Kapitel 4

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"Auf Wiedersehen!" Ich grüße den Mann, der mich nach draußen begleitet, zurück. Immer und immer wieder, habe ich die Situatione von eben, in meinem Kopf durchgespielt. Ich komme zu keiner Erklärung, warum er mich dafür extra zu ihm bringen hat lassen. Er hat sich mindestens zweimal entschuldigt, obwohl er nichts dafür kann. Und was soll das heißen, ich kann ihn anrufen, egal um welche Gelegenheit es sich handelt?

Nachdem Mary mich praktisch umgerannt hat vor Neugierde, hat es mich zehn Minuten gekostet, sie zu überreden, erst alles zu Hause zu besprechen. Eine Langfassung, mit tausend Unterbrechnungen, weil ich etwas nicht genau genug erklärt hätte, der Erzählung später, nippe ich an meinem Tee und warte Mary's Reaktion ab. "OMG". Mehr kommt da nicht? "DU WARST ALLEINE BEIM BUNDESKANZLER UND DARFST IHN ANRUFEN WENN DU WILLST!" Wusste ich's doch. Gerade als ich was sagen will, fährt sie fort. "Ich kann das nicht glauben. Weißt du eigentlich, was das heißt? Niemand geht einfach so zu ihm und redet ALLEINE mit ihm! Du hast seine Nummer. Er hat dir durch die Blume gesagt, du sollst anrufen". "Mary, ich -". "Doch, du kannst, und wirst es auch. Wir lassen uns etwas einfallen, das ist deine Chance!!". Oh nein, nicht einer von ihren super Plänen, die Erfolgsquoten sind nicht die besten, um ehrlich zu sein, klappt es fast nie."Er hat mir nicht gesagt, ich soll anrufen, er wollte nur freundlich sein. Vielleicht für die Presse. Vielleicht wollte er bloß sichergehen, dass ich nichts weitererzähle oder eine Anzeige mache, ohne, dass er es weiß". Mary nimmt mir meine Tasse aus der Hand und stellt sie am Tisch ab. Dann greift sie nach meinen Händen und blickt mich eindringlich an. "Oder, er will dich nochmal sehen. Ich bin bald Journalistin, ich weiß, dass sowas öfter vorkommt, als du denkst". Ich unterbreche Mary und mache mich von ihr los. "Mary, wir wissen rein gar nichts über ihn. Wie alt ist er? 32, 33? Wir wissen nicht mal ob er eine Freundin hat, stell dir vor wie unglaublich peinlich das wäre, würde ich anrufen um zu flirten, was ich nebenbei gesagt vor lauter stottern NIE könnte, und dann stellt sich heraus, er wollte bloß nett sein und ist vergeben. Mary, ich bin Studentin, das alles hier ist sowas von absurd!!". Sie holt gespielt tief Luft. "Also, er ist 33 Jahre alt und hat sein Studium abgebrochen, um sich politisch zu arrangieren. Zum Thema Freundin, ich habe vor dem Parlament nicht tatenlos gewartet, ich habe gegoogelt, meine Liebe. Er hat zwar laut Google eine Freu-". Wusste ich's doch. Warum bin ich irgendwie verletzt? Was ist bloß los mit mir, ich kenne ihn doch gar nicht. Sofort unterbreche ich sie. "Da hast du es ja! Siehst du! Wie kannst du dann, obwohl du das weißt, von mir verlangen, anzurufen?!". "Lass mich doch mal ausreden! Das letzte gemeinsame Foto ist vor zehn Monaten erschienen!!!". Das kann alles bedeuten. "Mary, vielleicht halten sie ihre Beziehung privat, das kann niemand wissen". Sie steht auf und geht im Wohnzimmer auf und ab. "Du könntest es aber wissen, indem du anrufst". Jetzt fängt sie schon wieder damit an. Ich lache auf. "Niemals. Ich werde nicht anrufen, du warst doch gar nicht dabei, du weißt nicht, wie er es gesagt hat". So ganz kann ich Mary da nicht überzeugen, ich glaube mir selbst nicht mal. Er hatte tatsächlich so einen Ausdruck in seinen Augen. Seine blauen Augen ... "Sophia??? Hörst du mir überhaupt zu??". Was hat sie gesagt? "Hör mal, ich bin noch müde von gestern Abend und muss morgen arbeiten. Ich will mir keine Pläne anhören, da ich nicht anrufen werde".

Ich liege wach im Bett und starre die Wand an. Meine Gedanken kreisen sich nur um ihn. Was soll das alles bedeuten? Ich kann ihn nicht anrufen, keinesfalls. Trotzdem will ich erfahren, warum er so gehandelt hat. Kann das alles mehr bedeuten, oder bilde ich mir das alles bloß ein? Mary könnte zwar recht haben, aber leider hat sie auch nicht gerade eine objektive Meinung dazu. Das ist doch verrückt. Noch gestern war alles normal und dann fährt mich der Fahrer des Bundeskanzerls an, er selbst trägt mich ins Auto, ich wache im Krankenhaus auf und im Parlament holt er mich zu sich und entschuldigt sich persönlich bei mir. Ich grinse. Das würde mir doch nie jemand glauben.

Noch immer müde, schalte ich den Wecker aus. Wann bin ich gestern bloß eingeschlafen? Ich habe noch eine gute halbe Stunde Zeit, um mich fertig zu machen, ohne zu spät zu meiner Mittagsschicht im Cafè zu kommen. Wir haben dort freie Kleiderwahl, nur ein Namensschild und eine rote Schlaufe am Handgelenk sind Pflicht. Nachdem ich im Badezimmer fertig bin, föhne ich mir schnell die Haare und binde sie zu einem Halbzopf zusammen. Ich trage etwas Maskara und Lippenbalsam auf. Ich stehe nun vor meinem Kleiderschrank. Auf was habe ich heute Lust? Ich nehme ein dunkelblaues, lockeres Kleid heraus und ziehe es an. Ich betrachte mich im Spiegel. Meine Haare liegen glatt auf meinen Schultern, die Ärmel des Kleides hören genau in der Mitte meines Armes auf - und plötzlich muss ich an ihn denken, wie er im Parlament meinen Arm zum Abschied berührt hat. Ich sehe, wie ich erröte. Das muss aufhören, außerdem muss ich echt los.

Im Cafè ist relativ wenig los, deswegen unterhalte ich mich die meiste Zeit mit Max, dem anderen Hilfskellner. Er studiert auch hier in Wien und wohnt ebenfalls alleine. Er feiert gerne, jedoch übertreibt er es nicht und schaut auf seine Noten. Also quasi eine Mischung aus Mary und mir. Ich erzähle ihm die Geschichte vom Wochenende, als mich Mary in eine Bar mitgeschleppt und  dann stehengelassen hat, den Rest lasse ich weg. "Dann musstest du also alleine nach Hause gehen, arme Sophia". Er umarmt mich und tut so, als würde er mich trösten. Erheitert lache ich. "Ja, so ungefähr war das". Als er den letzten seiner zugeteilten Tische abräumt, stehen wir an der Theke und er umarmt mich zur Verabschiedung. "Bis morgen Sophia". Er lässt mich wieder los, und macht sich Richtung Personalausgang hinten, während ich vor Schreck fast umkippe.

Das gibt's doch nicht. So schnell ich kann, bücke ich mich und tue so, als würde ich Tassen aus dem unteren Regal herausnehmen. Das ist doch nicht zu fassen. Hab ich mich vielleicht verschaut? Bin ich verrückt? Ich kann nicht nachschauen, ob er gerade wirklich durch diese Türe gegangen ist. Dann fällt mir ein - ich muss, ich arbeite schließlich hier. Oh Gott oh Gott oh Gott. Ich nehme all meinen Mut zusammen und stehe auf. Ich streiche meine Haare hinters Ohr und gehe um die Ecke. Nein, ich kann nicht. Ich bleibe abrupt stehen und halte für einen Moment inne. Noch kann ich den Tisch, auf dem er sitzt, nicht sehen. Sophia! Reiß dich zusammen, falls es sich wirklich um ihn handelt, kannst du doch den Bundeskanzler nicht warten lassen!! Ich setze langsam meinen Weg fort und gehe um die Ecke. Auf dem Tisch sitzen drei Leute vor ihren Laptops und unterhalten sich. Dann sehe ich ihn. Ich erkenne ihn sofort. Er sitzt verkehrt und unterhält sich mit den anderen am Tisch. Er lacht auf. Ich kann da nicht hin. Doch es ist zu spät. Ich stehe wie angewurzelt vor ihm. So gut wie auch nur irgendwie möglich, begrüße ich alle mit einem "Guten Tag, was kann ich für Sie tun?". Er dreht sich sofort zu mir und schaut mich an. Er schaut mir direkt in die Augen. Ich kann nichts anderes tun, als seinem Blick standzuhalten und in seine blauen Augen zu schauen, die Augen, die mich sogar bis in meine Träume verfolgen. Er schmunzelt mich an und blickt auf mein Namensschild. "Den wünsche ich Ihnen auch, Sophia". Ich lächle dankend zurück, und vermute ich laufe schon wieder rot an. "Für mich bitte einen Espresso". Fast vergesse ich meine Manieren. "Darf's ein Glas Wasser dazu sein?". Er nickt. "Gerne". Er lässt mich nicht aus den Augen, als ich die anderen am Tisch bediene. Sie sind alle jung und tragen ebenfalls Anzüge. Als ich die Bestellungen alle aufgenommen habe, drehe ich mich um und gehe zurück. Ich versuche möglichst normal zu gehen, trotzdem wackel ich um die Ecke zurück.

Wie konnte ich das überleben, ohne die Fassung zu verlieren. Oh mein Gott. Ich darf die Bestellungen nicht vergessen. Ich muss nochmal hin, wie soll ich das schaffen. Ich gerate ein wenig in Panik beim Zubereiten der Getränke und verschütte versehentlich Kaffee am Tresen. Ich schnappe mir ein Tuch, in dem Moment kommt jemand um die Ecke, lehnt sich vor mir mit einer Hand auf den Tresen und grinst. Ich blicke auf und hole scharf Luft. "Brauchen Sie Hilfe?"

Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt