18-1 | Treffpunkt Tümpel

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»Du warst noch nie zelten?«

Dimitri lachte. »Nein. Wie schon gesagt ... ich habe noch nie Urlaub gemacht.«

»Aber zelten ...« Ich löste mich von seinem Arm, um ihm besser ins Gesicht sehen zu können. »Das ist doch kein Urlaub. Als Kinder haben meine Schwester und ich oft im Garten gezeltet. Nur so zum Spaß.« Die Erinnerung an diese unbeschwerte Zeit malte mir ein Lächeln ins Gesicht. »Obwohl Bella die Jüngere ist, hat sie mir immer Gruselgeschichten erzählt, bis ich es nicht mehr ausgehalten habe. Und Romeo hat dauernd versucht, unser Zelt umzuwerfen. Der war damals schon ein ziemlicher Trottel.«

»Ich finde Romeo gar nicht so übel.«

»Ist das dein Ernst?«

Dimitri zuckte mit den Schultern. »Es ist bestimmt etwas Anderes, wenn man mehr Zeit mit ihm verbringt, aber-«

»Und das sagst du, obwohl er dich ausrauben wollte?«, erwiderte ich und biss mir gleich darauf auf die Zungenspitze. Ich hatte mit Dimitri über dieses Thema reden wollen, aber nicht unbedingt jetzt und hier.

»Du weißt davon?«, fragte Dimitri, während wir langsam am modrigen Tümpel entlang wanderten. Der Kies knirschte unter unseren Schuhen.

»Ja, ich hab davon gehört.«

»Nun, genau genommen, wollte er ja nicht mich ausrauben.«

»Nein. Irgendeinen harmlosen alten Mann«, erwiderte ich gereizt. »Als ob es das besser machen würde.« Ich warf Dimitri einen scharfen Blick zu. »Oder findest du das in Ordnung?«

»Natürlich nicht.« Dimitri seufzte. »Ich will damit nur sagen, dass es deswegen kein böses Blut zwischen uns gibt.«

»Von deiner Seite aus vielleicht nicht«, gab ich zurück. »Aber Romeo sieht das wohl ein bisschen anders. Ich denke, er hätte nichts dagegen, wenn du einfach wieder verschwinden würdest.« Meine Worte wurden zum Satzende hin immer leiser. Die Vorstellung schnürte mir den Hals zu. Es war vielleicht albern, weil ich Dimitri gerade mal ein paar Tage kannte, aber ich mochte ihn gern und wollte die Art, wie er mir den Alltag versüßte, zumindest noch eine Weile genießen. Wenigstens für die Dauer der Semesterferien. Und wer wusste schon, was danach kommen würde? Vielleicht hatte unser Sommerflirt ja tatsächlich eine Chance.

»Mag sein, aber er wird mich nicht rauswerfen«, sagte Dimitri.

»Weil du ihn erpresst«, stellte ich sachlich fest.

Dimitri zog eine Grimasse. »Ich habe ihm lediglich die Möglichkeit geboten, die ganze Sache wiedergutzumachen.«

»Hast du denn Beweise für den versuchten Überfall?«

»Es gibt eine Überwachungskamera an der Tür. Sie gehört den Vermietern, aber ich habe Zugriff auf die Bilder.« Dimitri strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht und fuhr in einem veränderten Tonfall fort. »Keine Sorge, ich habe nicht vor, ihn bei der Polizei anzuzeigen, solange er mich für eine Weile im Laden arbeiten lässt.«

Wir blieben am Rand des Tümpels stehen. Wegen der Wasserlinsen war er kaum vom Ufergras zu unterscheiden. Die Wasseroberfläche, die hier und da durch den Pflanzenteppich schimmerte, war pechschwarz. Ein vager Geruch von Feuchtigkeit und Moder lag in der Luft. Als Kind hatte ich gedacht, der Tümpel wäre das Portal zu einer anderen Welt. Wahrscheinlich hatte Isabella mir diesen Floh ins Ohr gesetzt. Möglicherweise war diese Vorstellung auch der Grund für meine latente Furcht vor Strudeln. Irgendwie konnte ich mir gut vorstellen, dass das schwarze Wasser kleine Kinder in die Tiefe ziehen und für immer verschlucken konnte.

Mir kam ein grässlicher Gedanke. War das der Grund für Lenis Verschwinden? War sie in einem der drei Teiche ertrunken? Ich erinnerte mich, dass sie gerne hergekommen war, um die Enten zu füttern. War sie in der Nacht ihres Verschwindens hier gewesen?

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