04-2 | Kinderkram

244 36 33
                                    

Im nächsten Moment schoss Isabellas limettengrüner Toyota Yaris aus dem Wald und kam vor dem Gartentörchen der Blockhütte zum Stehen. Romeo stieß die Fahrertür auf und sprang ins Freie. Er trug eine kurze Cargo-Hose und ein lockeres Muskelshirt, das seinen vom Krafttraining gestählten Oberkörper und seine vielen Tattoos in Szene setzte.

Ich erhob mich von der Holzbank und trat neben Dimitri ans Geländer der Veranda. Das erschien mir ratsam, um schnell eingreifen zu können, falls die Situation eskalieren sollte. Bislang hatte ich Romeo noch nie einen anderen Menschen mit einer Waffe bedrohen sehen, aber ich wusste, dass er eine besaß und manchmal Witze übers Rumballern machte. Natürlich traute ich ihm nicht zu, Dimitri kaltblütig zu ermorden. Mein Cousin war kein schlechter Mensch, aber er hatte ein überschießendes Temperament und plante nicht gerne im Voraus.

Romeo setzte über den Zaun hinweg und stampfte durch den Garten zur Veranda. Der Anblick beschwor Erinnerungen an die zehnte Klasse herauf, als er meinem Date Frederick Fiedler mit einem Faustschlag die Nase gebrochen hatte. Allerdings hatte Frederick diese Behandlung auch verdient gehabt. Die miese kleine Ratte hatte beim Fummeln heimlich Fotos von mir – oder vielmehr: von meinem Oberkörper – gemacht. Vermutlich, um sie seinen Kumpels zu zeigen oder um sich später einen von der Palme zu wedeln. Wie auch immer, rückblickend war ich froh, dass Romeo ihm eine verpasst hatte. In Dimitris Fall hoffte ich jedoch, dass sich eine Prügelei vermeiden lassen würde.

Am Fuß der Treppe zur Veranda blieb Romeo stehen und musterte Dimitri lauernd, beinahe auf die gleiche Weise, auf die Dimitri zuvor den bissigen Hund gemustert hatte. »Komm' runter, Emmi.«

»Du siehst doch, es geht mir gut«, versuchte ich die Situation zu deeskalieren. »Ich habe Dimitri nur den Weg nach Hause gezeigt.«

»Ja, klar«, erwiderte Romeo höhnisch, kniff die Lippen zusammen und streckte die Hand aus. »Komm' jetzt. Wir gehen.«

»Ich bin kein kleines Kind mehr«, erwiderte ich gereizt. Vorbei war es mit meinen Deeskalationsbemühungen. Hitze stieg mir ins Gesicht, eine seltsame Mischung aus Wut und Scham. »Du kannst mich nicht einfach herumkommandieren.«

Im Hintergrund kletterte Isabella über den Zaun, verhedderte sich mit ihrem Hosenbein an einer der Holzlatten und kippte vornüber ins Gestrüpp.

»Wir gehen jetzt«, wiederholte Romeo schärfer und ohne auf meinen Einwand einzugehen. Dabei sah er mich nicht einmal an. Seine ganze Aufmerksamkeit galt Dimitri. Und Dimitri erwiderte seinen Blick mit kühner Gelassenheit.

Schlagartig wurde mir klar, dass die eigentliche Unterhaltung nicht zwischen mir und Romeo stattfand, sondern zwischen Dimitri und Romeo. Eine Art stummes Kräftemessen, ein mentaler Schwanzvergleich. Wie auch immer. Ich hatte keine Ahnung und wollte es auch nicht wissen.

»Ach, ihr könnt mich mal«, schimpfte ich. »Beide.«

Mit diesen Worten sprang ich die Stufen hinunter und eilte zu meiner Schwester, um ihr aufzuhelfen.

»Der Anblick kommt mir irgendwie bekannt vor«, bemerkte ich und konnte mir ein süffisantes Grinsen nicht verkneifen. »Wie damals bei den Bundesjugendspielen. Weißt du noch? Hürde eins – Isabella null.«

Isabella nahm meine Hand, zog sich mühsam wieder auf die Beine und klopfte sich Erde und Unkraut von der Hose. »Ja, ja, immer auf die Kleinen«, maulte sie, betrachtete stirnrunzelnd ihre dreckigen Handflächen und wischte sie sich schließlich an der Hose ab.

»Das geschieht dir nur recht«, gab ich zurück. »Wegen dir habe ich mich vor Dimitri bis auf die Knochen blamiert.«

»Ach was«, brummte Isabella. »Er ist ein Mann.«

NonlinearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt