Kapitel 5

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Mein Herz pocht wie wild. Ich bewege mich nicht weiter. Meine Hände beginnen zu schwitzen. Für einen kurzen Moment, verliere ich die Fassung. "Ich - ähm". Ich starre ihn an. Seine Augen bringen mich aus meiner Konzentration. Gott sei Dank. Meine Hand beginnt wieder weiterzuwischen. "Vielen Dank aber ich schaff das schon". Ich versuche zu lächeln, ohne es vor Nervosität komisch aussehen zu lassen. Er richtet sich auf. Nun sehe ich genau, was er trägt - einen dunkelblauen Anzug, der wie angegossen sitzt. Doch ich fühle mich ertappt, denn als ich wieder hinaufschaue, blickt er mich direkt an und schmunzelt. Ich kann nicht fassen, was hier schon wieder geschieht. Warum ist er hier - am Tresen? Ich beschließe, als Kellnerin - nicht als eingeschüchterte Studentin -, dass ich möglichst freundlich bleiben muss. Ich ergreife also die Initiative. "Kann ich Ihnen sonst irgendwie helfen?". Er stützt sich nun mit beiden Armen auf. Habe ich etwas falsches gesagt? Er schmunzelt erneut. "Also, ich denke, wenn man sich zweimal zufälligerweise begegnet, bleibt es ein Zufall. Aber dreimal innerhalb von zwei Tagen?". Was will er mir damit sagen? Dreimal ist Schicksal? Okay stopp - das könnte er doch nicht wirklich meinen. Oder doch? Ich muss lächeln. "Es gab also noch keine Zwischenfälle, für die Sie meine Hilfe benötigen?". Was meint er? Oh Gott - sein Angebot, dass ich ihn jederzeit anrufen kann. "Nein, leider nicht -". Ich beginne zu stottern. " o- oder Gott sei Dank nicht, je nachdem, worum es sich handelt". Was rede ich da bloß. Er wirkt amüsiert. "Wie auch immer, ich persönlich halte es für nötig, die Zufälle zu reduzieren - und die Absichten zu erhöhen". Das hat er doch nicht wirklich gesagt. "Diesen Freitag findet im Parlament eine private Rede der Parteien statt. Ich würde gerne Sie - und ihre Freundin, die sie ins Parlament mitgeschleppt hat und Sie öfter mal warten lässt - dazu herzlichst einladen. Natürlich nur wenn Sie Zeit und Lust haben - aber dafür müssen Sie mich wohl oder übel anrufen, um mir ein paar Info's für die Liste durchzugeben".Ich kann nicht mehr klar denken. Er blickt mir tief in die Augen und ich bedanke mich kleinlaut. "V- Vielen Dank, für die Einladung". Er nickt und lächelt. "Leider muss ich schon wieder weg, aber es hat mich außerordentlich gefreut, Sie hier anzutreffen". Er dreht sich um und geht zurück, jedoch schaut er nochmal über seine Schulter, und schenkt mir ein Lächeln. "Ach übrigens -". Er bleibt stehen. "Ich hätte Sie auch eingeladen, ohne zufälligem Treffen, leider wusste ich weder ihre Telefonnummer, noch Ihren Namen". Er geht wieder weiter. Sobald er um die Ecke ist, lehne ich mich ans Regal und atme dreimal tief durch. Ich kann nicht anders, als zu grinsen, und vermutlich sehe ich aus wie der größte Idiot, aber der Bundeskanzler hat mich gerade zu einer privaten Veranstaltung eingeladen und gesagt, er hätte dies auch getan, ohne mich hier zufällig zu treffen. Ist das zu fassen?

"Das ist wirklich nicht nötig, ich habe ihn doch nicht einmal zubereitet". Seine Kollegen wollen unbedingt seinen Kaffee mitbezahlen. Derjenige, der seine Geldbörse zückt, grinst. "Leider unterliegen wir seinen strengen Anforderungen, und die wichtigste lautet: Bezahlt den Kaffee, egal was die Kellnerin sagt". Nun muss ich auch grinsen. "Na gut, wenn das so ist, kann ich wohl nichts machen". So läuft das immer, ich bin eigentlich gut im Umgang mit Kunden. Aber wenn ich mit ihm persönlich spreche, kann ich nicht einmal mehr klar denken und beginne zu stottern. Was ist bloß los mit mir?

Ich beende den Satz und höre lautes Geschreie. Ich liege in meinem Bett, die Füße an der Wand. Ich grinse vor mich hin und halte mein Handy an mein Ohr. Mary kann es scheinbar noch weniger fassen als ich, was aber vorherzusehen war. "Ich weiß, kaum zu glauben, du hättest mich sehen sollen. Ich hab mich so unfassbar peinlich benommen". Mary schweigt, was ganz untypisch für sie ist. "Ich fasse es einfach nicht, er hat uns doch tatsächlich eingeladen". Mary schweigt noch immer. "Mary? Bist du noch da?". Sie schreit wieder. "UND OB ICH NOCH DA BIN!! - ich - bin absolut sprachlos. Das ist nicht irgendeine Veranstaltung, das ist DIE Veranstaltung. Das ist mein Traum - alle Parteien werden eine private Rede halten, nicht mal die Presse wird in der ersten Hälfte da sein". Ich grinse noch mehr. "Und nun zu dir! Ich habe es dir von Anfang an gesagt! Er steht total auf dich!! Und, dass er dich von alleine angerufen hätte, oh mein Gott. Ich habe gesagt ruf ihn an! Stell dir vor du hättest heute nicht Dienst gehabt. Sophia!! Das ist nicht irgend ein Junge aus einem Club. Wann rufst du ihn an?". Mary stellt noch ungefähr zwanzig Fragen bevor ich sie überreden kann, das Gespräch auf morgen zu verschieben, um endlich schlafengehen zu können. Nachdem ich aufgelegt habe, liege ich noch lange wach, bis ich einschlafe, und von blauen Augen und charmanten Gesten träume...

Ich werfe die restlich geschnittenen Zwiebel in die Pfanne und sie beginnen zu bruzeln. Mary und ich haben beschlossen, uns bei mir zu treffen, da Gespräche dieser Art nichts mehr für die Öffentlichkeit sind. Während Mary die Nudeln kocht, singt sie fröhlich vor sich hin. "Meine beste Freundin Sophia hat einen neuen Freund und wir dürfen ins Pa-a-arlament". Ich lächle in mich hinein. "Mary du bist so doof. Ich habe keinen Freund und -". Sie will mich unterbrechen. "- und ich spiele nichts runter. Er hat womöglich mit mir geflirtet und mich - ich meine - uns, eingeladen. Zu einer naja - eher privaten Angelegenheit. Aber sonst ist da nichts gewesen". Sie grinst mich teuflisch an. "Noch nicht". Wir kochen fertig und nachdem wir gegessen haben, setzen wir uns auf die Couch. "Guck hier - er ist gerade bei einer Videokonferenz!". Sie hält mir ihr Handy mit der Instagram-Story von ihm ins Gesicht. Er trägt den selben Anzug. Er sieht so gut aus. Ich lächle und lege meinen Kopf auf ihre Schulter. Gemeinsam schauen wir uns die restliche Story und ein verlinktes Interview an, bis wir beide einschlafen.

Die letzten zwei Tage habe ich genutzt, um einen klaren Kopf zu bekommen. Ich muss zugeben, ich habe den ein oder anderen Liebessong gehört und wie wild durch meine Wohnung getanzt, aber zu meiner Verteidigung - nur am ersten Tag. Gestern wurde mir klar, ich darf mir nicht zu große Hoffnungen machen. Das ist natürlich nicht ganz so einfach, wenn man ständig Links zu Interviews und Wahlkampfvideos von seiner besten Freundin zugeschickt bekommt. Aber mir muss klar werden, so schön das auch alles sein mag, die Wahrscheinlichkeit, dass er keine anderen Absichten als einen kurzen Flirt hat, ist groß. Entweder er hat eine Freundin oder dafür sowieso keine Zeit. Wie auch immer, ich warte vor dem Studentenheim auf Mary, während ich den Anruf nochmals im Kopf durchgehe. Wie konnte ich wirklich denken, dass er mir seine private Nummer gegeben hat. Mary kommt auf mich zu, sie hat einen Rock und eine weiße Bluse an, außerdem trägt sie ihre lockigen Haare heute einmal offen. "Heeeyy". Sie umarmt mich voller Freude. "Bist du verletzt?". Ich weiß sofort was sie meint. "Nein, es war dumm zu denken, dass mir der Bundeskanzler seine private Telefonnummer gibt, ohne mich zu kennen - er kannte nicht einmal meinen Namen". Mary schenkt mir ein Lächeln. "So wie du heute aussiehst". Sie betrachtet mich. "Wird er dir bestimmt seine Nummer geben - das verspreche ich dir!".

Wir stehen vor den Türen des Parlaments, davor eine Menge Leute, die anscheinend versuchen, an der Veranstaltung, teilzunehmen. Ein Mann, der schwarz gekleidet ist, und einen Block in der Hand hat, schickt bisher jeden wieder weg. Irgendwann sind wir an der Reihe. Er fragt nach unseren Namen, unseren Adressen und Telefonnummern - all die Daten, die ich gestern weitergegeben habe, als ich 'seine' Nummer wählte, aber wie sich herausstellte - eigentlich die Nummer seiner Sekretärin ist. Der Mann macht ein Kreuz bei unseren Namen und lässt uns durch. Ich höre hinter uns Gemurmel, drehe mich aber nicht um.


Eine gute halbe Stunde später stehen wir im Parlamentssaal und die Leute beginnen sich zu setzen. Es sind nicht viele hier, zumindest nicht so viele wie beim letzten Mal. "Wir können uns doch nicht einfach irgendwo hinsetzen". Mary blickt mich fragwürdig an. "Wieso?". In dem Augenblick kommt eine Dame auf uns zu. Moment mal - das ist doch dieselbe Frau, die mich das letzte Mal zu ihm gebracht hat. "Sophia und Mary, richtig?". Wir nicken. "Euer Platz befindet sich hier vorne. Wir folgen ihr in die zweite Reihe, ungefähr in die Mitte des Saales. Das Podium liegt nicht mehr als 5 Meter von uns entfernt. "Ich platze gleich vor lauter Spannung!!". Ich bin mindestens genauso aufgeregt wie Mary, wenn auch aus anderen Gründen. Dann wird alles still. Er tritt hervor und geht zum Podium. Sofort werfe ich alles über Board, was ich mir vorhin klar gemacht habe. Ich hole tief Luft. Er trägt wieder einen blauen Anzug, der perfekt sitzt. Alles sitzt perfekt, seine Haare, sein aufgesetzter Gesichtsausdruck bis - er mich sieht. Er gelangt am Podium an und richtet seinen Blick auf mich. Mein Herz bleibt stehen. Warum hat er so eine Wirkung auf mich? Der ernste Ausdruck auf seinem Gesicht verschwindet und formt sich zu einem schmeichelhaften Lächeln. Nur für einen kurzen Augenblick - dann startet er mit seiner Rede.

Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt