Kapitel 41

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Pov. Ruby

In Gedanken versunken blickte ich aus dem grossen Fenster.
Es war schon dunkel, nur die  Straßenlaternen spendeten ein wenig Licht.
Stimmengewirr und das Geräusch von klappernden Tellern und Besteck drang an meine Ohren.

Doch ich war ganz wo anderst.
Nicht in diesem kleinen Restaurant in New York.
Nicht bei diesem Holztisch mit einem Teller Spaghetti.
Nicht am essen, neben Kate.

Nein, ich war bei ihm.
Bei meinem Teddyjunge.

Die Sonne stand am Wolkenlosen Himmel und es war angenehm warm.
Wir sassen mitten auf einer Wiese, umgeben von vielen Blumen, die ihre Schönheit in allem Farben zeigten.
Gemütlich sassen wir auf einer Picknickdecke, auf der die verschiedensten Leckereien ausgebreitet waren.
Der Teddyjunge hatte einen Arm um meine Schultern gelegt und hielt mich fest.
Er lächelte mich an und flüsterte mir etwas ins Ohr.
Glücklich lächelte ich zurück.
Alle Sorgen schienen wie weggeblasen.
Alles war gut.

Plötzlich tippte mir jemand auf den Arm und holte mich so zurück in die Realität.

Die schöne Gedankenwelt um mich herum verpuffte und ich sass da, auf einem unbequemen Holzstuhl, an einem kleinen Tischchen, vor mir ein unberührter Teller Spaghetti und spürte Kates besorgten Blick auf mir.

Ich hob den Blick und sah sie an, wollte ihr zu verstehen geben, dass alles gut sei.

Doch das stimmte nicht.

Es war nicht alles gut.
Und wie es mir ging?

Ich spürte nur diese leere in mir.
In den letzten Tagen war ich wütend gewesen, traurig, enttäuscht und fühlte mich verraten.

Doch jetzt war da nur noch diese leere.

~~~

Ich schlenderte neben Kate durch die Straßen von New York, zurück zum Hotel.
Ein kühler Wind wehte und ließ Blätter durch die Luft tanzten.
Es war schon dunkel, nur Straßenlaternen warfen ihr Licht auf den Weg.
Abgesehen von dem Rascheln, der Blätter unter unseren Schuhen, herrschte Stille.

Es war jedoch nicht diese Art von Stille, die unangenehm war.
Nein, es war eine schöne Stille.

Nachdem wir eine halbe Stunde Seite an Seite in Richtung Hotel gingen, erreichten wir schließlich das grosse, weisse Gebäude.

Warme Luft schlug uns entgegen, als wir die Eingangshalle betraten.
Wir gingen die Treppe hoch und in mein Hotelzimmer.
Kate hatte zwar ein eigenes Zimmer gemietet, doch sie verbrachte Tagsüber die meiste Zeit bei mir.
Cavens Schwester war eine gute Freundin für mich geworden.
Wir verstanden uns wortwörtlich ohne Worte.

Sie und Emm waren wohl meine einzigen Freunde. Doch es waren gute, echte Freunde.
Menschen, denen ich vertraute.
Oder gehörte Caven auch zu meinen Freunden?
War er mehr als nur das?

Ich seufzte.
Warum musste nur alles so kompliziert sein?

Emm! Der Gedanke an meine Beste Freundin zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht.

Ich schnappte mir mein Handy und wählte ihre Nummer.
Nachdem es ein Paar mal getutet hatte, meldete sie sich.

"Heyyy süsse!," rief sie fröhlich und so laut, dass ich das Handy ein Stück von meinem Ohr weg hielt.

"Hi Emm," begrüsste ich sie, "wie geht es dir?"

"Ganz gut. Und dir?"

"Das ist schön. Mir geht es auch gut," antwortete ich und fühlte mich wie die größte Lügnerin.

Auf meine Antwort folgte stille und ich konnte mir vorstellen, wie Emm den Kopf schief legte, wie sie es oft tat wenn sie nachdachte.

"Weisst du Ruby," unterbrach sie plötzlich die Stille, "das kannst du jedem erzählen und er würde es dir glauben. Aber ich bin deine beste Freundin, glaubst du wirklich, ich würde es nicht hören, wenn es dir nicht gut geht?"

Ich schluckte. Emm kannte mich einfach zu gut.

"Tut mir leid. Wirklich. Ich wollte dich nicht anlügen, aber ich wollte nicht dass du dir Sorgen machst."

"Oh Ruby, mach dir deswegen keinen Kopf, Erzähl mir lieber was los ist."

Sie war so lieb und ich hätte sie gerade am liebsten umarmt.

"Ich vermisse dich," sagte ich und bemerkte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten.

"Ich dich auch," sagte Emm mit weicher Stimme.

Es waren so wenige Worte, doch ich hörte aus ihnen heraus, wie meine beste Freundin sich fühlte.
Kurz herrschte Stille, doch dann hörte ich wieder ihre vertraute Stimme: "jetzt erzähl schon, was ist los?"

Und da brach ein Damm in mir und die Worte flossen zusammen mit den Tränen, nur so aus mir heraus.

Ich erzählte ihr alles.
Wie ich in New York ankam, das Buch holte und Caven kennenlernte.
Ich erzählte ihr von der geerbten Halskette, dem schönen Nachmittag mit Caven, davon wie er einfach verschwand, von Kate und davon, wie wir durch das Fernsehen erfuhren, dass Caven ein Mörder sein sollte.

Und dann, als ich verstummte, bemerkte ich, wie gut es tat, mit ihr über alles zu reden.
Emm hatte mich nie unterbrochen und aufmerksam zugehört.

"Das mit Caven tut mir so leid!
Wenn ich jetzt bei dir wäre, würde ich dich umarmen. Aber das geht ja jetzt leider nicht. Stell es dir einfach vor, okay?"

"Okay," flüsterte ich mit tränenerstickten Stimme.

"Aber weisst du was?," fuhr sie fort, "dieser Idiot verdient es nicht, dass du ihm auch nur eine Träne hinterher weinst."

Sie hatte Recht. Doch es war so schwer. Auch wenn er ein Idiot war, so hatte ich dennoch Angst um ihn. Schließlich wurde er überall gesucht und ich wollte mir gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn er erwischt wurde.

"Emm, irgendwie kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass er ein Mörder sein soll," murmelte ich.

"Das glaube ich dir. Aber du kennst ihn noch nicht lange und manchmal sind Menschen ganz anders als man anfangs denkt."

Wiedereinmal hatte sie Recht.
Doch ich wollte es einfach nicht einsehen.

"Vielleicht war es jemand anderes und Caven wurde mit ihm verwechselt, weil sie sich so sehr ähneln." Sagte Emm, doch ich hörte die Zweifel in ihrer Stimme und wusste, dass sie das nur sagte, um mich aufzumuntern.

Doch was, wenn es wirklich stimmte?

Auf der Suche nach meiner  Vergangenheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt