Kapitel 6

1K 43 13
                                    

Immer wieder sieht er mich an. Immer wieder verliere ich den Faden, weil ich nicht aufhören kann, mich in meinen Gedanken zu verlieren. Was macht er nur mit mir? "Er kann absolut nicht den Blick von dir lassen, Sophia". Mary flüstert, zum Glück. Ich grinse verlegen. "Vielleicht sieht er jemand anderes an". Mary lacht auf. Sie erntet ein paar grimmige Blicke. Ich lache nun ebenfalls leise.


"Ich will hier nicht stehen und warten". Mary besteht darauf, hier so lange zu bleiben, bis er zufällig vorbeikommt und mich entdeckt. Zugegeben, ich hab richtig Schiss. Ich kann mich nicht jetzt schon peinlich machen, es ist erst Pause, drei weitere Reden folgen noch. Ich wende mich Mary zu. "Erstens, was soll ich sagen, wenn er hier ist? Ich will nicht schon wieder in so eine peinliche Situation gebracht werden. Zweitens -". Oh nein. Da kommt er. Noch redet er mit zwei Männern, ein paar Meter weiter weg von uns. "Komm schon, jetzt ist der Zeitpunkt zum Gehen". Mary bleibt wie angewurzelt stehen und hält meine Hand fest. Bitte nicht. Es ist zu spät, er hat mich entdeckt. Mit entspannten Schritten kommt er auf uns zu. "Sie sind ja tatsächlich gekommen, ich bin überaus erfreut!". Meine Backen glühen. Er streckt mir die Hand hin und ich schüttle sie. "Ähm - ja.". Er lässt meine Hand los und schaut Mary an. Ach ja -stimmt. "Das hier ist Mary". Er schüttelt ihre Hand ebenfalls. "Es freut mich wirklich sehr Sie zu treffen, ich bin riesengroßer Fan!!". Peinlich berührt presse ich meine Augen zusammen. "Mich freut es ebenfalls  - und danke, das weiß ich sehr zu schätzen". Ich öffne sie wieder und wage einen Blick in seine Augen. Sein Blick geht ebenfalls direkt in meine. Ich spüre ein Kribbeln im Bauch und mir wird plötzlich total heiß. Ich versuche höflich zu lächeln. "Wie fanden Sie beide die Rede?". Mary fängt sofort an zu reden. "Sehr informativ und wirklich außerordentlich gut gesprochen! Überhaupt der Teil mit ...". Ich schweife ab. Gespannt beobachte ich seine Mimik. Mal lächelt er - mal schaut er ganz ernst und aufmerksam. Anscheinend erklärt er gerade etwas, er gestekuliert mit seinen Händen. Ich betrachte sein Gesicht - von seinen Haaren bis zu seinen Lippen ... "Und Sie?". Er blickt mich an. Oh Gott. Was? Ich habe kein Wort gehört. Oh nein. Was soll ich bloß sagen? Mary sieht mir anscheinend an, dass ich gleich die Fassung verliere. "Ich gehe mal schnell auf die Toilette, bin gleich wieder hier". Wie kann sie bloß so ruhig sein? Irgendwie bin ich froh, dass wir alleine sind aber irgendwie ist es mir total unangenehm.  Ich muss endlich aufhören damit, so eingeschüchtert zu wirken. Ich nehme all meinen Mut zusammen. "Ich fand die Rede sehr vielversprechend". Er mustert mich genau. Ich fahre fort. "Komplimente hören Sie bestimmt oft - und natürlich sprechen Sie toll". Er wirkt etwas angespannt. "Aber ich fand es auch sehr vielversprechend - wenn wirklich alles so umgesetzt wird, wie behauptet, dann klar, ist das toll aber-". Ich streiche mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr - das mache ich immer wenn ich nervös werde. "- das hört sich sehr schwierig an". So das war's. Ich hab dem Bundeskanzler meine Meinung gesagt, was habe ich mir bloß dabei gedacht. Nun wirkt er nachdenklich, eine Hand am Kinn und die andere steckt er in die Tasche seiner Stoffhose. "Ich muss schon sagen, das überrascht mich. Was besseres als konstruktive Kritik kann man sich jedoch in meiner Position kaum wünschen. Ich danke Ihnen, Sophia". Oh Gott. Zum Glück. Ein älteres Paar kommt auf uns zu und die Dame spricht ihn an, ich kann nicht hören, was sie sagt. Er unterbricht unseren Blickkontakt keine Sekunde. Sein Blick gleitet von meinen Augen zu meinen Lippen - und zurück. Er nickt. Dann wendet er sich der Dame zu und antwortet ihr. Ich beobachte ihn solange ich nur kann, ohne, dass er es bemerkt. Er hat diese charmante Art an sich, als würde ihn jeder mögen, ohne, dass er sich großartig darum bemühen muss. Einige Augenblicke später verabschiedet er sie und dreht sich zurück zu mir. "Tut mir sehr leid, einige andere Leute wollen ebenfalls mehr von diesen vielen Versprechen wissen". Er schmunzelt und ich muss kichern. Doch eigentlich will ich ihn etwas fragen, außerdem muss ich auch nun mal von alleine etwas sagen. "Kann ich Sie etwas fragen?". Er scheint erfreut zu sein. "Selbstverständlich". Ich reiße mich nochmal zusammen. "Wie konnten Sie wissen, dass ich Bescheid wusste, dass Sie es sind. Also an dem Tag, als Sie mich im Parlament zu sich holen ließen, wie wussten Sie, dass ich Sie erkannt habe?" Bevor er etwas sagen kann, unterbricht ihn wieder jemand. Dieses Mal ein Mann, der sehr formal gekleidet ist und aufgebracht wirkt. Er flüstert ihm etwas zu. "Besprechen wir das doch nach der Veranstaltung". Der Mann geht wieder. Ich beobachte, wie sich die Leute wieder in den Saal begeben. Erst jetzt bemerke ich außerdem all die Blicke, die an uns haften. Fast jeder, der vorbei kommt, starrt mich an. "Ich muss mich dann wohl nochmals entschuldigen". Bevor ich sagen kann, dass das nicht nötig ist, kommt er mir zuvor. "Ich muss da nochmal rauf". Er deutet auf das Podium. "Aber - wie wär's, wenn wir all Ihre Fragen bei einer Tasse Kaffee klären?" Was? "J-ja - gerne". Ich laufe vermutlich gerade rot an. Bevor er sich umdreht und geht, fügt er schmunzelnd noch etwas hinzu. "Ich rufe Sie an - persönlich dieses Mal". Ich lächle zurück und wie erstarrt schaue ich ihm nach, bis er in der Menschenmenge verschwindet. Das kann doch nicht wahr sein. Der Bundeskanzler hat mich doch gerade nicht wirklich zu einer Tasse Kaffee eingeladen. Ich kneife mich selbst, um sicherzugehen, dass ich nicht träume. Mit wackeligen Beinen gehe ich zurück in den Saal.



Mary und ich sitzen in unserer Lieblingsbar, die nur einen Katzensprung entfernt ist, zu meinem Glück, denn ich konnte Mary nicht länger ruhig halten. Da es nichts ist, dass ich einfach so im Parlament vor allen Leuten erzählen sollte, fange ich erst jetzt an zu reden. Gespielt halte ich die Spannung. "Also - wie soll ich das bloß sagen?" Mary wird schön langsam wütend. "BITTE erzähl es mir!!". Der Barkeeper stellt uns unsere Getränke hin. Ich nippe an meinem. Dann erzähle ich ihr von dem Gespräch, den Unterbrechungen und dem Augenkontakt. Als ich ihr von meiner Frage erzähle, macht sie große Augen. "Dann hat er gefragt, ob wir 'all die Fragen' bei einer Tasse Kaffee klären". Mary tut so, als würde sie vom Stuhl fallen. Als sie wieder normal sitzt, schließt sie ihre Augen. "Warum flippst du nicht total aus??". Sie öffnet ihre Augen wieder und redet weiter. "ICH KANN DAS NICHT FASSEN!!" Sie trinkt einen großen Schluck von ihrem Mojito. "Warum trinkst du jetzt eine Himbeerlimo? Das sollten wir feiern!" Ich schüttel meinen Kopf. Auf gar keinen Fall. "Noch hat er nicht angerufen und wir waren noch keinen Kaffee trinken". Sekunden später werde ich mit einem Stück ihrer Serviette beschossen und wir beginnen beide zu lachen.


Jeden Moment könnte es so weit sein. Was wenn ich nicht antworten kann, weil ich so nervös bin? Oh Gott. Irgendwas peinliches geschieht, ich spüre das. Ich sitze auf meiner Couch - neben mir liegt mein Handy. Ich ging gestern früh ins Bett, nicht um zu schlafen, nein - ich hab wie eine Irre sein ganzes Instagramprofil gestalkt. Vielleicht habe ich auch das ein oder andere Foto gescreenshotet. Heute morgen konnte ich nicht länger als 8 Uhr schlafen. Ich hatte doch tatsächlich Panik, dass er mich anruft. Jetzt ist es Nachmittag und ich sitze wie ein Idiot neben meinem Handy und warte. Ich kann das noch immer nicht fassen. Das ist alles so -. Da klingelt es. Langsam greife ich nach meinem Handy und werfe einen Blick auf den Bildschirm. Unbekannte Nummer. Das könnte jeder sein. Warum habe ich die Nummer das letzte Mal nicht eingespeichert? Dann wüsste ich zumindest Bescheid. Wie soll ich mich bloß melden? Oh Gott. Ich nehme ab. "Hallo - Sophia hier". Was war das denn für eine Begrüßung?? "Guten Tag, Sophia!" Ich würde seine Stimme im Schlaf erkennen. Ich habe tatsächlich gerade Sebastian Kurz am Handy. "Wie geht es Ihnen?" Ich schlucke nervös, bevor ich antworte. "Alles gut, danke der Nachfrage. Und Ihnen?" Zum Glück habe ich heute Vormittag schon ein Telefongespräch mit Mary simuliert. "Alles bestens, dankesehr. Ich rufe an, um auf das Gespräch neulich Abend zurückzukommen. Um genau zu sein - den Kaffee, den wir gemeinsam trinken gehen". Oh Gott, was wenn er absagt - oder noch schlimmer, was, wenn er wirklich vorhat, einen Kaffee mit mir zu trinken? "Haben Sie übermorgen schon etwas vor?"

Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt