Kapitel 22

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Was macht er denn hier? Oh nein. Ich schaue ihn an. Sein Blick ist eine Mischung aus traurig, überrascht aber auch ein wenig wütend. "Sophia? Was-?" Ich unterbreche ihn, denn ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich ihm das erklären soll. Außerdem bin ich auch nicht dazu bereit, diese Frage gestellt zu bekommen. Ich will ihn nicht anlügen, denn er wird wieder ins Café kommen und mich abholen  - und Max wird da sein. Ich werde panisch - irgendwas muss ich sagen, sonst tut er es. Er holt tief Luft. "Hör zu Max, es ist nicht so wie es aussieht." Unglaubwürdig schaut er mich an. Bevor er etwas kann, setze ich fort. "Das alles ist zu kompliziert für eine einfache Erklärung und ich muss jetzt los, okay?". Ich rufe ihm ein knappes "Bis zum nächsten Mal" zu und laufe in Richtung Innenstadt. Was mache ich bloß? Warum sage ich ihm nicht einfach die Wahrheit? Aber was ist die Wahrheit? Ich kenne sie selbst nicht einmal. Im nächsten Moment krame ich mein Handy aus meiner Tasche und wähle Marys Nummer.

Minuten später stehe ich in der Schlange bei Starbucks, um meine Nerven mit einem eiskalten Iced Capuccino zu beruhigen. Mein Handy halte ich immer noch ans Ohr. "Weißt du eigentlich, dass du ihm gar keine Erklärung schuldig bist? Er ist weder dein Freund, noch hattest du was mit ihm. Zumindest so weit ich weiß". Ich lache auf. "Nein, wir sind befreundet. Aber du hättest seinen Blick sehen müssen, ich-". Mary unterbricht meine Mitleidsrede und ersetzt sie durch 'Wir sind niemandem etwas schuldig und können leben wie wir wollen'. Während sie redet, stelle ich mir vor, wie ich mit ihm hier bin. Das klingt so absurd. Ich stehe mit dem Bundeskanzler in einem Starbucks und wir warten auf unsere Iced Capuccinos. Würde ihn die Mitarbeiter nach seinem Namen fragen? Wird er dann mit seinem Vornamen aufgerufen? Ich muss schmunzeln. In was für eine Zwickmühle würden die Mitarbeiter gebracht werden, würde der Bundeskanzler vor ihnen stehen. Vielleicht schreiben sie aber auch einfach Herr Kurz auf seinen Becher. Meine Mundwinkel bewegen sich noch mehr nach oben. "Sophia? Bist du noch da?". Mary reißt mich aus meinen Gedanken. "Klar. Du hör mal Mary, ich muss jetzt aufhören, wir hören uns nachher okay?" Sie grummelt. "Aber du rufst mich wirklich an. Ich will alles hören, immerhin hat er dich nur angefahren, da ich dich zum Ausgehen überredet habe!" Stolz erzählt sie von dieser Nacht. "Mary, sein Fahrer hat mich angefahren, nicht er selbst." Der Mann vor mir dreht sich um. "Trotzdem hast du nur deswegen ein D-". Ich vollende den Satz, den ich mir die letzten Wochen zumindest einmal pro Tag anhören durfte. "-Date mit dem Bundeskanzler ich weiß." Jetzt drehen sich plötzlich auch der Kassa-Mitarbeiter und die zwei Frauen vor dem Mann zu mir um. Oh Gott. Ich verabschiede mich von Mary, hol meinen Kaffee ab und mache mich so schnell wie möglich auf den Weg nach draußen. 

In der Bahn, auf dem Weg nach Hause, überlege ich, wie ich das mit Max regle. Er hat uns gesehen - das steht fest. Er hat uns nicht nur einmal, sondern gleich zweimal gesehen. Das heißt, die Ausrede, dass das alles nur Zufall war, fällt auf jeden Fall weg. Aber was genau soll ich ihm erzählen? Ich gehe mit dem Bundeskanzler von Österreich aus, aber ich weiß selbst noch nicht so ganz wohin das alles führen soll. Ich schließe meine Augen für einen kurzen Moment. Wie bin ich hier bloß gelandet. Vielleicht sollte ich ihn einfach selbst fragen, was genau ich Max erzählen soll. Mein Inneres Ich lacht laut auf und schaut verspottend auf mich herab. Als würde ich mich das jemals trauen. Hey! Guten Abend, was genau ist das zwischen uns? Eine Möglichkeit, einigen einsamen Abendessen aus dem Weg zu gehen oder besteht tatsächlich die Chance, dass er mehr will? Mein Inneres Ich macht sich groß und setzt einen selbstgerechten Blick auf. Will ich das überhaupt? Kann ich mir vorstellen, mit ihm weiter zu gehen, als auf ein paar unverbindliche Dates? Mein Kopf beginnt zu pochen. Ich hoffe, mir wird bald klar, was ich will. Das alles macht mir immer mehr und mehr zu schaffen. 

Genau in dem Moment, in dem ich aus der Dusche steige, klingelt mein Handy. Mein Herz beginnt zu schneller zu pochen. Ich hole es heraus und starre erwartungsvoll auf den Bildschirm. Das Wasser tropft auf den Boden und mein Puls rast. Meine Mutter. Ich stelle es auf stumm und werfe das Handy zurück in die Tasche. Ich habe jetzt keinen Kopf für ein Gespräch mit ihr. Bestimmt wird sie mich fragen, wann ich am Sonntag zum Essen vorbeikomme. Dabei will ich eigentlich gar nicht kommen, aber was für eine Ausrede müsste ich erfinden, die auch nur irgendwie glaubhaft für sie wirkt. Ich wickle ein Handtuch um meine Haare. Also wird es wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass ich hinfahren muss. Ich seufze. Dann öffne ich das Fenster und werfe einen Blick hinaus. Ich liebe diese Stadt. Man hat nie das Gefühl, alleine zu sein. Ich weiß noch, wie das in meiner Heimat war. Jeder kannte jeden und wusste über jedes Gerücht Bescheid. Doch hier starrt man auf der Straße keinen an oder macht blöde Bemerkungen über Outfits - jeder kümmert sich mehr um sich selbst. Fast als wäre man unsichtbar. Nachdem ich meine Haare trockengeföhnt habe, packe ich meine Tasche und begebe mich ins Schlafzimmer. Was ziehe ich an? Ich öffne meinen Kleiderschrank und mein Blick fällt auf ein beiges, schulterfreies Kleid. Ist das zu gewagt? Mein Inneres Ich meldet sich erneut. Du machst dir Gedanken darüber, ob dein Kleid zu gewagt ist, weil es schulterfrei ist aber findest nicht, ein Date mit dem Bundeskanzler sei zu gewagt? Ich schmunzle in mich hinein. Dann greife ich nach dem Kleid und probiere es an. Mein Inneres Ich klopft sich selbst auf die Schulter. Zurück im Badezimmer, locke ich ein paar Strähnen ein und trage etwas Mascara auf. Dann denke ich über das Gespräch heute nach. Was will er mir sagen? Ich habe keine Ahnung. Ob es ernst ist? Mein Handy klingelt erneut. Bereit, es wieder stummzuschalten, schnappe ich überrascht nach Luft. Er ist dran. Ich nehme ab. "Wunderschönen Abend Sophia, bist du bereit?". Ich begrüße ihn. "So gut wie, ich brauche noch einen kurzen Moment". Hektisch packe ich mein Schminkzeug weg und mach mich auf die Suche nach meinen Schuhen und meiner Clutch. "Ach übrigens, tust du mir noch einen Gefallen?". Was könnte er wollen? "Schau mal aus dem Fenster". Mein Herz beginnt wieder wie wild zu pochen. Ich gehe zum Fenster und werfe einen Blick hinaus. Am Straßenrand parkt der schwarze BMW und er steht daneben. Mit einem Strauß Rosen in der Hand. Mein Herz macht einen Sprung. Er wirft mir ein breites Lächeln zu und ich winke hinaus. Dann packe ich meine Sachen zusammen und mache mich auf den Weg nach unten.

Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt