01-1 | Das Vorstellungsgespräch

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Es war einer von diesen trägen Spätsommertagen, an denen sich die Luft wie gebackener Honig anfühlte und das Summen der Grillen wie Harfenmusik in den Ohren klang, als ich Dimitri zum ersten Mal begegnete.

Ich lehnte über dem kaffeebraunen Tresen des "Zu den Waffeln" und fächerte mir mit einem unserer Werbeflyer Luft zu. Der Ventilator hatte mal wieder den Geist aufgegeben, die Hitze staute sich hinter den hohen Glasscheiben und trieb mir den Schweiß aus allen Poren. Gelegentlich spielte ich mit dem Gedanken, meinen Kopf in den Getränkekühlschrank zu stecken, aber selbst dafür fehlte mir an diesem Tag die Energie.

Isabella lümmelte auf einem der Bistrostühle aus hellem Bast und kritzelte mit dem Kuli in einem Kreuzworträtselheft herum. Ihre schwarzen Locken fielen ungebändigt über die Stuhllehne und wippten auf und ab, wenn sie nickte, um sich selbst für einen guten Einfall zu beglückwünschen.

Links neben mir, in einer brummenden Kühltheke, reihten sich allerlei ungesunde Kalorienbomben auf: Schokoriegel, Kekse, Zuckerlinsen und Gummischnüre. Der feuchte Traum hungriger Fünftklässler. In der zweiten Kühltheke, rechts von mir, befanden sich die gesunden Leckerbissen, in erster Linie Früchte und Obst. Die Erdbeeren sahen mit jeder Sekunde verlockender aus. Doch natürlich mochte Romeo es nicht, wenn wir uns an den Zutaten bedienten. Wenn es nach ihm ginge, würden wir während unserer Schicht weder essen, noch trinken, auf unsere Handys gucken oder ungefragt sprechen. Zum Glück ging es nicht nach ihm.

»Mann mit zwei Frauen?«, fragte Isabella und kratzte sich mit dem Ende ihres Kulis an der Schläfe.

»Bigamist«, antwortete ich.

Meine Schwester verrenkte sich den Hals, um mir einen scheelen Blick zuzuwerfen. In diesem Moment sah sie unserer Mutter sehr ähnlich, von den braunen, leicht schräg stehenden Augen, über die kurze Nase, bis zum spitzen Kinn.

»Das ist Allgemeinwissen«, rechtfertigte ich mich.

Isabella lächelte wie die Grinsekatze aus Alice im Wunderland, eine Disney-Verfilmung, die mich als Kind zutiefst traumatisiert zurückgelassen hatte. Schon allein wegen des Walrosses, des Zimmermanns und der armen, kleinen Austern.

Bevor sie jedoch dazu kam, mich mit einer spitzen Bemerkung zu necken, klingelte das Telefon im Hinterzimmer. Isabella und ich starrten einander fest in die Augen, ein stummes Ringen darum, wer in den sauren Apfel beißen und den Anruf annehmen musste.

Ich gab schließlich nach, wischte mir die Hände an der Schürze ab und folgte dem schrillen Bimmeln, das die sirupartige Luft wie eine Säge zu zerreißen schien.

Das Telefon befand sich im Flur zwischen Romeos Büro und dem Lager. Ein altmodischer, dunkelgrüner Apparat mit Wählscheibe.

»Zu den Waffeln. Was kann ich für Sie tun?«, fragte ich in die Hörmuschel.

»Emmi?«, kam es gedämpft zurück.

Ich vermeinte, die Stimme meines Cousins zu erkennen. »Romeo?«

»Ja.«

»Wieso klingst du so komisch?«

»Heuschnupfen«, raunte Romeo.

Im Hintergrund konnte ich Männerstimmen vernehmen und ein Geräusch, das nach einem zuknallenden Kofferraumdeckel klang. Bestimmt trieb er sich wieder mit seinen durchgeknallten Gangster-Kumpanen herum, die den Driebecker Vorort mit der Bronx verwechselten und ständig für Ärger sorgten.

»Ist Bella auch da?«

»Sie ist vorne im Laden«, antwortete ich frostig. Romeos Freunde waren mir ein Dorn im Auge. Meiner Meinung nach brachten sie seine schlimmsten Eigenschaften zum Vorschein. »Soll ich sie holen?«

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