Der Zylindermann ließ von mir ab. »Dimitri Bergmann. Endlich habe ich dich gefunden.«
Dimitris Miene verriet, dass er nicht ganz so begeistert darüber war. »Was auch immer Sie wollen, ich kann es Ihnen nicht geben.«
»Das werden wir noch sehen«, erwiderte der Zylindermann und musterte Dimitri als hätte er es mit einer fast ausgestorbenen Tierart zu tun. »Zweiundzwanzig Jahre hat die Organisation auf diesen Moment gewartet und nun-«
»Die Organisation gibt es nicht mehr«, fiel ihm Dimitri ins Wort. »Sie wurde aufgelöst. Nur wenige Jahre nachdem mein Vater sie verlassen hat.« Er machte einen Schritt in den Raum hinein. »Sie handeln auf eigene Faust, Semjonow.«
Der Zylindermann sagte etwas auf Russisch und Dimitri antwortete ebenfalls auf Russisch. Der kurze Austausch klang wenig schmeichelhaft.
»Du wirst mit mir kommen«, sagte der Zylindermann anschließend und presste mir die Waffe gegen die Stirn. Inzwischen war ich schon so daran gewöhnt, bedroht zu werden, dass mein Herz nicht einmal mehr einen Satz machte. »Oder ich werde sie und alle anderen in diesem Raum töten.«
Dimitri nickte. »Ich komme mit dir. Aber du wirst sie und alle anderen in diesem Raum gehen lassen.« Seine Miene war genauso eisern wie die seines Kontrahenten. »Und zwar sofort.«
Der Zylindermann zögerte. Seine Mundwinkel zuckten. »Gut«, sagte er schließlich und löste die Waffe von mir. »Ich werde kooperieren.« Seine Augen funkelten beinahe wahnhaft. »Auch wenn du wohl kaum in der Verfassung bist, mit mir zu verhandeln. Die Transformation muss dir einiges abverlangt haben.«
»Ich bin daran gewöhnt«, erwiderte Dimitri achselzuckend.
»Aber du hast es nicht unter Kontrolle.«
»Nicht immer.«
»Was unter Kontrolle?«, hauchte ich.
Der Zylindermann lachte. »Sie wischt dir den Arsch ab und weiß es nicht einmal.«
Ich hatte das Gefühl, mit beiden Beinen fest auf dem Schlauch zu stehen. »Was? Ich verstehe nicht ... ich ...«
Dimitri warf mir einen flehenden Blick zu. »Lass uns später darüber reden, ja?«
»Warum so etwas Wichtiges auf später verschieben?«, erwiderte der Zylindermann mit einem bissigen Lächeln. Wie hatte Dimitri ihn genannt? Semjonow? In einem gewichtigen Tonfall ergänzte er: »Dimitri Bergmann ist der letzte nonlineare Mensch auf dem Planeten.«
»Nonlinear?«, wiederholte ich und kam mir wie ein besonders einfältiges Schulkind vor.
Dimitri hatte die Brauen so zusammengezogen, dass dazwischen eine steile Zornesfalte entstand.
»Das bedeutet, er altert nicht linear, wie alle anderen Menschen«, erklärte Semjonow.
»Du bist Felix, nicht wahr?«, rief Isabella, die offenbar schneller von Begriff war als ich.
Dimitri presste die Lippen aufeinander und machte eine Kopfbewegung, die sich mit etwas Fantasie als Nicken deuten ließ.
Ich ignorierte die Waffe, die noch immer auf mich gerichtet war und lehnte mich über die Sofalehne. »Du bist Felix?« Bei dem Gedanken wurde mir ein wenig übel. »Aber dann ...« Ich dachte an die Kleidung, die wir bei Dimitri gefunden hatten. »Dann bist du auch Björn und ... und Hörbe?«
»Ich erkläre dir später alles«, sagte Dimitri. Seine Stimme klang wie ein Gummiband kurz vor dem Zerreißen.
»Scheiße, ist das geil!«, fluchte Isabella.
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Nonlinear
Mystery / ThrillerEmilia und ihre kleine Schwester Isabella arbeiten in den Semesterferien im Waffelladen ihres notorisch kriminellen Cousins. Zu den üblichen Problemen - verschwundenen Eiern, paranoiden Lieferanten und nächtlichen Prügeleien - gesellt sich schon bal...