Kapitel 7

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Ich stehe vor meinem Spiegel. Der Tag ist gekommen. Das kann doch gar nicht wahr sein. Ich betrachte mich. Meine Haare liegen glatt auf meinen Schultern. Ich stehe in Unterwäsche vor meinem Spiegel und die Panik steht mir ins Gesicht geschrieben. Was soll ich denn bloß anziehen? Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. Es ist 17:30 - ich habe noch eine halbe Stunde Zeit bevor ich los muss. Besser gesagt: Bis ich unten sein muss. Tatsächlich werde ich von seinem Fahrer abgeholt. Wenigstens bin ich schon fertig geschminkt, sonst könnte ich das alles gleich wieder absagen. Ich zücke mein Handy und wähle Mary's Nummer. "Es ist ein Notfall! Mary - was soll ich bloß anziehen??". Mary ist keine wirklich große Hilfe - sie schlägt mir zuerst einen Minirock, und dann ein Minikleid vor. "Holt er dich ab?". Ich durchforste weiter meinen Kleiderschrank. "Sein Fahrer holt mich ab. Er meinte, dass er direkt hinkommen würde, wo genau das ist, weiß ich auch nicht". Ich hab nicht mal nachgefragt wo wir hingehen. Das kann was werden. "Okay Mary, danke aber ich muss jetzt wirklich auflegen". Ich muss mich nun wirklich beeilen. Mary wünscht mir viel Spaß und ich bedanke mich, bevor ich den Anruf beende.

Ich werfe erneut einen Blick auf meine Uhr. 18:01. Ich laufe vom dritten Stock hinunter, um nicht zu spät zu kommen. Als ich die Eingangstüre unten öffne, sehe ich den schwarzen BMW, der mich angefahren hat. Der Fahrer steigt aus und begrüßt mich. "Guten Tag! Wie geht es Ihnen?". Er öffnet mir die Hintertüre des Autos. "Danke alles bestens, und Ihnen?". "Alles gut, danke". Ich steige ein, er schließt meine Türe wieder und steigt ebenfalls vorne ein. Bevor er wegfährt, teilt er mir mit, wohin die Fahrt geht. "Der Herr Bundeskanzler trifft Sie in der Innenstadt - die Fahrt dauert ca. 15 Minuten." Ich nicke hinten und hoffe er sieht mich, nicht, dass er denkt ich antworte ihm nicht. Ich bin so unglaublich nervös - ständig streife ich meine Hände an meinem Kleid ab. Ich sehe mein Spiegelbild in der getönten Fensterscheibe. Zum Glück habe ich mich überhaupt für ein Outfit entscheiden können. Ich betrachte das schwarze Kleid, dass hinten rückenfrei ist. Meine Ohrringe sind sehr schlicht, genauso wie mein Make-Up und meine Haare. Meine Sandaletten, mit einem kleinen Absatz und einer Schlaufe, peppen das Ganze ein wenig auf. Das Vibrieren meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken. Ich packe es aus meiner Clutch aus und sehe, dass Mary mir geschrieben hat. 'Viel Spaß - und tu nichts was ich nicht auch tun würde' mit einem Zwinkersmiley. Ich muss schmunzeln. Bevor ich ihr antworte, bleiben wir stehen. Oh Gott. Ich war so vertieft in meinen eigenen Gedanken, dass ich gar nicht darüber nachgedacht habe, was ich jetzt eigentlich mache. "Wir sind da." Er parkt auf einer Seitenstraße vor einem Cafè. Ich war hier so gut wie noch nie. Das Viertel hier ist sehr nobel - ein Kaffee hier kostet nochmal das Doppelte als in dem Cafè, in dem ich arbeite. Fast keine Menschen sind hier. Der Fahrer steigt aus und öffnet mir nochmal die Türe. Das alles scheint so absurd. Ich steige aus. "Der Herr Bundeskanzler müsste jeden Moment eintreffen - ich soll Sie bitten, hier vor dem Cafè zu warten. Er deutet auf den Eingang. "Danke". Ich gehe mit langsamen Schritten zum Eingang und höre, wie er hinter mir das Auto startet. Ich stelle mich neben den Eingang hin und sehe, wie mich der Fahrer schon fast bewachend beobachtet. Ob er ihm gesagt hat, dass er das machen soll? Mein Herz pocht wie wild, wenn ich an ihn denke. Ich habe mich auf dieses Treffen gar nicht vorbereitet. Ich meine, wie soll man sich auf sowas schon vorbereiten? Ich hatte mir wenigstens ein paar Themen überlegen können, über die man reden kann oder mich politisch weiterbilden, um einen guten Eindruck zu vermitteln. Aber stattdessen habe ich ferngesehen und versucht zu verdrängen, dass ich mit dem Bundeskanzler Kaffee trinken gehe. Das ist doch sowas von absurd. Was tue ich eigentlich hier. Auf der einen Seite, will ich mir möglichst wenig daraus machen, nur weil er mit mir was trinken geht, heißt das noch lange nichts - auf der anderen ...

Oh Gott. Er kommt auf mich zu. Ich hole tief Luft. Er trägt einen blauen Anzug mit einer blauen Krawatte. Noch hat er mich nicht gesehen - ich betrachte ihn weiter. Seine Haare sitzen perfekt. Obwohl er immer einen Anzug trägt, sieht er heute trotzdem gestylter aus als sonst. Wegen dieses Treffens? Mir wird ganz heiß. Er kommt immer näher. Im nächsten Moment blickt er nach vorne und - sieht mich. Sein ernster Gesichtsausdruck wird weicher und er lächelt. Lachen steht ihm wirklich gut. Ich muss mich zusammenreißen - sonst laufe ich schon bei der Begrüßung rot an. "Hallo Sophia! Ich freue mich, Sie hier zu sehen!". Er streckt mir die Hand hin und ich schüttle sie. "Ebenso". Ich schenke ihm ein Lächeln. Mein Herz pocht immer schneller. "Ich hoffe dieses Cafè ist Ihnen recht, es ist tatsächlich mein Lieblingscafè". Er lächelt mich an. Sein Lieblingscafè? Es macht einen sehr noblen aber eher - naja, langweiligen Eindruck. "Ja, sieht gemütlich aus", ist alles was ich heraus bekomme. Er geht zur Türe und hält sie für mich auf. Daran könnte ich mich echt gewöhnen.

Die Kellnerin begrüßt uns sehr herzlich und bringt uns zu einem Tisch, der weiter weg vom Rest ist. "Nach Ihnen". Er deutet mir, mich zu setzen, wohin ich will. Ich blicke mich um. Das Cafè ist relativ klein, dennoch sind einige Leute hier. Es ist sehr rustikal und rosafarben dekoriert. Es ist tatsächlich sehr gemütlich hier. Die Atmosphäre nimmt mir meine Angst ein kleines bisschen. Nachdem wir uns gesetzt haben, nimmt die Kellnerin unsere Bestellung auf. "Einen doppelten Espresso bitte". Er sieht mich überrascht an. Dann wendet er sich schmunzelnd der Kellnerin zu. "Für mich bitte genau dasselbe". Als die Kellnerin geht, legt er beide Hände auf den Tisch und wendet sich mir zu. "Ich freue mich, dass Sie Zeit gefunden haben, Sophia. Wie geht es Ihnen?". Seine blauen Augen schimmern im Licht. "Alles bestens, danke. Und bei Ihnen?". Ich überschlage meine Beine und streife meine Hände unter dem Tisch am Kleid ab. "Mir geht's auch bestens, danke". Mir fällt nichts ein. Mein Kopf ist leer. Ich wirke bestimmt total desinteressiert. Scheiße.

Die Kellnerin kommt mit unseren Getränken. Ich nehme einen Schluck. Ich bin unglaublich nervös - aber der Kaffee ist wirklich lecker. "Und? Wie schmeckt er Ihnen?". Er nippt ebenfalls an seinem. "Äußerst gut!". Zufrieden lächelt er. Wir sitzen kurze Zeit still da, doch dann fragt er mich, ob und was ich studiere. Ich erzähle ihm von den Kursen und Vorlesungen. "Und gefällt es Ihnen bisher?". Ich nicke. "Auf jeden Fall". Soll ich ihn nun fragen, ob er studiert hat? Ich traue mich nicht, aus Angst, etwas falsches oder unabgebrachtes zu sagen. Plötzlich fällt mir auf, dass immer weniger Leute hier sind. Nun kann ich verstehen, warum das hier sein Lieblingscafè ist. Es wirkt sehr innig, die Lichter sind gedämmt und es läuft leise Musik. Es wäre der perfekte Ort für ein erstes Date. Ich bin jedoch sehr froh, dass er mir keine typischen 'Erstes-Date Fragen' stellt, wie zum Beispiel was meine Interessen sind, denn ich habe keine Ahnung. Ich nehme all meinen Mut zusammen und spreche meine Gedanken aus. "Ich kann verstehen, warum das hier Ihr Lieblingscafè ist. Die Atmosphäre ist unverwechselbar - genauso wie der Kaffee hier". So ganz, wie in meinem Kopf, kam es nicht heraus, aber was soll's. Er blickt mir tief in die Augen und nickt. "Ich liebe es hier nach der Arbeit herzukommen und abzuschalten. Meinen Gedanken freien Lauf lassen und über nichts geschäftliches nachdenken". Er schaut für einen Moment weg. Ist es ihm unangenehm, so ehrlich zu sein? Dann sieht er mich wieder an und wird ganz ernst. "Ach, und zu Ihrer Frage". Oh nein, oh mein Gott. Die Frage vom Parlament. Warum hab ich ihn bloß gefragt? Das habe ich total vergessen. Wie dumm von mir. Ich nicke verlegen. "Ich konnte es natürlich nicht wissen. Aber ich ahnte es. Ihr Blick, als Sie mich sahen, war sehr vielversprechend". Vielversprechend? "Dann, als Sie in mein Büro kamen, wusste ich, dass Sie mich erkannten". Er legt seine Hände aufeinander. "Was passiert ist, tut mir wirklich leid, ich wünschte die Umstände, Sie zu treffen, wären andere gewesen". Das heißt er hätte mich auch so treffen wollen? Oh Gott. Ich erröte vermutlich gerade. Ich trinke den letzten Schluck meines Kaffees. Dann läutet ein Handy. "Entschuldigen Sie vielmals". Er holt es raus, schaltet es stumm und packt es wieder weg. Währenddessen beobachte ich ihn genauer. Er ist heiß. Das kann ich nicht mehr abstreiten. Er ist heiß und er ist mehr als charmant und höflich. Aber ich kenne seine Absichten nicht. Kein bisschen.

Beim zweiten Kaffee reden wir über Sachen, die wir in der Freizeit machen. Er spielt leidenschaftlich gerne Tennis und erzählt mir von seinem ersten Sportunfall. Die Stimmung ist wesentlich entspannter. Er muss laut loslachen, als ich ihm von meinem absurden Unfall während eines Wanderausflugs erzähle und schaut mich besorgt an, als die Geschichte mit einem Gips endet. Ich habe echt viel Spaß und ich schätze, er auch. Draußen ist es bereits dunkel und wir sind die einzigen im Cafè. Es ist echt schön und ich genieße die Zeit. Als die Kellnerin fragt, ob wir noch etwas brauchen, verneinen wir beide und er fragt nach der Rechnung. Ich habe mein Zeitgefühl verloren - aber ich schätze es ist 21 Uhr. Als die Kellnerin wieder geht, stützt er sich am Tisch auf und blickt mich eindringlich an. Er lächelt. "Hätten Sie noch Lust, ein Stück spazieren zu gehen?"

Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt