Kapitel 23

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Er überreicht mir einen Strauß roter Rosen - sehr klischeehaft, aber das sind meine absoluten Lieblingsblumen. "Du siehst wunderschön aus, Sophia". Er sagt es auf eine Art, als würde er es so ernst meinen, dass man es nicht glauben kann. Ich schmunzle und bedanken mich etwas leiser als geplant. An meinem Selbstbewusstsein muss ich jedenfalls noch etwas arbeiten. Er kommt näher und für einen kurzen Moment denke ich, dass er mich küsst. Mein Herz und alles um mich herum bleibt stehen. Dann greift er mit seiner Hand vorbei und öffnet er mir die Türe. Mein Inneres Ich schlägt die Hände zusammen. Ein Gefühl der Enttäuschung überkommt mich. Aber warum? Dachte ich ehrlich, dass er mich hier mitten auf der Straße, in aller Öffentlichkeit, küsst? Ich kann mich an kein einziges Mal in meinem Leben erinnern, an dem ich mich so dumm gefühlt habe. Er steigt auf der anderen Seite ein und ich lege die Blumen auf den Sitz in die Mitte. "Und wohin geht's heute?". Er verschweigt es mir. "Komm schon, gib mir einen Tipp". Er lächelt aber verneint erneut. "Tut mir leid, das bleibt eine Überraschung." Dann holt er sein Handy raus. "Tut mir leid, da muss ich kurz antworten." Ich drehe meinen Kopf zur Seite und schaue beim Fenster hinaus.

Einige Minuten später parken wir in einer etwas verlassenen Seitengasse vor einem kleinen Lokal. Wir steigen aus und begeben uns in das Gebäude. Es sieht fast so aus wie ein Hintereingang eines Restaurants. Dann gehen wir bei der Küche vorbei und nun bin ich mir sicher, dass wir im hinteren Bereich sind. Ein Kellner kommt auf uns zu. "Guten Tag Herr Kurz! Er schüttelt seine Hand und es scheint so, als würde das nicht deren erste Begegnung sein. Bringt er hier öfter Dates her? Mein Inneres Ich meldet sich erneut. Was hast du denn gedacht? Dann schießt ein Gedanke in meinen Kopf, der mich nicht mehr loslässt. Bin ich die einzige, mit der er zurzeit ausgeht? Es bildet sich ein Knoten in meinem Hals. Ich habe kein Wort von dem Gespräch zwischen den beiden mitbekommen. Dann dreht er sich zu mir um und meine Gedanken werden immer leiser und leiser. "Hier entlang". Ich schiebe sie zur Seite. Die Sophia der Zukunft kann sich mit ihnen befassen, aber nun bin ich hier mit ihm. Nichtsahnend folge ich ihm, bis er plötzlich nach meiner Hand greift. Mein Herz macht einen Sprung und ich bin wirklich froh, dass er vor mir geht und mein Gesicht nicht sehen kann. Seine Hand fühlt sich warm an und sein Händedruck zeigt, dass er meine Hand halten, und mich nicht bloß führen oder berühren will. Wir betreten einen menschenleeren Raum mit einem gedeckten Tisch in der Mitte. Im ersten Moment bin ich wirklich froh, mit ihm alleine sein zu können, ohne Gedanken an die Leute um uns verschwenden zu müssen, doch dann kommen auch schon Zweifel auf. Warum will er nicht, dass Leute uns sehen? Er lässt meine Hand los und schiebt den Sessel für mich zur Seite. Ein Gentlemen - durch und durch. Er nimmt gegenüber Platz. "Ich war so frei und hab die Gerichte selbst ausgesucht, ich hoffe das ist dir recht." Ich nicke. "Nachdem ich deine Kochkünste schon kennenlernen durfte, vertraue ich sehr auf deine Entscheidungen."

Und zum Glück habe ich darauf vertraut. "Die Spinatravioli sind ein absoluter Traum". Ich nehme noch einen letzten Bissen, bis mein Teller leer ist. "Seit Jahren gehe ich hier am liebsten Abendessen. Warte auf die Nachspeise!". Wir waren so sehr mit diesem köstlichen Essen beschäftigt, sodass ich noch keine Möglichkeit hatte, ihn auf seine geheimnisvolle Frage anzusprechen. Ich beschließe, noch ein wenig zu warten, da er wahrscheinlich selbst davon anfangen wird. Er gibt ein Handzeichen in Richtung Türe. Der Kellner räumt unser Geschirr ab und verlässt den Raum. Nun sind wir das erste Mal hier ohne Ablenkung. Er schaut mir intensiv in die Augen und beginnt zu reden, während sein Blick zu meinem Mund und dann wieder zurück zu meinen Augen geht. Alles in mir spielt verrückt. "Ich wollte noch etwas mit dir besprechen-". Ich weiß vor lauter Nervosität gar nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich werfe meine Haare über die Schultern und höre ihm aufmerksam zu. "Also-". Seine Stimme wird leiser und sein Blick streift meinen Hals, der nun nicht mehr von meinen Haaren verdeckt wird. Dann setzt er fort. Ich bekomme Gänsehaut. "Morgen findet der offizielle Wahlauftakt statt, und mein erster Halt ist in Salzburg. Ich habe lange über die perfekte Gesellschaft für eine längere Autofahrt nachgedacht, dann kamst du mir in den Kopf". Ich lache. Manchmal vergesse ich, wie ausgeprägt seine sarkastische Ader ist. Ich überlege einen Moment und eine Vorstellung des morgigen Tages bildet sich in meinem Kopf. Mein Inneres Ich hüpft auf und ab. Natürlich freue ich mich riesig, aber ich habe auch großen Respekt davor. Ich beschließe kurzfristig auf neue Dinge zuzugehen, anstatt zurückzuschrecken. "Ich würde sehr gerne als deine Gesellschaft für die Autofahrt mitkommen." Er scheint sich zu freuen. Dann legt er den Kopf zur Seite und betrachtet mich. "Ich verbringe echt gerne Zeit mit dir". Sobald er das ausgesprochen hat, verzieht sich sein Gesicht zu einem ernsten Blick, ganz so, als hätte er das nicht laut aussprechen wollen. Hat er Angst vor meiner Antwort? Obwohl ich bestimmt hochrot vor ihm sitze, möchte ich nicht, dass er denkt, dieses Gefühl ist einseitig. "Das kann ich nur zurückgeben-". Die Türe geht auf und der Kellner kommt mit unseren Desserts. Apfelkuchen mit Vanillesauce. Was für ein Traum. 


Das Essen heute Abend hat mir wirklich großen Spaß gemacht, aber irgendwie wirkt er angespannt und verhält sich ruhig. Vielleicht ist er nervös wegen der Wahl? Bis dahin sind es zwar noch einige Wochen aber dennoch. Wir befinden uns draußen vor dem Hintereingang. "Gehen wir noch ein Stück?". Mittlerweile ist es schon dunkel draußen. Ich schaue zu ihm hinauf. Sein Blick wirkt einladend. "Gerne. Wie wird das ganze morgen ablaufen?". Er erklärt mir, dass sein Fahrer und er mich am Vormittag abholen werden und er noch einige Sachen auf dem Weg dorthin besprechen muss - unter anderem hält er eine Rede. Etwas unsicher gehe ich neben ihm her.  Wohin gehen wir? Im nächsten Moment spüre ich seinen warmen Händedruck erneut. Ein Gefühl der Sicherheit überkommt mich. Er schaut geradeaus, während wir weitergehen und ich innerlich erstarre. "Außerdem würde ich mich freuen, wenn du dir meine Rede anhören könntest. Du hast da ein gutes Gefühl dafür". Er hackt seine Finger bei meinen ein. Ich lache - um die jetzige Händchen-halten Situation zu überspielen. "Mir wäre es eine große Ehre, deine phänomenale Rede vor allen anderen hören zu dürfen". Wir gehen noch ein Stück weiter und reden über noch einmal über die Spinatravioli. "Die müssen wir auf jeden Fall eines Tages selbst probieren!". Er strahlt und seine Augen weiten sich. Er wirkt jung - in manchen Momenten ertappe ich ihn, wie er viel jünger wirkt als er sich gibt. Nach einiger Zeit merke ich, wie weit wir schon gegangen sind. Wir befinden uns beim Hintereingang eines großen Gebäudes. "Ich freue mich auf morgen, heute muss ich noch einige Dinge erledigen. Danke für den tollen Abend, Sophia". Ich schaue zu ihm hinauf und sein Blick geht von meinen Augen zu meine Lippen. Ich stottere. "J-ja, ich hatte auch viel Spa-". Mein Atem stockt. Er legt seine Hand auf meine Hüfte und im nächsten Moment spüre ich seine Lippen auf meinen. Der Bundeskanzler küsst mich gerade - hier in der Nacht mitten auf den Straßen von Wien. Ein Gefühl, das ich noch nie vorher gefühlt habe, macht sich in meinem ganzen Körper breit. Er lehnt sich nach vorne und presst seine Lippen noch stärker auf meine, bevor er durch meine Haare streicht und mir intensiv in die Augen blickt. Dann löst er sich von mir und atmet schwer aus und ein. "Ich muss mich entschuldigen, ich konnte nicht anders". Warum entschuldigt er sich? "Ich muss jetzt los, bis morgen". Er zwinkert mir zu und ich verabschiede mich kleinlaut. Wie angewurzelt bleibe ich stehen und schaue ihm hinterher, bis er hinter der Türe verschwindet.

Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt