Stille Nacht ✔️

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Tysan

Verwirrt schaue ich Sydney und Clark hinterher, der sich deutlich unter der Berührung des Schwarzhaarigen anspannt. Interessant, dass er sich auch bei vertrauten Person so schwer tut sie zu berühren. Meine Augen wandern wieder zurück zu James und ich sehe ihn skeptisch an.

„Willst du dich nicht mal anziehen?" , erinnere ich ihn amüsiert. „Ja, mache ich gleich", murmelt er unverständlich, wirkt aber nicht richtig anwesend. Ich belasse es dabei und will in die Küche verschwinden. Bei der Tür mache ich allerdings halt und lausche den Stimmen.
„Was möchtest du wirklich hier Clark?" , fragt Sydney für mein Geschmack etwas kühl, aber ich weiß schließlich, dass sie ein wenig Streit haben.
„Und wie kommst du bitte darauf, dass ich hier überhaupt etwas will?"
„Clark ich kenne dich schon unheimlich lange und ich weiß du entschuldigst dich nie, also?", hakt Syd weiter nach.

„Wie du willst", gibt er resigniert auf. „Ich bin hier wegen Tysan."
Geschockt hallt mein Name in mein Ohren wieder. Warum wegen mir? Ich habe vieles erwartet, aber Clark zu durchschauen ist so unmöglich, wie Malec nicht zu shippen.

„Meinst du das ernst?" , fragt Sydney misstrauisch, doch Clark seufzt nur laut. „Keine Ahnung, ich finde es faszinierend wie wenig verstörend er mich findet. Sein Blick war eher so ekelhaft warm und glücklich." Seine Stimme wird leiser zum Ende hin, als würde er seine Worte selbst nicht ganz verstehen. Aber das ist mir mehr als egal, denn ich fühle mich seltsam glücklich wegen seinen Worten. Vielleicht kann er mich doch leiden. Zumindest ein wenig.

„Ich fasse es nicht.,Der Zwerg ist dir wirklich ein Stück unter die Haut gegangen", stellt sein bester Freund fest und hört sich verblüfft an. „Lass' das mit dem Grinsen", erwidert er nur gelangweilt, aber Sydney lacht nur. „Ich hab dich auch lieb."

Ein leichtes Lächeln schleicht auf meine Lippen, als ich die Beiden zurücklasse und ins Wohnzimmer schlendere.

Zu meiner Überraschung sitzen dort meine Eltern und schauen ihren heiß geliebten Krimi.
„Hi, Mum, Dad habt ihr heute keine Nachtschicht?" , wundere ich mich, aber die beiden lächeln mir nur geheimnisvoll entgegen. „Als ob wir arbeiten würden, wenn es was zu feiern gibt", ruft mein Dad empört, aber führt seine Andeutung nicht weiter aus.

„Wovon redet ihr?" Ich fühle mich gerade wirklich selten dämlich, was oft passiert, also vielleicht doch nur dämlich.

„Sie wollen dir sagen, dass du beim Wettbewerb dabei bist und morgen ebenfalls am Benefitskonzert teilnimmst", wirft jemand neben mir trocken in den Raum. Sprachlos sehe ich Clark von der Seite an und spüre das dicke Leder seiner Handschuhe an meinem Handrücken. Auch meine Eltern richten ihre Aufmerksamkeit auf den Mann neben mir und auf einmal wirken sie alarmiert.

„Ty, wer ist das?" , fragt mein Dad fordernd, duldet keine Widerrede.
Verwirrt stottere ich. „Das ist äh.. Clark, der beste Freund von Sydney."
,, Freut mich dich kennenzulernen" , begrüßt meine Mum ihn stumpf, aber er hebt nur spöttisch eine Augenbraue. „Ria, du musst nicht lügen genauso wenig wie du, Gideon. Nicht, wenn vier in diesem Raum wissen das es nicht stimmt. Oder, James?"

Erst als er meinen Bruder anspricht, merke ich das er den Raum betreten hat. Seine braunen Augen verengen sich zu Schlitzen, aber er hält Clark's provozierendem Blick stand. Woher kennt Clark bitte meine Familie? Bin ich ihm etwa früher schon mal begegnet? Oder war er ein Freund von James? So viele offene Fragen stehen im Raum, aber keiner kommt auf die Idee sie mir zu beantworten.

Noch nicht mal über die Annahme beim Wettbewerb kann ich mich jetzt freuen, trotzdem muss ich meiner Band Bescheid geben, weil wir uns noch für ein Song entscheiden müssen.

Genervt lasse ich sie alle zurück und kann nur hoffen, dass sie sich gegenseitig nicht die Köpfe einschlagen. Meine schlechte Laune verbreitet sich wie ein Virus in meinem Körper und entfacht Mordlust in mir. Also echt, warum muss alles immer so verdammt kompliziert sein.

Ich schreibe ein kurzen Text in die Bandgruppe und entscheide mich einfach für den Song „Far Away" von Nickelback. Wieder im Garten setze ich mich auf die kühle Wiese, schaue hoch in den Himmel und bewundere die funkelnden Sterne über mir.

Ich weiß nicht wie lange hier sitze oder auch liege, aber im Laufe der Zeit lässt sich jemand neben mir nieder. Am Geruch von  Sandholz gemischt mit Zimt, erkenne ich das es Clark ist und richte mich auf. Die Sterne spiegeln sich in seinen eisblauen Augen und erzeugen so eine Wärme in ihnen, wo sonst immer nur Kälte zu finden ist. So als könnte ich sein tiefen Schmerz spüren trauere ich mit ihm, auch wenn ich nicht weiß worum.

„Schau nicht so mitleidig", sagt er und sieht mir direkt in die Augen. Ein Bruchteil einer Sekunde kann ich so viele Emotionen in seiner Iris erkennen, dass mir schwindelig wird und mein Herz schmerzhaft gegen meine Brust hämmert. Schmerz, Trauer und Wut. Ohne nachzudenken taste ich nach seiner Hand und lege meine auf sie. Er zuckt zusammen und seine Finger verkrampfen sich unter meinen. Ich bewege sie so, dass sie nur noch auf dem Leder liegen, da er Halbhandschuhe trägt. Seine Muskeln lockern sich, sobald wir keine direkten Hautkontakt mehr haben. Leicht lächelnd schaue ich auf unsere Hände.

Mein Blick wandert zu seinem Handgelenk und die roten, wulstigen Narben auf seinem Unterarm schnüren meine Kehle eng zusammen.

„Durch's anstarren gehen sie auch nicht weg", meint Clark plötzlich kühl, zieht dabei seine Hand unter meiner fort, um in eine abwehrende Haltung zu gehen. Ich schaue ihn bloß traurig an. „Warum?", ist das Einzige, was ich hauchen kann. Er seufzt schwerfällig, als er hätte keine Energie für solch ein Gespräch. „Weil ich keine andere Wahl habe." Ich ziehe die Augenbrauen zusammen.
„Weißt du, Tysan,...es ist eine Art Versicherung, dass ich noch am Leben bin. Auch, wenn es sich so anfühlt, als würde ich sterben. Leben und Überleben ist ein gewaltiger Unterschied", flüstert er in die sonst stille Nacht. Irgendwo tief in mir drinnen kann ich ihn verstehen, aber ich will es nicht. Ich will die Schattenseiten in unserer Welt nicht akzeptieren.

Zu diesem Zeitpunkt weiß ich aber auch nicht wie viel wir noch voneinander lernen werden. Wie sehr wir uns gegenseitig brauchen und wie ich ihn vielleicht retten werde.

I Will Rescue YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt