09-2 | Die Heiderstedt-Verschwörung

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Wir bogen um die Hausecke und konnten Reimanns dunkelblauen Lieferwagen am Ende der Gasse stehen sehen. Er blockierte sowohl die Fahrbahn als auch die Gehwege. Ein paar genervte Autofahrer, die dahinter feststeckten, schimpfen und hupten.

»Na super«, ächzte Isabella. »Es wird immer schlimmer mit ihm.« Sie schielte mich von der Seite an. »Kannst du ihn nicht einweisen lassen?«

»Nein, kann ich nicht.«

»Aber er stellt doch eine Gefahr dar«, erwiderte Isabella. »Wenigstens für unsere Nerven und die öffentliche Ordnung.«

»So einfach ist das nicht.« Ein Schwall Wasser prasselte aus einer kaputten Regenrinne auf unseren Schirm herab. Ich spürte die Spritzer an meinen nackten Knöcheln. »Man kann nicht einfach wen einweisen.«

»Wo ist die Psychiatrie, wenn man sie mal braucht?«, sinnierte Isabella.

Ich ignorierte es. In einem hatte meine Schwester jedoch absolut Recht: Reimann gehörte in professionelle Behandlung. Das sah unser Lieferant naturgemäß anders.

Dabei wirkte Reimann auf den ersten Blick gar nicht wie ein – Zitat Isabella – Irrer. Er war ein hagerer Kerl mit grau melierten, streng gescheitelten Haaren, einem hervorstechenden Adamsampfel und einer purpurroten Nasenspitze. Als wir den Lieferwagen erreichten, saß er am Steuer und rauchte eine Zigarette. Die Schimpftiraden der wartenden Autofahrer schienen ihn nicht zu stören. »Emilia«, sagte er, schnippte etwas Asche auf den Asphalt und ließ seinen Blick über die Vorgärten der angrenzenden Häuser schweifen, als erwartete er, jederzeit aus dem Hinterhalt angefallen zu werden. »Ich hatte gehofft, du würdest kommen.«

»Tja, hier bin ich«, erwiderte ich.

»Letztes Mal musste ich mit deinem Cousin sprechen und er war sehr ... unhöflich.«

»Dafür hatte er bestimmt seine Gründe«, grummelte Isabella.

»Was ist diesmal das Problem?«, eröffnete ich das Gespräch. »Frau Ludwig?« Ich deutete auf das Haus der alten Dame, wo hinter den Fenstern die Vorhänge verdächtig raschelten. »Sie wissen doch, dass sie bloß neugierig ist.«

Reimann lächelte, als wollte er sagen: Auf diesen Trick falle ich nicht rein. »Sie ist nicht bloß neugierig, sondern eine Agentin, Emilia.«

»Und die Krones?«, fragte ich mit Blick auf das Haus auf der anderen Straßenseite, ein gepflegter Bungalow mit einem Trampolin im Garten. »Sind die auch Agenten?«

Reimann blies eine Rauchwolke in die Luft. »Natürlich.«

»Herr Krone ist wirklich ein bisschen seltsam«, bemerkte Isabella. »In der Schule hieß es, er würde seine Fußnägel sammeln, um sich irgendwann daraus zu klonen.«

»Das ist jetzt nicht hilfreich, Bella.«

Meine Schwester zuckte mit den Schultern. »Ich sag' ja nur.«

Ich wandte mich wieder an Reimann. »Und was, wenn wir wieder einen abhörsicheren Hut basteln? Dann wären ihre Gedanken geschützt.«

Reimann schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Aber wir brauchen diese Getränke – und wir können sie ja wohl schlecht tragen.«

»Hör' mal, Emilia«, sagte Reimann, schnippte seine Zigarette in einen Gulli und lehnte sich aus dem Fenster. »Die Agenten haben die Stadt unterwandert. Sie sind überall und beobachten uns.« Erneut ließ er seinen Blick über die Fenster und Vorgärten wandern. »Sie haben es auf unser Flunz abgesehen.«

»Unser Flunz?«, echote Isabella.

»Ganz genau«, sagte Reimann. »Unser Flunz macht, dass alles schön flunzt. Versteht ihr?« Er tippte sich an die Stirn. »Es sitzt hier drin ... im Bauch des Seepferdchens und wenn man es uns wegnimmt, dann flunzt gar nichts mehr. Man verliert seinen Job und seine Familie und ... einfach alles.«

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