Bevor wir die Hütte verließen, versuchte ich noch einmal, Dimitri zu erreichen. Sein Handy klingelte. Ich konnte es laut und deutlich hören.
Isabella kroch unter das Bett und wurde fündig. »Wieso hat er sein Handy nicht mitgenommen?«
»Keine Ahnung«, antwortete ich. »Aber wir sollten Dimitri eine Nachricht hinterlassen, falls er wiederkommt. Damit er sich keine Sorgen macht, wenn er bemerkt, dass sein Sohn weg ist.«
Isabella ging erneut ins Wohnzimmer hinüber und kehrte wenig später mit einem Notizblock und einem Kugelschreiber zurück. Ich diktierte ihr einen kurzen Text, den wir auf der Kommode im Flur hinterließen. Dann machten wir uns auf den Weg zu unseren Autos.
»Emmi und der Knirps fahren mit mir«, bestimmte Romeo.
Ich hatte nicht mehr die Kraft, um dagegen zu protestieren. Außerdem musste ich mich um Klein-Dimitri kümmern, der wie ein Äffchen an mir klebte und in den Stoff meines T-Shirts sabberte.
»Wehe, der Knirps macht die Sitze schmutzig«, sagte Romeo beim Einsteigen.
»Das werde ich wohl nicht verhindern können«, gab ich zurück.
»Dieser Dimitri hatte kein Bett für den Kleinen. Nicht mal einen Maxi-Cosi.« Romeo steckte den Schlüssel ins Schloss und warf mir einen gereizten Blick zu. »Sieht so väterliche Fürsorge aus?«
»Du bist ja ein ausgesprochener Experte in Sachen väterliche Fürsorge«, gab ich genervt zurück. Doch natürlich hatte mein Cousin nicht ganz Unrecht. Nichts in der Hütte deutete darauf hin, dass dort ein Baby Zuhause war. Kein Bett, kein Spielzeug, keine Wickelsachen und kein ... »Scheiße!«, stöhnte ich und entschuldigte mich gleich darauf bei Klein-Dimitri für meinen Gefühlsausbruch.
Romeo schlug mit beiden Händen auf das Lenkrad. »Was?«
»Womit sollen wir ihn füttern?«
»Ach, das fällt dir jetzt ein?«
»Kannst du nochmal bei Michi anrufen?«
»Ich hab' schon mit ihm gesprochen. Sie haben noch ein paar Reserve-Windeln, aber kein Babyfutter.« Romeo musterte Klein-Dimitri mit hochgezogenen Brauen. »Was schätzt du, wie alt er ist?«
»Keine Ahnung. Ein halbes Jahr?«
»Bestimmt braucht er irgendein Spezialfutter.« Romeo rieb sich die Stirn. »Fuck.«
»Hast du's?«, fragte ich ungeduldig.
Romeo atmete tief ein und aus. »Wie kannst du so ruhig bleiben?«
Ich hatte keine Ahnung. Vielleicht lag es an dem Baby auf meinem Arm. Vielleicht auch nur daran, dass ich jetzt eine Aufgabe hatte. Eine Aufgabe, die wichtiger war als alles andere auf der Welt. Wichtiger als alle Fragen, Rätsel und Zweifel, die ich mit mir herumtrug. »Wenn du soweit bist, suchen wir eine Apotheke, die Nachtdienst hat. Vielleicht gibt es da die Spezialnahrung, die Klein-Dimitri braucht.«
»Willst du ihn wirklich so nennen?«
Ich presste die Lippen zusammen. Romeo hatte Recht. Klein-Dimitri brauchte einen richtigen Namen. Eigentlich eine Aufgabe für Isabella, aber dann würde er vermutlich Harry oder Frodo getauft. »Nennen wir ihn vorübergehend Felix«, schlug ich vor. »Weil er Glück hatte, dass wir ihn gefunden haben.«
»Alles ist besser als Dimitri«, brummte Romeo und startete den Motor. »Auch wenn ich Johnny, Frank oder Tony auch nicht schlecht gefunden hätte.«
»Du wirst aus ihm keinen Mini-Gangsterboss machen«, gab ich zurück. »Und wegen der Sache mit Opa reden wir noch. Das hat sich noch nicht erledigt.«
DU LIEST GERADE
Nonlinear
Mistério / SuspenseEmilia und ihre kleine Schwester Isabella arbeiten in den Semesterferien im Waffelladen ihres notorisch kriminellen Cousins. Zu den üblichen Problemen - verschwundenen Eiern, paranoiden Lieferanten und nächtlichen Prügeleien - gesellt sich schon bal...