Kapitel 26

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Stillschweigend gehe ich neben ihm den Flur entlang. Die Kluft zwischen uns ist unerträglich. Doch ich will das Gespräch nicht beginnen - obwohl ich doch so viele Fragen hätte. Ich glaube es wäre besser gewesen, heute alleine nach Hause zu fahren - irgendwas ist komisch. Er wirkt distanziert - und das, obwohl ich nur deswegen hier bin, weil er es möchte. Langsam denke ich, er braucht diese Gegenstärke, die auch mal Nein sagt. Er macht einen Schritt vor und bleibt dann abrupt stehen. „Möchtest du einen Tee?". Ich sollte nach Hause fahren - mein Gefühl liegt nie falsch. Na gut - sagen wir fast nie. Bin ich bloß eingeschnappt oder will ich tatsächlich lieber nach Hause? Ich wage einen Blick in sein Gesicht. Seine sonst so strahlenden Augen wirken besorgt, doch ich scheine nicht der Grund dafür zu sein. Er wirkt nachdenklich. Das Licht wirft einen kleinen Schatten meines Körpers an die Wand. Genauso fühle ich mich auch im Moment. „Ich glaube, ich sollte besser-". Der allzu bekannte Klingelton läutet auf. Ohne zu zögern zückt er sein Handy und deutet mir mit Finger zu warten. Na toll. Er verlässt den Raum und betritt die Küche. Ich folge ihm einige Schritte und stehe nun lauschend an der Wand, sodass er mich nicht sehen kann. Ich höre, wie er auf und ab geht. „Ja - unverzüglich muss das geschehen. Nichts darf durchsickern". Redet er von dem Interviewer heute? Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich darüber nachdenke. Wie will er bloß dafür sorgen, dass das nicht ausgestrahlt wird? Mein Inneres Ich meldet sich zu Wort. Die Hände verschlossen schaut es auf mich herab. 'Sein nicht so naiv - warum gibt er wohl immer übertrieben viel Trinkgeld'. Bin ich naiv? Doch umso mehr ich darüber nachdenke, umso klarer wird mir alles. Die Dates in den Restaurants und Cafés- die Kellner halten bestimmt nicht ihren Mund weil er so nett ist. Wie viel Geld hat er wohl schon für solche „Anlässe" ausgegeben? Um Leute zum Stillschweigen zu bringen? Mein Inneres Ich meldet sich nochmals. ‚Naja mit so vielen Frauen er halt schon aus war'. Ich seufze. Plötzlich höre ich die Schritte näher kommen. „Ich muss jetzt aufhören, besprechen wir das alles später." So schnell und langsam wie nur irgendwie möglich, gehe ich wieder Richtung Türe. Gespielt schaue ich mich um. Er wirkt jetzt noch schlechter gelaunt als schon zuvor. Vielleicht kann er dieses Mal die Reporter nicht zum Schweigen bringen. Oh Gott, was ist dann mit mir? Was wenn meine Eltern das sehen? Oder meine Uni? So ziemlich jeder würde das zu sehen bekommen. Ich sehe mich schon auf dem Titelblatt der Kronen Zeitung. ‚Bundeskanzler geht mit Studentin aus' und darunter ein Bild von mir. Wäre das überhaupt erlaubt? Dürften sie einfach so ein Foto von mir nehmen? „Was beschäftigt dich?". Ich habe gar nicht bemerkt, dass er schon neben mir steht. Ich zucke zusammen und drehe mich zur Seite. Ich schaue kurz zu ihm hinauf und senke den Blick dann wieder. „Geht es um heute?". Er berührt mich am Arm und seine Hand auf meiner Haut fühlt sich wie ein Elektroschock an, der durch meinen ganzen Körper rast. Ich spüre wie mein Puls schneller wird. „Setzen wir uns". Er deutet mir ins Wohnzimmer und dann auf den Platz auf der Couch. Was für eine wunderschöne Couch. Beigefarben mit weißen Polstern. Er nimmt Platz gegenüber in einem weißen Stoffsessel. „Ich würde gerne mit dir über heute sprechen". Bin ich deswegen hier? Ich schaue ihn an. Seine Hände sind verschränkt und sein Blick haftet an mir. Ich fühle mich wie in einem Verhör. „Ich habe eigentlich-". Sein Blick wird intensiver und mein Puls rast immer schneller. „-nichts gesagt. Dass ich nur als Zuschauer dort war ... Dann wurden wir auch schon unterbrochen von deinem Mitarbeiter". Man kann keine Emotion aus seinem Gesicht entnehmen. Habe ich etwas falsches gesagt? „Wird das jetzt ausgestrahlt?". Die Frage platzt aus mir heraus. Er holt tief Luft. „Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich darum." Verlegen schaue ich zur Seite. Wie kümmert er sich darum? „Ich muss dafür nochmal weg, mein Fahrer bringt dich nach Hause." Seine Stimme wirkt kühl und die Stimmung im Raum ist angespannt. Ein Schuldgefühl macht sich in mir breit. Bin ich schuld an der ganzen Sache? Hätte ich glaubwürdiger rüberkommen sollen beim Interview? Ich komme nicht von dem Gefühl los, dass er mich ausschließt und sich das nie ändern wird. Vertraut er mir überhaupt? Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht.

Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt