08-2 | Cinderella

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Das darf doch nicht wahr sein, dachte ich. Von mir aus sollte Cindy meinem Cousin auf die Nerven gehen, aber nicht Dimitri – und das nicht nur, weil ich selbst ein Auge auf ihn geworfen hatte. Dimitri war irgendwie so ungewöhnlich, in vielerlei Hinsicht geradezu unbedarft. Ich fürchtete ernsthaft, dass er Cindys aggressiven Annäherungsversuchen nicht gewachsen sein könnte.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich komplett lächerlich machen würde, drängte ich mich erneut durch die Menge, die sich auf der Tanzfläche zum Takt der Musik bewegte. Als ich bis auf ein paar Schritte heran war, konnte ich Cindys affektiertes Lachen vernehmen.

»Hey«, flötete ich, glitt an Dimitris Seite und setzte ein erzwungenes Lächeln auf. »Cindy. Lange nicht gesehen.«

Cindy musterte mich unter ihren falschen Wimpern herablassend. Auf ihren hohen Absätzen war sie gut einen halben Kopf größer als ich. Sofort wünschte ich mir, ich hätte mich nicht für das bequeme Outfit entschieden, sondern auf Isabella gehört und mich richtig aufgestylt. »Ach, du bist es, Emma. Mit offenen Haaren hätte ich dich fast nicht erkannt.« Sie hob eine ordentlich gezupfte Augenbraue. »Willst du wen aufreißen?«

»Mein Name ist Emilia«, erwiderte ich. »Und nein, ich bin mit meinem Cousin und einem neuen Kollegen hier.« Ich lächelte Dimitri zu. »Aber anscheinend habt ihr euch ja schon kennengelernt.«

»Du arbeitest für Mister Arsch?«, fragte Cindy ungläubig.

Dimitri nickte. »Waffeln sind ab jetzt mein Leben. Oder zumindest ein Drittel davon.«

Zum ersten Mal seit ich sie kannte, schien Cindy sprachlos zu sein. Als könnte sie nicht glauben, dass jemand mit Dimitris Aussehen und Ausdrucksweise in einem Laden wie "Zu den Waffeln" arbeitete. Im Grunde konnte ich es selbst nicht glauben.

»Waffeln?«, wiederholte Cindy und sah erst Dimitri, dann mich an, als wäre das Ganze irgendwie meine Schuld.

»Belgische«, erklärte Dimitri fröhlich. »Mit Zutaten deiner Wahl. Oder in den Variationen Schwarzwälderkirsch, Karibik, Erdbeertraum, Banana-«

»Sorry, Süßer«, unterbrach ihn Cindy und kräuselte den kirschroten Kussmund. »Aber Romeos Waffeln würde ich nicht mal meiner Katze verfüttern.«

»Nein, weil du Katzen lieber verhungern lässt, wie wir alle wissen«, entgegnete ich.

Cindy flippte sich eine seidig glatte Haarsträhne über die Schulter. »Das ist eine Lüge, Emma. Und das weißt du ganz genau.« Sie wandte sich wieder an Dimitri: »Hör' nicht auf sie. Emma und ihre Schwester lügen, wenn sie den Mund aufmachen.«

»Das kann ich nicht bestätigen«, entgegnete Dimitri. »Emilia hat mir gesagt, dass ich nett bin – und das stimmt ganz sicher.« Sein Lächeln verlor an Herzlichkeit. »Denn wenn ich nicht nett wäre, würde ich es dir sehr übel nehmen, dass du so über meine Kollegin redest.«

Cindy sah ihn noch einen Moment an, dann schien sie zu entscheiden, dass bei Dimitri nichts zu holen war. Sie rümpfte ihr spitzes Näschen und stolzierte mit wiegenden Hüften davon.

»Danke«, seufzte ich.

»Ich wollte Kollegin und Freundin sagen«, erwiderte Dimitri. »Aber ich war mir nicht sicher, wie du das finden würdest.«

»Ich würde das sehr gut finden.« Mein Herz machte einen Luftsprung und mein Mund machte sich selbstständig. »Aber Cindy hatte Recht. Das mit der Katze war gelogen. Wir haben diese Geschichte nur erfunden, um Romeo zu rächen.« Nachdenklich ergänzte ich: »Obwohl er es vermutlich verdient hatte, mit dem Handy beworfen zu werden.«

Dimitri schmunzelte. Im flirrenden Lichterspiel wirkten seine Augen wie zwei Knöpfe aus Blattgold. »Manchmal ist es okay, sich die Wahrheit ein klein wenig zurechtzubiegen.«

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