03-2 | Ninja-Style

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Für einige Sekunden standen wir nebeneinander unter dem Vordach der Werkstatt und sahen schweigend in den Regen hinaus, dann meldete sich Dimitri wieder zu Wort.

»Ja, damals habe ich noch bei meinen Eltern gewohnt.« Er senkte den Blick auf seine Schuhe. »In der Schulstraße, oben am Drieberg.«

Die Gegend kannte ich natürlich. Immerhin war ich dort acht Jahre lang zur Schule gegangen. Obwohl mich die Neugier fast zerriss, hielt ich mich davon ab, ihn weiter über seine Eltern auszufragen. Das war ein Thema für später, wenn wir uns besser kannten.

»Der Waingraben ist gar nicht weit von hier. Du hast nur die falsche Unterführung genommen.« Ich deutete mit dem Finger in nördliche Richtung, wo sich hinter einer geräumigen Lagerhalle die Umrisse des alten Wasserturms gegen den brodelnden Gewitterhimmel abzeichneten. »Ansonsten wärst du da vorne rausgekommen.«

Dimitri folgte meinem ausgestreckten Arm mit den Augen. »Du hast Recht. Der Turm kommt mir bekannt vor.«

»Genau genommen, ist er auch schwer zu übersehen«, sagte ich.

»Mein Orientierungssinn ist nicht meine Stärke.«

»Ach ja, und was sind deine Stärken?«, fragte ich.

»Ich mach' ein ganz gutes Soufflé.«

»Wirklich?« Ich lächelte. »Du weißt, dass du das jetzt beweisen musst?«

»Jederzeit«, antwortete Dimitri.

War das schon flirten? Da ich auf dem Gebiet etwas eingerostet war, fiel es mir nicht leicht, das zu beurteilen.

»Außerdem bin ich handwerklich nicht ungeschickt. Also wenn im Laden mal was kaputtgehen sollte ...«

»Das hättest du vielleicht beim Vorstellungsgespräch erwähnen sollen«, bemerkte ich, während ich in Gedanken die endlose Liste an Dingen durchging, die dringend repariert werden mussten.

Dimitri verzog das Gesicht, als hätte er sich auf die Zunge gebissen. »Hätte ich das?«

»Ja, aber wir haben auch vergessen, dich danach zu fragen.« Ich lachte leise, weil mir plötzlich bewusst wurde, dass Isabella im Laufe des Gesprächs alle möglichen Fragen gestellt hatte, aber keine von wirklicher Relevanz für den Job im Waffelladen. »Zu unserer Verteidigung: Wir hatten keine Zeit, uns auf das Vorstellungsgespräch vorzubereiten.«

»Zu meiner Verteidigung: Es war mein erstes Vorstellungsgespräch.«

»Wirklich? Und wie bist du an deinen letzten Job gekommen?« Ich kramte in meinen Erinnerungen. »Du hast doch gesagt, du hättest in der Pflege gearbeitet.«

Dimitri nickte. »Ja. Aber das war anders.« Er spähte zur Dachkante hinauf, von der das Regenwasser in langen Schnüren heruntertropfte. »Der Mann, der mich als Kind aufgenommen hat, wurde sehr krank und ich habe mich um ihn gekümmert, bis er dann vor zwei Monaten gestorben ist.«

Ich schloss kurz die Augen. Es war zum Verrücktwerden. Irgendwie musste ich ein Talent dafür haben, mit meinen Fragen zielgenau ins Fettnäpfchen zu treffen. »Das tut mir leid«, sagte ich.

»Schon in Ordnung«, erwiderte Dimitri schnell und irgendwie reflexhaft, als könnte er damit unliebsame Erinnerungen abwehren. »Er war schon sehr alt und ich denke, die letzten Monate hat er sich nur noch gequält.« Dimitris Blick war in die Ferne gerichtet. Vermutlich dachte er an die letzten Tage mit seinem Ziehvater zurück. »Gegen den Lauf der Zeit kann niemand etwas ausrichten«, sinnierte er, dann entspannte sich seine Schulterpartie, er hob den Kopf und lächelte. »Aber Björn hätte nicht gewollt, dass ich seinetwegen Trübsal blase. Er war ein lustiger Kerl, hat ständig gesummt und Unmengen an Kaffee in sich reingeschüttet.«

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