09-1 | Die Heiderstedt-Verschwörung

213 35 16
                                    

»Ich hab's!«, triumphierte Isabella. »Dimitri ist Cinderella.«

Ich stöhnte. »Bella ...«

»Und er musste gehen, weil der Zauber der guten Fee aufgehört hat, zu wirken.« Isabella spähte in den Regen hinaus. »Hat er vielleicht irgendwo einen Schuh verloren?«

Es war schon der zweite Tag, an dem Dimitri nicht zur Arbeit erschienen war. Seit dem Abend im Target hatte ich ihn nicht mehr gesehen und der Gedanke, dass er wegen mir fehlte, machte mich krank.

»Was hat er nochmal gesagt, Romeo?«, fragte Isabella.

Romeo, der sich mit einem Möbelkatalog in eine Ecke des Ladens zurückgezogen hatte, ächzte. »Er ist krank, Bella. Ganz einfach. Hört auf, daraus irgendeine Story zu stricken.«

»Na ja, du willst uns ja nicht die Wahrheit sagen«, konterte Isabella.

»Was soll denn das jetzt heißen?«

»Wieso hast du ihn wirklich eingestellt?«

Romeo schmetterte den Katalog auf den Tisch. »Das hab' ich euch doch schon zehn Mal gesagt. Mensch, ihr Weiber könnt einem aber auch auf die Nerven gehen!«

Ich hörte der Unterhaltung nur halb zu. In Gedanken war ich noch immer im Target. Hatte ich irgendwas getan, um Dimitri zu verschrecken? War ich ihm zu nahe gekommen? Dabei war ich mir so sicher gewesen, dass er in diesem Moment genauso empfunden hatte wie ich. Hatte ich mich geirrt? Oder war er wirklich einfach nur krank?

»Ich hatte Mitleid mit ihm«, sagte Romeo. »Deswegen hab' ich ihm diesen Job gegeben. Konnte ja nicht wissen, dass er sich an meine Cousine ranschmeißen würde.«

»Das hat er nicht«, widersprach Isabella. »Mal ganz davon abgesehen, dass das ja wohl ganz allein Emmis Sache ist.«

»Irrtum. Solange ihr hier wohnt, muss ich mich um euch kümmern.« Romeo zuckte mit den Schultern. »So ist das eben.«

»Kümmer' dich lieber um deinen eigenen Scheiß.« Isabella nahm einen Löffel aus der Schublade und katapultierte ein Raffaello in Romeos Richtung. »Oder willst du hier versauern? Tagsüber Waffeln verkaufen und abends im Target feiern? Denkst du, so kriegst du irgendwann mal eine Rente?«

Romeo warf ihr einen bösen Blick zu. »Na, wenn du hier mein Essen durch die Gegend wirfst, krieg' ich auch keine Rente.« Ich spürte, dass er sich mir zuwandte. »Und selbst wenn es mir egal wäre, wen sich mein Cousinchen anlacht, kommt dieser Dimitri einfach nicht in die Tüte. Verstanden?« Er stand so ruckartig auf, dass die Beine seines Stuhls über den Fliesenboden schabten. »Such' dir jemand anderen. Am besten jemanden, der nich' in 'nem Waffelladen arbeitet. Jemanden mit 'ner Rente.« Ich konnte hören, wie er zur Hintertür marschierte und wenig später die Tür zu seinem Büro zuknallte.

»Na, der ist ja gut drauf«, brummte Isabella.

»Vielleicht hat er ja Recht.«

Isabella sog scharf Luft ein. »Nein! Schluss! Sowas darfst du gar nicht denken.«

»Aber ...« Die nächsten Worte auszusprechen, bereitete mir fast körperliche Schmerzen. »Was, wenn mit Dimitri wirklich irgendwas nicht stimmt?«

»Natürlich stimmt mit Dimitri etwas nicht. Er ist ein netter Kerl unter lauter Idioten.«

»Neulich warst du noch der Meinung, er wäre ein Serienmörder.«

Die Tür zum Laden wurde aufgestoßen und Patrice stapfte herein. Auf den Armen trug er einen Karton mit Eiern vom Biohof. »Guckt nich' so«, grollte er. »Jemand hat schon wieder unsere Eier geklaut. Und 'ne ganze Schachtel KitKat.«

NonlinearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt