Kapitel 3

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Meine Gedanken drehen sich. Wieso ist mir das nicht gleich aufgefallen? Ich habe schon so viele Fernseh- und Liveauftritte gesehen. Wie konnte mir das nicht sofort auffallen. Die Rede ist aus - ich schnaufe auf, doch Mary zieht mich sofort Richtung Ausgang. Ich drehe mich ein letztes Mal um und - unsere Blicke kreuzen sich, er packt seine Sachen am Podium zusammen und sieht mich direkt an. Die Sekunden scheinen langsamer zu vergehen, bis mich eine blonde Frau anrempelt - oder ich sie? Ich habe keine Ahnung, ich bin wie erstarrt. Ich drehe mich endgültig um und lasse mich von Mary, die noch immer meine Hand festhält, zum Ausgang lenken. Bevor wir den Saal verlassen, drehe ich mich ein letztes Mal um und sehe, wie niemand mehr am Podium steht.

Mit dem Rücken an die Wand gelehnt, blicke ich direkt in Mary's geschocktes Gesicht und versuche zu deuten, was gerade in ihrem Kopf vorgeht. Sie schnappt nach Luft. "Wie konntest du das nicht sofort wissen?! Oh meine Güte, Sophia!! Was hast du da eben gesagt? Er hat dich ins Auto GETRAGEN? Ich meine, wir alle wissen, wie er aussieht aber, dass er SO ist, persönlich, obwohl er weiß, dass du ihn nicht erkennen kannst. Ich, - ich weiß nicht, was ich sagen soll außer, er steht auf dich!". Ich wusste, dass so etwas kommt. Von wegen. Mary liebt es, Geschichten diesen extra unrealistischen Touch zu geben. "Mary, er hat mir bloß geholfen und um ehrlich zu sein, ich war betrunken, vielleicht habe ich mich auch ein paar Sachen eingebildet". Mary's Gesicht verzieht sich. "Das machst du jetzt bloß nicht. Du kannst dich nicht aus der Sache 'rausreden'. Du hast mir nämlich alles genau erzählt, als wir noch nicht wussten, dass der BUNDESKANZLER dich untersucht hat -". "Er hat mich doch nicht wirkl-". Sie hält mir tatsächlich den Mund zu. "- und dich in das Auto seines Fahrers getragen hat! Oh mein Gott, ich glaube ich flippe gleich aus. Und siehst du nun? Das wäre alles nie passiert, wenn ich mich im Club nicht so angestellt hätte". Mary grinst über beide Ohren. "Was wäre nicht passiert? Ich wäre nicht im Krankenhaus aufgewacht und hätte nicht mit einer kaputten Strumpfhose und versautem Make-Up nach Hause fahren müssen - mit der U-Bahn". Mit scharfem Blick fährt sie fort. "Also wenn du mir jetzt ernsthaft vermitteln willst, dass er nicht einer der attraktivsten Männer ist, die du jemals bei -". Zwei Damen kommen rein und unterbrechen Mary. Sie hält inne. Ich habe nie wirklich über ihn nachgedacht. Er ist, keine Frage, gutaussehend, und ich schätze, bis heute, war er niemand, über den ich auf diese Art nachgedacht habe. Erst, als die Frauen beide in ihren Kabinen sind, antworte ich Mary. "Okay ja gut, dann sage ich, dass ich ihn gutaussehend und charmant finde, und das war's auch schon, mehr war nicht." Ich ernte einen unglaubwürdigen Blick. "Ich bitte dich, was denkst du, was als nächtes passiert? Fährt mich sein Fahrer vielleicht nochmal an?".

Auf dem Weg nach draußen, kann Mary ihre Fragen weder für sich behalten, noch in einer angemessenen Lautstärke reden. Sie stellt mir Fragen über den gestrigen Abend und will nochmals alle Details wissen. Mittlerweile sind deutlich weniger Leute im Parlament, ich habe keine Ahnung wie lange wir in der Toilette geredet haben. Während ich gerade versuche, Mary abzulenken, indem ich sie frage, was sie für Notizen sie gemacht hat, bleibt eine junge Frau, die einen dunklen Blazer, einen Bleistiftrock und eine weiße Bluse trägt, abrupt vor mir stehen und räuspert sich. Fragend drehe ich mich zu Mary, dann wieder nach vorne. "Ich möchte Sie nicht stören, aber mein Name ist Sabine Großhammer und bin im Auftrag des Bundeskanzleramtes hier, und bitte Sie mit mir mitzukommen, es handelt sich um eine dringende, unaufschiebare Angelegenheit". Was? Wohin muss ich mitkommen? Bevor ich noch irgendwas überdenken kann, macht sich Mary bereit, zu antworten. Doch ich komme ihr zuvor. "Ähm - um was genau geht's?". Die Frau setzt ein Lächeln auf und antwortet. "Da es sich hierbei um eine private Angelegenheit handelt, ist es mir untersagt, jegliche Informationen preiszugeben, und ich muss sie außerdem bitten, alleine mitzukommen." Ich schaue zu meiner besten Freundin, und bevor sie etwas sagen kann, wie sie es immer tut, stimme ich zu. "Okay. Mary? Ähm, wartest du währenddessen draußen? Ich komme gleich nach". Sie wirkt leicht verärgert. "Aber-". Ich werfe ihr einen 'Bitte-mach-keine-Szene-im-Parlament Blick zu, und überraschenderweise - sie geht tatsächlich. Nach zwei Schritten dreht sie sich nochmals um. "Wissen Sie, Sie waren wirklich nicht leicht zu finden." Die Frau lächelt mir zu, und ich schenke ihr ein entschuldigendes Lächeln zurück. "Wenn Sie mir nun bitte folgen würden".

Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt