Ich telefoniere noch eine Weile mit Mary, bevor ich mich ins Bett lege und an die Decke starre. Ich fühle mich, als wäre ich in Trance. Ich liege da wach - bekomme kein Auge zu. Angestrengt versuche ich mich an den Abend zu erinnern, doch ich kann bloß an das Gefühl denken, das er mir gegeben hat. Es war magisch. Noch nie zuvor hatte ich etwas dergleichen erlebt. Vielleicht kann ich mich auch bloß deswegen nicht erinnern, weil ich Mary zehn Minuten zuvor jedes Detail erzählt habe, und mein Kopf nun leer ist.
Das Geräusch eines Klopfens reißt mich aus dem Schlaf. Wie spät ist es? Ich schaue auf mein Handy - 8:15 Uhr. Wer ist das denn? Mary würde nie im Leben freiwillig so früh aufstehen, um mit mir über gestern - ach stimmt. Gestern. Ich spüre wie ich leicht erröte. Langsam stehe ich auf und ziehe mir eine Weste drüber, bevor ich zur Eingangstüre gehe. Ich öffne sie - niemand ist hier. Habe ich mir das Klopfen bloß eingebildet? Ich will gerade die Türe wieder schließen - genau in dem Moment sehe ich etwas am Boden. Ein Paket? Habe ich etwas bestellt? Ich hebe die braune, etwas größere Schachtel auf und sehe - es ist an mich adressiert. Was kann das sein? Vielleicht von der Uni? Nein - habe noch längere Zeit Pause. Ich stelle das Paket auf meinem Wohnzimmertisch ab und beginne es zu öffnen. Sofort laufe ich zurück ins Zimmer und schnappe mein Handy, um Marys Nummer zu wählen.
Eine halbe Stunde später sitzen wir beide auf der Couch und starren auf den Wohnzimmertisch. "Wie soll ich mich für das -", ich halte inne. "-revanchieren?". Mary blickt mich fragwürdig an. "Gar nicht. Ihr hattet einen schönen - anscheinend sehr schönen - Abend und so bedankt er sich dafür. An deiner Stelle würde ich mich ganz einfach daran gewöhnen." Sie lächelt mich an. Dann setzt sie fort. "Außerdem hat sich noch niemand über ein paar Blumen beschwert". Ich wage noch einen Blick auf das Paket. "Nur, dass das hier nicht ein paar Blumen sind, sondern ein riesiger Strauß roter Rosen!". Ich seufze. "Warte mal -". Fragend schaue ich Mary an. Sie greift in das Paket und im nächsten Moment zieht sie einen weißen Umschlag heraus. "Was -?".
Sofort reiße ich ihr den Brief aus der Hand und gucke ihn mir genauer an. Kein Empfänger, kein Absender - alles was darauf steht ist 'Für Sophia'. Was kann das sein? Mary deutet mir, ihn zu öffnen. Ich beginne den Brief seitlich aufzureißen und ziehe eine Karte heraus. "Und??". Mary kann es mal wieder nicht erwarten und schnappt mir die Karte aus den Händen. "Eine Einladung???". Freudig blickt sie mich an. Ich schaue mir nun die Karte ebenfalls genauer an. "Gehst du hin? Ich meine - eigentlich steht das außer Frage - du gehst hin! Das ist deine Chance!". Es bringt nichts, mit Mary über meine Unentschlossenheit zu diskutieren, deswegen sage ich einfach gar nichts und nicke.Nachdem wir gemeinsam gefrühstückt haben, macht sich Mary auf den Weg nach Hause, da ich gesagt habe, ich muss noch einiges erledigen. Eigentlich brauche ich nur Zeit um nachzudenken. Soll ich tatsächlich auf eine Wanderveranstaltung gehen, auf der unser Bundeskanzler mit Bürgern redet, die politische Fragen an ihn haben? Will ich ehrlich in einer Menge, die total auf ihn abfahren und ihn sprechen wollen, wandern? Ich meine - rein theoretisch würde ich da perfekt reinpassen - okay Sophia stopp. Ich darf mich nicht so schnell darauf einlassen - ich weiß nicht, was er mir mit dem Geschenk sagen wollte, aber andererseits - was kann man mit Blumen schon viel sagen? Die Einladung hat er bestimmt an viele andere auch geschickt, oh Gott - was wenn ich bei der Veranstaltung auf andere junge Frauen, die ebenfalls alleine dort sind, treffe? Was wenn er noch andere 'persönlich' eingeladen hat? Auch wenn, dann ist das eben so. Schließlich kann ich nicht denken, dass der österreichische Bundeskanzler nur an mir potenzielles Interesse hat. Nicht hingehen ist keine Option - das bin ich ihm irgendwie schuldig. Also - in weniger als 72 Stunden werde ich auf eine Wanderung gehen, mit oder ohne anderen Kandidatinnen.
Ich beeile mich ins Bad, um mir noch meine Haare akzeptabel hochzubinden. Ein kurzer Blick in den Spiegel muss reichen. Vor mir steht eine Seite von mir, die man nicht so häufig zu Gesicht bekommt. Sportleggings, Sportshirt und Sportschuhe. Im schwarzen Rucksack habe ich eine Trinkflasche und meine Geldbörse. Ich jogge zur Eingangstüre, nicht um mich für die Wanderung aufzuwärmen, nein, sondern weil ich wieder einmal zu knapp aufgestanden bin. Ich schließe die Türe hinter mir ab und laufe die Stiegen hinunter, um meine Bahn zu erwischen, die mich zu einem Gemeinschaftsbus nach Niederösterreich bringt, wo die Veranstaltung stattfindet. Doch genau in dem Moment, in dem ich unten den Gehsteig betrete, laufe ich beinahe einem Mann hinein. Moment mal - das ist doch sein Fahrer? "Guten Morgen", lächelt er mich an. Ich grüße ihn zurück."Herr Kurz hat mich beauftragt, Sie nach Niederösterreich mitzunehmen". Er muss meinen Blick richtig gedeutet haben, denn im nächsten Moment hängt er noch "- außerdem muss ich Ihnen noch ausrichten, dass der Auftrag nicht ablehnbar ist, egal was Sie sagen". Er schenkt mir ein herzliches Lächeln. "Okay. Dankeschön ist alles was ich sagen wollte". Ich lächle zurück. Er nimmt mir meinen Rucksack ab und verstaut ihn im Gepäckraum.
Knappe zwei Stunden später sind wir am Ziel angekommen. Der Fahrer hält mir die Türe auf und ich steige aus. Während er meine Sachen holt, beobachte ich die Umgebung. Die Landschaft ist wirklich sehr schön. Überall sind blaue Ballons mit der Aufschrift seines Namens. Sofort beginnt mein Magen zu kribbeln. Ich bedanke mich und nehme meinen Rucksack entgegen. "Ich bleibe hier stehen, sobald Sie nach Hause wollen, bin ich bereit". Ich begebe mich in Richtung Bühne und checke die Uhrzeit. 10:15. Noch 15 Minuten, dann beginnt eine Rede und danach geht's bald los. Vor der kleinen Bühne befinden sich runde Stehtische, auf denen Kugelschreiber und andere kleine Werbeartikel liegen. Ich stelle mich zu einem der Stehtische und beobachte, wie immer mehr Leute aus verschiedenen Bussen aussteigen. Größtenteils sind es ältere Menschen und Kinder. Ich starre so konzentriert auf mein Handy, dass ich gar nicht bemerke, wie ein dunkelhaariger Mann im Anzug auf mich zukommt und mich anspricht. "Guten Tag! Dürfte ich bitte ihr Busticket sehen, um sie auf der Liste abzuhacken?". Was? Oh nein, was soll ich denn jetzt bloß sagen? Ich habe kein Busticket aber darf an der Veranstaltung teilnehmen, weil der Bundeskanzler mit persönlich hierher bringen hat lassen? Er schaut mich eindringlich an. "Ich-". Plötzlich höre ich Schritte hinter mir. "Sie braucht keine Bestätigung". Ich erkenne seine Stimme sofort. "Tut mir wirklich sehr leid, Herr Bundeskanzler, mein Fehler", entgegnet der Mann. Ich drehe mich um und blicke in zwei strahlend blaue Augen. Im Gegensatz zu dem strengen Ton, mit dem er eben gesprochen hat, wird seine Stimme ganz weich. "Hey du". Ich schmelze.
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Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)
RomanceFanfiction über Sebastian Kurz