02-2 | Spaghettieis mit Sahne

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Romano's lag nur ein paar Hausecken entfernt. Die Besitzer stammten aus dem gleichen apulischen Dorf wie unsere Mutter und ihr Bruder Giuseppe, was einen starken Zusammenhalt zwischen den Familien begründet hatte. Früher waren wir oft bei den Romanos zu Besuch gewesen. Während wir Kinder oben im Haus gespielt hatten, hatten die Erwachsenen unten im Gastraum in Erinnerungen aus ihrer italienischen Heimat geschwelgt.

Isabella und ich bogen gerade auf den gepflasterten Kirchplatz ein, der von einer dekorativen Bronzefigur in Form eines tanzenden Flötenspielers geschmückt wurde, da ertönte ein dumpfes Donnergrollen.

»Nanu?«, sagte Isabella und legte den Kopf in den Nacken.

Ich machte es ihr nach und drehte mich dabei langsam im Kreis. Nach hundertachtzig Grad hatte ich den Übeltäter entdeckt. Eine dunkle Wolkenfront, die sich von hinten an uns herangeschlichen hatte.

»Yay, Gewitter«, triumphierte Isabella.

»Hoffentlich etwas Abkühlung«, erwiderte ich und zupfte an meinem weißen T-Shirt herum, das mir wie eine zweite Haut am Körper klebte.

Wir setzten unseren Weg fort und steuerten zielstrebig eine etwas erhöht liegende Terrasse mit hölzernem Geländer und roten Sonnenschirmen an. Die dazugehörige Gelateria hatte einen rustikalen, südländischen Charme, mit Terrakottafliesen, ockerfarbenen Mauern und dunkelgrünen Fensterläden. Eine Hälfte des Hauses wurde von Zaunwinden überwuchert. In den Blumenkästen vor den Fenstern wuchsen Rosmarin und Oregano, in einem Tontopf auf dem Balkon stand ein ordentlich gestutztes Zitronenbäumchen.

»Ciao, Matteo«, begrüßte ich den ältesten Sohn der Familie Romano, der auf der Terrasse stand und mit zusammengekniffenen Augen in den rasch dunkler werdenden Himmel spähte. Er war ein schlaksiger, stets fröhlicher junger Mann mit krausen Locken und Lachgrübchen in den Wangen.

Matteo senkte den Blick und lächelte. »Ciao, Emilia.« Er nickte Isabella zu. »Lange nicht gesehen.«

»Ein halbes Jahr«, erwiderte ich.

»Helft ihr wieder bei Romeo aus?«

»Nur ein paar Wochen.« Ich ließ meinen Blick über den Schriftzug ROMANO'S auf der Markise wandern. »Und du? Wie läuft es bei euch?«

»Kann nicht klagen«, sagte Matteo und fuhr sich mit einer Hand durch die Locken, die sich wie schwarze Würmchen auf seinem Kopf ringelten. »Wir sind die einzige Eisdiele in der Stadt und es ist ein heißer Sommer.«

Ich nickte verständnisvoll.

Heiderstedt war nicht groß genug für zwei Süßspeisenläden und im Moment sah es so aus, als hätte die Eisdiele die Nase vorn. Dennoch gab es kein böses Blut zwischen den Marchettis und den Romanos. Die Freundschaft zwischen den beiden Familien war sogar so stark, dass Romeo lieber irgendwelchen chinesischen Bankern die Schuld an seiner finanziellen Lage gab als der Konkurrenz.

»Wollt ihr ein Eis?«, fragte Matteo. »Geht auf's Haus.«

»Nicht nötig«, erwiderte ich. »Bella bezahlt.«

»Hey«, beschwerte sich Isabella.

Matteo und ich tauschten verschwörerische Blicke. Wir wussten beide, wie kleine Schwestern sein konnten und dass man sie ab und zu ein bisschen piesaken musste, damit sie nicht vergaßen, wer der Boss war.

»Kommt«, sagte Matteo anschließend und führte uns zu einem Tisch in der hinteren Ecke der Terrasse. Dort waren wir ungestört und hatten eine gute Aussicht auf den Kirchplatz und die Jakobus-Kirche, ein zusammengeschustert wirkendes Gebäude aus dunklen und hellen Feldsteinquadern, roten und braunen Dachziegeln und einem ganz offensichtlich nachträglich hinzugefügten Kirchturm aus kupferfarbenem Backstein.

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