Kapitel 28

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Ein lautes Geräusch reißt mich aus dem Schlaf. Ich öffne meine Augen und das Klopfen wird lauter. Klopft da jemand an meine Türe? Für einen Moment muss ich mich erst sammeln. Ich realisiere wo ich bin und ... was gestern passiert ist. Langsam aber sicher schießen die Erinnerungen in meinen Kopf. Ich verdecke mein Gesicht mit meinen Händen. Oh nein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das woran ich mich erinnere nicht alles ist. Ich war im Studentenheim und dann hat er mich angerufen. Sofort bildet sich ein Bild in meinem Kopf. Er trägt einen schwarzen Mantel, darunter einen schwarzen Anzug und sieht umwerfend aus. Warum hat er mich nochmal angerufen? Ich ziehe die Decke aus meinem Gesicht und schaue mich um. Bin ich alleine? Es scheint niemand hier zu sein. Vielleicht habe ich mir das Klopfen auch nur eingebildet. Wo ist mein Handy? Moment mal - wie spät ist es? Ich muss nach Hause und dann zu meinen Eltern nach Niederösterreich fahren. In mir macht sich Panik breit. Gerade als ich aufstehen will, brummt mein Kopf und mir wird schwarz vor Augen. Okay, Notiz an mich selbst: Nach so einem Abend mit Bedacht aufstehen. Ich sitze an der Bettkante und schaue an mir hinab. Das ist doch nicht etwa - sein Shirt? Ich spüre die Hitze in meinem Gesicht. Ich habe sein Shirt an. „Sophia? Bist du wach?". Ich schnappe nach Luft. Ich hab mir das Klopfen also nicht eingebildet. Bitte lass ihn nicht reinkommen. „Ähm, ja. Ich geh noch ... duschen". Was sag rede ich da bloß? Andererseits ist duschen wirklich keine schlechte Idee. Und Zähneputzen. Und meine Make-Up Reste abwaschen. Er scheint sich mit meiner Antwort zufrieden zu geben, ich höre wie seine Schritte immer leiser werden.

Im Badezimmer betrachte ich mich im Spiegel. Meine Haare sind in einem Handtuch eingewickelt und der ganze Raum ist in einem Rosé-Duft umhüllt. Die Shampoo-Flasche war neu verpackt. Ich grübel noch immer, ob er die einfach so da stehen hat, für mögliche „Gäste", oder ob die für mich sind. Warum sollte er Gästeartikel in seinem Schlafzimmer haben? Außer natürlich er duscht sich mit Nivea's Samtdusche in der Rosé Edition. Möglicherweise ist dies gar nicht sein Schlafzimmer. Vorsichtig wage ich einen Blick in den Spiegelschrank. Das ist mit Sicherheit sein Badezimmer. Vor mir liegen geöffnete Lotionen, Deos, sein Parfüm und ein Rasierer. Ich nehme das Parfüm in die Hand. Bevor ich den Sprühkopf betätige, mischt sich meine Vernunft ein. Er wird sofort bemerken, dass ich es benützt habe. Ich beobachte den Rasierer und male mir aus, wie er unrasiert aussehen würde. Ich muss schmunzeln. Vielleicht rasiert er sich an seinen freien Tagen nicht und da finde ich heraus, wie gut meine Vorstellungskraft tatsächlich ist. Werde ich das? Werden wir jemals solche Tage verbringen? Meine Kopfschmerzen werden immer schlimmer. Heute ist definitiv nicht der Tag für solche Fragen. Ich schließe den Spiegelschrank wieder. Die betrunkene Sophia hat einen wirklich guten Job im Abschminken hingelegt. Mein Inneres Ich klopft sich auf die Schulter - es ist also auch schon aus dem Schönheitsschlaf erwacht. Es holt sich die Bilder aus meinen Gedanken zurück. Er würde echt heiß mit Bart aussehen. Belustigt schüttle ich den Kopf. Ich glaube bei wichtigen Entscheidungen, bei denen eine objektive Meinung gefragt ist, muss ich mein Inneres Ich leider ausschließen.

Ich trage das Kleid von gestern, niemals könnte ich mich dazu überwinden, ihm bloß in seinem Shirt gegenüber zu treten. Ich schnappe mein Handy, das auf der Kommode liegt und lege sein Shirt zusammengefaltet auf das gemachte Bett. Meine feuchten Haare liegen auf meinen Schultern und mein Herz rast. Warum bin ich so nervös, jedes Mal bevor ich ihn sehe? Langsam spaziere ich den Gang entlang und versuche herauszufinden, wo er sich befindet. Ich nehme leise Musik wahr und folge den Tönen. Der Gang, der alle Zimmer verbindet, ist mit abstrakten Gemälden geschmückt. Hat er diese selbst ausgesucht? Sie sehen wunderschön aus. Plötzlich spüre ich seine Hand auf meiner Wange. ‚Du bist so wunderschön, Sophia'. Abrupt bleibe ich stehen. Hat er das gestern wirklich gesagt? Oder habe ich das geträumt? Eines ist sicher: Ich werde so schnell nichts mehr trinken. Mein Inneres Ich zieht die Augenbrauen hoch. Okay - mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit hat der Bundeskanzler gesagt, dass er mich schön findet. Es zieht die Augenbrauen noch höher. Okay, okay. Er hat mich wunderschön genannt. Ich lege den Kopf zur Seite und kann ein Lächeln nur schwer unterdrücken. Das Porträt besteht aus zwei Farben: grün und weiß. Die Linien verfangen sich ineinander und es scheint so, als würden sie sich immer wieder nähern aber sich beim engsten Kontakt distanzieren und in die andere Richtung zeigen. Das ganze wiederholt sich über das gesamte Bild. Ich denke daran, wie er mich an einem Abend aus dem Nichts geküsst hat, und an dem anderen einfach ohne ein Wort aussteigen hat lassen. Beschreibt das unsere Situation? Drehen wir uns im Kreis? Ist ein Abend wundervoll und der nächste unberechenbar? Finde ich ihn wirklich unberechenbar oder kenne ich ihn einfach nicht gut genug? „Guten Morgen." Ich erschrecke. Er steht im Türrahmen hinter mir und beobachtet mich. Seine Haare sind zerzaust und er trägt eine graue Stoffhose mit einem weißen T-Shirt. „Guten Morgen". Ich antworte ein wenig verlegen, ich habe keine Ahnung wie er zu letzter Nacht steht. Eigentlich habe ich auch keine Ahnung wie ich dazu stehe. Er taucht einfach bei Mary's Studentenwohnheim auf und lässt mich von seinem Fahrer aus ihrem Zimmer holen. Er kommt auf mich zu. Mit jedem Schritt, den er näher kommt verschwinden meine Gedanken etwas weiter weg. Ich versuche sie zu halten. Er hat mich verfolgt. Meine Haut glüht als er direkt vor mir stehen bleibt, dabei hat er mich nicht einmal berührt. „Sophia, ist alles okay?". Das Problem ist nicht, dass er Bescheid wusste wo ich bin, das Problem ist, dass ich kein Problem damit habe. Oder doch? Ich kann mich in seiner Gegenwart nicht konzentrieren. Er blickt mich eindringlich an, als würde er eine sofortige Antwort verlangen. Ich nicke. „Soweit schon, mein Kopf pocht wie wild." Sein Blick wird sanfter. Dann legt er seine Hand auf meine Schläfen und massiert sie mit seinen Zeigefingern. Entspannt schließe ich meine Augen. „Ich hab uns Tee gemacht." Ich öffne meine Augen und folge ihm in die Küche.

Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt