Kapitel 11

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Ich lehne meinen Kopf an die Scheibe und blicke hinaus. Mitarbeiter bauen gerade das große Festzelt ab und einige wenige sitzen noch herum und scheinen auf etwas zu warten. Ich beobachte ihn von der Ferne aus - er redet mit einem seiner Mitarbeiter. In der Zwischenzeit hat er sich umgezogen, nun trägt er wieder einen Anzug, in dem er übrigens zum -. Mein Handy vibriert plötzlich. 'Bitte um Update!!'. Mein Blick geht wieder Richtung Festzelt. Was soll ich ihr bloß schreiben? Ich sehe, wie er auf das Auto zukommt - mein Herz beginnt zu rasen. Er wirkt so engagiert, ruhig und beherrscht - gleichzeitig aber auch charmant und mitfühlend. Die Scheibe bei mir hinten ist verdunkelt, ich kann ihn also solange beobachten, bis er ins Auto steigt. Eine junge blonde Frau, die ein kurzes rotgeblümtes Kleid trägt, erstarrt förmlich, als er an ihr vorbeigeht. Sie ist bis jetzt auch auf der Wiese gesessen, steht aber nun rasch auf und eilt ihm nach. Sie ist nicht viel älter als ich, vielleicht sind wir sogar gleich alt. Er bleibt stehen und sie beginnt zu sprechen. Die junge Frau rückt näher und lächelt ihn an während sie weiterredet. In meiner Magengegend macht sich ein ungutes Gefühl, das ich nicht zuordnen kann, breit. Eifersucht? Nein - ich habe doch kein Recht eifersüchtig zu sein, bloß weil er mich nach Hause bringt. Und mit mir auf einem Date war. Und mich hierher mitgenommen hat. Außerdem war da auch noch seine Oma - okay, wer ist die Frau. Er wirkt etwas angespannt - lächelt sie aber freundlich an. Ich sehe, wie sie versucht, ihm immer näher zu kommen.  Mein Handy vibriert erneut. 'Hallo????'. Mary kann warten, ich erzähle ihr alles später. Ich stecke das Handy weg - plötzlich öffnet sich die Türe auf der anderen Seite. "Tut mir leid, dass es länger gedauert hat, aber jetzt können wir los." Er steigt ein und holt sein Handy raus und tippt etwas. Der Fahrer startet den Motor und fährt los. Dann steckt er sein Handy wieder weg. Ich starre auf den Sitz vor mir. "Und? Wie gefiel Ihnen die Wanderung?". Ich drehe mich auf die Seite und sehe, wie er mich lächelnd anschaut, wartend auf meine Antwort. "Wundervoll, die Gegend hier ist wirklich schön. Und Sie?" Ich kann nicht anders, als immer wieder den Augenkontakt abzubrechen, wenn er zu intensiv wird. Ich schaue ihn wieder an - er hält kurz inne. "Ich hatte mir wirklich nicht gedacht, dass so viele Menschen an einer Wanderung mit mir interessiert sind." Er zwinkert mir zu. Ich muss lachen. "Das hätte ich Ihnen schon vorher sagen können". Hab ich das gerade wirklich laut ausgesprochen? Ich spüre, wie ich schon wieder rot anlaufe. Wieso passiert mir das ständig? "Ach, so ist das. Darf ich fragen wieso?". Er wirft mir ein sarkastisches Lächeln zu. Mein Puls beginnt zu rasen. Was sag ich denn jetzt bloß. Weil er einer der engagiertesten und heißesten Politiker ist? "Naja ich - ". Der Fahrer unterbricht mich - was für ein Glück. "Tut mir leid, Sie stören zu müssen, aber es scheint ganz so, als würden wir im Stau stehen. Soll ich die nächste wieder abfahren und auf der Landstraße weiter - oder warten, bis sich alles wieder auflöst Herr Kurz?". Er lässt mich nicht aus den Augen, während er ihm antwortet. "Fahren Sie die nächste ab - ich möchte keine Zeit verlieren," Hat er noch etwas zu erledigen? Das Klingeln seines Handys reißt mich aus meinen Gedanken. Er zieht es erneut aus seiner Hosentasche heraus und starrt auf den Display. Er wendet sich mir zu. "Da muss ich leider ran." Ich nicke. Warum rechtfertigt er sich dafür, dass er ans Handy geht? Ich versuche, nicht auffällig hinzuhören, also hole ich ebenso mein Handy heraus. Während ich durch Instagram scrolle, lausche ich und versuche, so viel wie möglich zu verstehen. "Nein! Ich sagte Ihnen bereits, dass das nicht möglich ist!" Er wird immer unentspannter und lauter. "Sollte ich jemals erfahren, dass Sie sich -". Ich fühle mich fehl am Platz, als dürfte ich ihn gar nicht so sehen. "Nein, auf keinen Fall - ich kümmere mich jetzt darum!" Er legt energisch auf und wählt eine Nummer. " Zu Frau Strasser bitte. Es ist dringend." Ich wage es nicht, ihn anzusehen. Gedankenlos scrolle ich weiter und kann mich an kein einziges Bild, dass ich gesehen habe, erinnern. Um was geht es da bloß? Ich meine - es könnte alles sein. Außerdem es geht weit über meine Vorstellungskraft hinaus. "Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie mich nicht schon viel früher kontaktiert haben!" Mittlerweile schreit er schon fast.





Gerade, als wir am Parlament vorbeifahren, beendet er das Gespräch. Mittlerweile war das der sechste Anruf innerhalb der letzten Stunde. Ich schaue ihn unauffällig von der Seite an. Er schließt seine Augen und atmet tief aus. "Lassen Sie mich beim Hintereingang raus und bringen Sie dann Sophia wohin sie möchte." Ich werfe einen Blick aus dem Fenster und bemerke, dass wir uns schon beim Parlament befinden. "Wird erledigt." Warum spricht er nicht direkt mit mir? Er beachtet mich nicht mehr. Das Auto kommt in einer Seitengasse zum Stillstand, er steigt aus und - weg ist er. Mit schnellen Schritten geht er auf eine Eingangstüre zu und verschwindet dann dahinter. Es sind kaum Leute hier, einige wenige Taxis stehen am Straßenrand und warten. Was war das den eben? Er hat sich nicht einmal verabschiedet. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Bisher schien er so - beherrscht und nun ist er total gestresst und verschwindet einfach. Ich meine, okay ja, er ist Bundeskanzler und hat bestimmt den ganzen Kopf voller Gedanken und Probleme, aber sonst wirkte er so zuvorkommend - nun kann er sich nicht mal mehr verabschieden? Der Fahrer schaut mich im Rückspiegel an. "Wohin darf ich Sie bringen?" Ich wende den Blick ab und starre meine Hände an. "Nach Hause, bitte". 20 Minuten später bedanke ich mich für die Fahrt und gehe über die Straße zu meiner Wohnung. Oben angekommen, öffne ich die Wohnungstüre und der erste Weg führt ins Schlafzimmer. Ich werfe meinen Rucksack auf das Bett und schnappe mein Handy. 3 verpasste Anrufe von Mary. Ich rufe sie zurück, während ich mich auf den Boden neben meine Kommode setze. "Hey, kannst du vorbeikommen?"





"Er hat mich keines Blickes mehr gewürdigt." Ich seufze. Mary nimmt mich in den Arm. Wir sitzen im Wohnzimmer auf der Couch und essen Erdbeerwaffeln, die Mary mir mitgenommen hat, weil ich mich am Telefon nicht gut angehört habe. "Süße, sonst ist doch alles gut gelaufen. Lass dich wegen dieser Kleinigkeit nicht unterkriegen ..." So ganz überzeugt ist sie davon selbst nicht. "Er übt einen extrem stressigen Beruf aus - wer weiß um was es da ging. Natürlich entschuldigt das nicht, dich zu ignorieren. Dennoch - nimm es ihm nicht allzu übel." Plötzlich habe ich das Verlangen, ihr alle meine Befürchtungen und Ängste zu erzählen. Ich berichte über das Treffen mit seiner Oma, über die Frau, die extra auf ihn gewartet hat und darüber, dass ich mir dauernd denke, was zur Hölle das ganze eigentlich soll. Wie komme ich darauf, dass ich etwas ernstes mit dem Bundeskanzler anfangen könnte. Dass er ernsthaftes Interesse an mir haben könnte. Stunden vergehen, und Mary hört sich alles, was ich zu sagen habe an. Überraschenderweise sagt sie nicht einmal, dass ich das nicht so eng oder schlimm sehen sollte. Entweder, sie weiß endlich, wie wichtig es mir ist, verstanden zu werden, wenn ich über meine Gefühle spreche - oder sie denkt ebenfalls, dass es ihm nicht ernst ist. Ich schaue aus dem Fenster - draußen ist es bereits dunkel. "Hast du Hunger?" Ich winke ab. "Ich habe morgen eine Frühschicht, ich glaube es ist besser, wenn ich mal früher ins Bett gehe." Sie lächelt mich schief an. "Schmoll nicht so - alles ist okay." Sie nimmt mich nochmal in den Arm. "Begleitest du mich noch runter - ich denke ein wenig frische Luft würde dir guttun." Wir stehen auf, Mary zieht sich ihren Mantel drüber und ich eine schwarze Weste. Während wir die Stiegen nehmen, erzählt mir Mary, dass sie sich endlich sicher ist, dass sie irgendwann einmal einen eigenen Secondhandshop eröffnen will, da sie heute in einem war, bei dem hinten und vorne nichts gepasst hat. Die Sachen waren alle durcheinander geschmissen und niemand hat es aufgeräumt, das Personal war unfreundlich und der Boden dreckig. Sie will es eines Tages besser machen. "Und du bist dann der stille Teilhaber." Sie lächelt mir zu. Ich öffne die Eingangstüre unten und wir beiden steigen auf den Gehsteig. Es ist ruhig auf der Straße. Die kalte Abendluft weht mir durch meine Haare. Es ist echt angenehm draußen, Mary hatte recht. Ich umarme sie nochmals zur Verabschiedung und sie wünscht mir eine gute Nacht. Dann geht sie in Richtung U-Bahn Station. Als Mary weg ist, drehe ich mich um und mache mich auf den Weg zurück in die Wohnung. Plötzlich höre ich, wie sich eine Autotüre öffnet. "Sophia!" Ich drehe mich erneut um und mein Herz rutscht mir in die Hose. 

Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt