Ich nicke verlegen. Er will noch spazieren gehen? Das heißt, es ist tatsächlich gut gelaufen. Mein Date mit dem Bundeskanzler ist bisher kein komplettes Desaster - sondern wirklich entspannt. Er winkt die Kellnerin zu uns. Ich hatte bisher echt viel Spaß. Vertieft in Gedanken bemerke ich gar nicht, dass die Kellnerin bereits hier ist. Gestresst krame ich meine Geldbörse heraus, ich möchte auf gar keinen Fall, dass er denkt er müsse bezahlen - auch wenn es für den Eindruck womöglich zu spät ist. Er winkt ab. "Das ist wirklich nicht-". Er unterbricht mich sofort und lächelt mich an. "Ich übernehme mit großer Freude die Rechnung". Er gibt der Kellnerin außerordentlich großzügiges Trinkgeld und wendet sich mir zu. Verwirrt blicke ich ihn an. "Bereit?". Ach ja - der Spaziergang. Er schmunzelt amüsiert. "Ich müsste nur noch schnell auf die - Toilette". Er nickt. "Darf ich das währenddessen für Sie halten?". Er deutet auf die Jacke in meiner Hand. "Gerne". Ich überreiche sie ihm. "Hinter der Theke die erste Türe rechts". Ich bedanke mich und versuche möglichst elegant aufs Klo zu gehen - für den unmöglichen Fall, dass er mich beobachtet. Ich betrete den Raum und gehe sofort zum Spiegel. Make-Up sitzt. Haare sitzen. Outfit sitzt. Was für ein Wunder. Ich starre mein Spiegelbild an. Ist das hier wirklich zu fassen? Noch nichts wirklich Peinliches ist vorgefallen. Kein Gestottere - kein Hinfallen. Und jetzt will er mit mir noch spazieren gehen. Ich wasche mir meine vor Nervosität schwitzenden Hände im Waschbecken. Ich muss zurück. Ich werfe einen letzten Blick in den Spiegel und mache ein Kreuzzeichen, damit mein Glück noch etwas anhält.
Ich betrete den Gehsteig vor dem Cafè. Es ist bereits dunkel draußen, die Straßenbeleuchtung verschafft dem Ganzen aber einen wirklich romantischen und beruhigenden Eindruck. Der Wind weht durch meine Haare. Ich drehe mich nach rechts. Da steht er. Angelehnt am Schaufenster des Càfes - mit meiner Jacke in seinen Händen. Mein ganzer Magen dreht sich. Er sieht so verdammt gut aus. Seine Haare wehen ebenfalls leicht im Wind. "Wollen wir?". Er deutet mir, mich neben ihn zu stellen. Ich verschränke meine Arme, da es schön langsam sehr windig ist. "Ist Ihnen kalt?". Noch bevor ich nicken kann, hält er meine Jacke bereit und ich schlüpfe mit beiden Armen hinein. "Dankeschön". Ich erröte. Wir gehen nun die Straße entlang. Es sind fast keine Menschen zu sehen. Ich stecke meine Hände in die Jackentaschen ein und richte meinen Blick auf den Boden vor mir. Er beginnt zu reden. "Und was haben-". Ein schrilles Geklinge unterbricht ihn und er bleibt abrupt stehen. "Achtung!!". Ich blicke schnell auf und sehe in die geschockten Augen eines Mannes, der mit seinem Fahrrad direkt auf mich zusteuert. Ich bleibe sofort stehen und schnappe nach Luft. Plötzlich spüre ich zwei Hände auf meiner Hüfte, die mich zur Seite ziehen. Im nächsten Moment stolpere ich und fliege direkt auf ihn. Ich versuche mich irgendwie wieder zu fangen doch - ich fürchte ich falle zu Boden. Im letzten Moment fängt er mich auf und zieht mich zu sich hoch.
Seine Hände liegen noch auf meinen Hüften und ich blicke direkt in seine geschockten blauen Augen. Ich höre den Fahrradfahrer irgendetwas murmeln und dann einfach weiterfahren. Das ist doch nicht wirklich gerade passiert. Ich hole tief Luft. Alles was ich spüre sind seine warmen Hände, die mich gerade davor bewahrt haben, mitten auf dem Gehsteig hinzufallen. "Es tut mir so unglaublich-". Er lässt mich los und berührt meine Schultern. "Ist alles okay?". Ich bin gerade auf den Bundeskanzler gefallen weil ich nicht aufpassen kann und er fragt mich ob alles okay ist. "Ja, alles okay. Bei Ihnen?". Er beginnt zuerst zu schmunzeln und dann loszulachen. Ich kann nicht anders als ebenfalls zu lachen. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen einen Ort, an dem defintiv keine gemeingefährlichen Fahrradfahrer sind". Wir tauschen Seite, sodass er auf der Straßenseite geht. Noch immer sichtlich amüsiert, schmunzelt er weiter.
Fünf Minuten später gehen wir die Stiegen im Hotel Austria hoch. Ein Mitarbeiter entdeckt uns im zweiten Stock. "Guten Abend, Herr Kurz". Er begrüßt ihn zurück. Wohin bringt er mich? Einige Stockwerke später, als mir fast die Puste ausgeht, bleiben wir vor einer großen Türe stehen. Er öffnet sie und deutet mir, zuerst zu gehen. Mein Atem stockt, als ich die Aussicht sehe. Ich drehe mich einmal und - entdecke ganz Wien. Überall sind wunderschöne Lichter, die die Stadt beleuchten. Der Ausblick ist atemberaubend. Ich höre seine Schritte hinter mir. "Wie gefällt es Ihnen?". Ich drehe mich zu ihm um. "Es ist wundervoll". Wir setzen uns auf eine holzerne Bank und blicken in die Ferne. Warum bringt er mich hierher? Ist das sowas wie ein privater Zugang? "Ich komme immer hierher um nachzudenken". Ich schaue in seine Richtung und nicke. "Hier werden also große politische Entscheidungen getroffen". Er grinst. "So circa". Ich beobachte die Lichter. "Und wie oft kommen Sie hierher, um den Kopf freizubekommen?". Er beginnt mir über seinen Alltag zu erzählen, und, dass die Angestellten hier darauf bestanden, ihm einen privaten Schlüssel für's Dach zu geben. Langsam vergesse ich die Zeit und erzähle von der Dachterrasse in meinem Viertel, die nichts im Gegensatz zu dieser hier ist.
"Ich kann noch immer nicht glauben, dass dieser Radfahrer keinerlei Reue gezeigt hat - er war derjenige am Gehsteig, obwohl sich daneben ein Radweg befindet". Erneut beginne ich zu lachen und er stimmt mit ein. Er hat dieses unbeschwerte, echte Lachen. Es ist erfrischend ihn so zu sehen. Ich glaube, dass nicht wirklich viele Menschen ihn so zu Gesicht bekommen - und ich bin einer davon, die es tun. Wie konnte das bloß passieren? "Langsam denke ich, dass ich selbst die Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer bin. Zuerst laufe ich in das Auto ihres Fahrers und nun-". Sein Blick wird ein wenig ernster. "Nun wissen wir, worauf wir auf der Straße achten müssen". Er zwinkert mir zu und beobachtet mich. "Sie frieren ja". Was? Ich habe gar nicht bemerkt, wie kalt es hier oben tatsächlich ist. Er zieht sein Jacket auf. "Wenn es Ihnen recht ist-". Er deutet mir, es anzuziehen. "Aber was ist mit Ihnen?". Seine Mundwinkel richten sich nach oben. "Alles gut. Ich möchte keinesfalls, dass Sie frieren". Er rutscht näher und hält es hoch. Als ich sein Jacket anziehe, steigt der Duft seines Parfüms in meine Nase. Sofort spüre ich ein Kribbeln im Bauch - und sofort wird er noch attraktiver. Oh Gott. Er blickt in meine Augen. "Ich hatte heute einen wirklich ausgesprochen schönen Abend. Außerdem - so viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr". Mein Herz macht einen Sprung. "Das finde ich auch". Ich schenke ihm ein verlegenes Lächeln. Er wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. "Wollen wir los?". Ich habe absolut keine Ahnung wie spät es ist, aber ich vermute auf jeden Fall nach Mitternacht. Keiner von uns beiden hat bisher einen Blick auf die Uhr geworfen - wir waren so vertieft in endlos lange Gespräche. Ich habe noch nie so ein Date erlebt. Es war fast schon magisch. Wir stehen auf und gehen Richtung Ausgang. Unten angekommen, wartet sein Fahrer bereits. Er öffnet mir hinten die Türe und ich steige ein. Während er zur anderen Seite geht, checke ich mein Handy. Es ist 2:15. Ich habe total die Zeit vergessen, ist das zu fassen?
Als wir vor meiner Haustüre stehen, steigt er aus und öffnet mir nochmals die Türe. Wir gehen ein paar Schritte in Richtung Eingang und bleiben dort stehen. Ach ja. Sein Jacket. "Hätte ich fast vergessen". Ich ziehe es aus, gebe es ihm zurück und bedanke mich. Er lächelt mir zu. "Ich bedanke mich für den Abend. Und ich hoffe sowas lässt sich bald wieder einrichten". Zu meinem Glück ist es zu dunkel, um mein glühendes Gesicht zu sehen. "Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht". Ich wünsche ihm ebenfalls eine gute Nacht und warte, bis er zurück zum Auto geht, bevor ich mein Handy raushole. Er lächelt mir nochmals zu - dann steigt er ein und der Fahrer fährt los. So schnell wie nur möglich wähle ich Mary's Nummer. "Mary, das glaubst du mir niemals!".
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Die romantische Seite der Politik (Sebastian Kurz)
RomanceFanfiction über Sebastian Kurz