgestrahlt? Oh Gott Oh Gott. Ich werde panisch und denke, Jakob kann mir die Angst aus dem Gesicht lesen. Bevor ich den Schritt in das Zelt reingehe, drehe ich mich um und entdecke ihn sofort in der Menge. Er kann es mir wohl auch ansehen. Inmitten von den ganzen Leuten folgt er mir mit seinem besorgten Blick. Drinnen angekommen, setze ich mich auf einen der Stühle. Jakob steht neben mir und tippt etwas in sein Handy. "Alles okay bei dir?". Er richtet seinen Blick auf mich. Ich versuche mich abzulenken, indem ich ihn kategorisiere. Viele würden Jakob für ziemlich attraktiv halten - rein äußerlich. Doch für mich hat gehen Attraktivität und Ausstrahlung Hand in Hand. Seine Ausstrahlung wirkt sehr jung und kindlich. Ich schätze ihn auf Mitte 20. Ich betrachte seine Kleidung. Sein Anzug sieht professionell aus, sitzt aber an den Beinen zu locker. Moment mal - seit wann achte ich darauf, wie ein Anzug wo sitzt? Genug Ablenkung - ich lasse die Situation Revue passieren, bevor ich ihm antworte. "Was war das eben?". Er schüttelt erneut seinen Kopf. "Dieser Journalist verfolgt uns schon seit längerem. Er braucht unbedingt eine Story - überhaupt jetzt." Sein Telefon klingelt und er geht sofort ran. Ich kann nicht zuordnen, worum es geht. "Ja - ich weiß. Nein. Jetzt sofort. Bis dann." Etwas energisch legt er auf. "Also, was hast du zu dem Journalisten genau gesagt?". Ich überlege kurz. Eigentlich habe ich doch nichts gesagt. Oder? Meine Emotionen haben mich verraten. Sein Handy klingelt erneut. "Da muss ich nochmal ran - warte hier." Jakob verlässt das Zelt.
Mittlerweile gehe ich auf und ab weil ich keine Ahnung habe, was das alles bedeutet. Was mache ich bloß, wenn das im Fernsehen oder im Internet zu sehen ist? Erst jetzt wird mir eigentlich klar, welche Ausmaße das alles annehmen kann. Ich werfe meinen Kopf zurück und blicke auf die Decke des Zeltes. Wann kommt Jakob bloß wieder? Warum soll ich hier warten? Das Kamerateam ist doch weggeschickt worden. Genau in dem Moment stürmt jemand herein. Endlich. Doch im Glauben mich zu Jakob umzudrehen, starre ich nun in zwei sorgsame blaue Augen. Er kommt auf mich zu und berührt mich mit beiden Händen an den Schultern. Meine Beine werden ganz wackelig. "Sophia. Alles okay bei dir?". Ich nicke. "Das tut mir so leid, du solltest nicht in so eine Situation geraten." Ich unterbreche ihn. "Alles gut.", ist alles was ich sagen kann. Unglaubwürdig schaut er mich an. Dann wird sein Blick weich und streift von meinen Augen zu meinen Lippen. Unwillkürlich berühre ich seine Hand, die noch immer auf meiner Schulter ruht. Er kommt näher. Ich nehme ein Gemisch aus Pfefferminze und seinem Parfum wahr. Seine Augen wandern nun wieder zu meinen. Er flüstert nun. "Ich hätte gleich hierher kommen sollen, als ich dich draußen gesehen habe". Ich lächle. Für einen Menschen der immer sehr kühl und arrogant nach außen wirkt, macht er sich ziemlich viele Gedanken. Zum ersten Mal gibt er mir ein Gefühl von Ruhe und Geborgenheit - und lässt meinen Puls nicht rasen. "Deine Rede war toll. Wirklich toll. Die Leute hören dir wirklich zu." Seine Hände bewegen sich von meinen Schultern zu meiner Hüfte. Vorsichtig platziert er sie dort. Mein Fehler - mein Puls rast - und zwar wie wild. Mein Herz pocht und die Spannung ist förmlich zu spüren. Alles herum wird still. Ich höre keine Stimmen von draußen, sogar meine eigenen Gedanken werden immer leiser und leiser. Küss mich. Das ist der einzige Gedanke in meinem Kopf. Küss mich. Mein ganzer Körper drängt danach. Diese Art von Verlangen ist mir völlig fremd. In dem Moment wird mir klar, noch nie wollte ich so sehr von jemandem geküsst werden. Ich stelle mir vor, wie sich der Pfefferminzgeschmack in meinem Mund breitmacht. Wo kommt das alles her? Wo haben sich diese Gedanken versteckt? Langsam beugt er sich zu mir vor.
Hinter ihm kommt nun tatsächlich Jakob hereinspaziert. Ich schließe meine Augen für einen Moment und atme leise aus um Spannung loszulassen. Oh man - was ist da gerade passiert? Jakob hebt seinen Kopf und steckt sein Handy weg. "Es gibt ein Problem-". Mit einem Blick, den ich nicht deuten kann, lässt er mich los und dreht sich um. "Okay, gehen wir." Doch er meint nicht mich damit. "Sophia, bleib bitte hier und warte bis ich zurück bin." Muss ich mich nun hier verstecken? Warum ist er nun wieder so kalt? Einerseits macht es ihm nichts aus, wenn Jakob reinkommt und uns so sieht, andererseits lässt er mich wieder so hier stehen. Na toll. Mein Inneres Ich meldet sich sofort. Seit wann lassen wir uns sowas gefallen? Es verschränkt die Arme und zieht die Augenbrauen zusammen. Ohne meine Zustimmung machen sich meine Beine auf den Weg nach draußen. Auf dem Platz sind deutlich weniger Leute und ich sehe auch weit und breit keine Kamera. In mir macht sich ein ungutes Gefühl breit. Was, wenn der Typ hier noch irgendwo ist und mich findet? Dann würde ich mir ewig vorwerfen, warum ich nicht einfach im Zelt warten konnte. Doch ich kann nicht - das konnte ich noch nie. Irgendwas in mir lässt sich ungerne Befehle erteilen und das habe ich mir auch noch nie nehmen lassen. Ich gehe ein Stück weg von der Bühne und den restlichen Frauen die ein Selfie davor schießen. Was es wohl für ein Problem gibt? Ich weiß echt nicht was ich denken soll, läuft das jetzt immer so ab? Eines Tages lande ich auf dem Titelblatt von irgend so einem schmierigen Magazin. Ich denke daran, was meine Mutter dazu sagen würde. Sie würde so wütend werden und - Moment mal. Meine Mutter - ich bin morgen bei ihr zum Essen. Na super, das kann ein Spaß werden. Sie wird mich über alles ausquetschen und mir ihre berühmten Ich-will-ja-nichts-sagen-aber-Reden nicht vorenthalten. Meine Freude hält sich in Grenzen.
Nach gut einer halben Stunde langweilige ich mich und gehe langsam wieder zurück zum Zelt. Sein Fahrer gabelt mich auf. "Herr Kurz wartet bereits im Wagen auf Sie." Ich bedanke mich und laufe Richtung Auto. Umso mehr ich mich dem Auto nähere, desto mehr wünschte ich, ich hätte ihm den Gefallen getan und im Zelt gewartet. Wird er was sagen? Durch die verdunkelten Scheiben kann ich nicht erkennen, was er gerade drinnen tut. Der Fahrer öffnet mir die Autotür auf der anderen Seite. Ich streife mir mein Kleid zurecht und spüre wie meine Hände beginnen zu schwitzen. Ich setze mich hinein und schaue erst auf seine Seite, als ich mich angeschnallt habe. Gerade als ich was sagen will, beginnt er zu reden. Sein Blick verrät nicht, was gerade in ihm vorgeht. "Ich werde mit meinem Team mitfahren - es gibt noch einiges zu klären. Ich würde mir wünschen, dass du dich von meinem Fahrer zu mir bringen lässt und dort auf mich wartest." Seine Stimme wird weicher, als er mich anschaut. "- ich würde gerne etwas besprechen und mit dir essen. Natürlich nur wenn du das auch möchtest, Sophia. Ich würde verstehen wenn nicht, nach heute..." Oh. Er ist also gar nicht wütend. Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll, also nicke ich bloß. "Also dann - bis später." Dann steigt er aus und geht.
Wir fahren bereits in der Wiener Innenstadt. Ich weiß nicht wo mir der Kopf steht. Beim Gespräch vorhin hat er mich kaum angesehen aber seine Worte deuten darauf, dass er nicht böse auf mich ist. Was ist sonst los? Ich weiß auch nicht, warum ich so nervös war, bevor ich in das Auto gestiegen bin. Was habe ich erwartet? Eigentlich habe ich doch nichts falsches getan - oder doch? Ich lehne meinen Kopf an die Fensterscheibe. Draußen ist es bereits dunkel. Im Moment würde ich gerne nach Hause und unter meine Decke kriechen. Oder mit Mary telefonieren. Doch ich hole weder mein Handy heraus, noch sage ich dem Fahrer, dass er mich nach Hause bringen soll. Ich will wissen, was er besprechen will. Und ich will wissen, warum er sich vorhin so verhalten hat. Ich würde ihn so gerne verstehen und besser kennenlernen - doch ich weiß nicht, ob ich heute noch die Kraft dazu habe. Das Auto kommt vor seinem Haus zum Stillstand. Gerade als ich mich umentschieden habe und dem Fahrer Bescheid geben will, öffnet er die Türe. Er blickt mich entschuldigend an, zieht einen Mundwinkel nach oben und lächelt schief. Da ist er wieder. Für einen kurzen Moment erblicke ich den Mann, mit dem ich stundenlang auf dem Dach eines Hotels gelacht habe und der mir von seiner Kindheit erzählt hat - der distanzierte und emotionslose Bundeskanzler ist verschwunden. Wortlos steige ich aus und folge ich ihm zum Eingang.
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Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)
RomanceFanfiction über Sebastian Kurz