„Papa?" fragte ich und zog mir unsanft den einen Kopfhörer aus dem Ohr. „Ja, Maja?" fragte mein Vater und sah mich kurz von der Seite an, ehe er seinen Blick wieder auf die Straße richtete. Inzwischen war der Sonnenuntergang längst verblasst und alle Autos hatten ihre Scheinwerfer angeschaltet. Man sah Bremslichter rot aufleuchten oder hörte das Rauschen eines überholenden Autos. Hin und wieder entdeckte man auch einen Mc Donalds oder Tankstellen. „Wann sind wir da?" fragte ich. Wir fuhren bestimmt schon zwei Stunden durch die Dunkelheit. „Gleich," er warf einen Blick auf das integrierte NAVI, „In sieben Minuten." Um ehrlich zu sein, konnte ich immer noch nicht ganz glauben, was gerade passierte. Meine Mutter war schon seit fast zwei Wochen am anderen Ende der Welt und mein Vater und ich waren auf dem Weg zum Flughafen, um nach Amerika zu fliegen. Also von Deutschland aus gesehen eigentlich auch das andere Ende der Welt. Ich hasste es mit dem Flugzeug zu verreisen, aber besondere Situationen erforderten nun auch besondere Maßnahmen. Die Stimme meines Vaters, Phillip, riss mich aus den Gedanken. „Du warst schonmal da. Damals warst du wahrscheinlich noch drei oder zwei Jahre alt. Vielleicht erkennst du ja etwas wieder!" meinte mein Vater. „Ja bestimmt." Meinte ich sarkastisch. „Hör zu, Maja. Ich wollte auch nicht, dass Oma stirbt. Aber du verstehst doch, dass ich Opa jetzt beistehen will, oder nicht?" fragte er mich. Natürlich verstand ich es. Aber trotzdem hatte ich nicht mal richtig Zeit gehabt mich zu verabschieden. Ich hatte keine Ahnung wie lange wir in Amerika bleiben würden und ich bezweifelte, dass mein Vater das wusste. „Wo soll ich denn bitte zur Schule gehen?! Papa, meine Freunde sind alle in Deutschland!" versuchte ich, ihm meine Lage zu erläutern. „Ich weiß. Aber heut zu Tage gibt es Zoom, FaceTime, Skype, WhatsApp und was weiß ich noch alles! Außerdem lebt Opa ja auch nicht allein! Zudem sind dort Ferien und ganz ehrlich, vielleicht könntest du dir auch für die Zeit mal eine Auszeit von der Schule gönnen?" fragte er. Das änderte die Lage ganz erheblich. „Oh, ja! Das kann ich sehr gut!" meinte ich und grinste. Papa bog in ein Parkhaus mit niedriger Decke ein, und parkte. Der Motor verstummte und sofort war es gespenstisch still. Nicht viele andere Menschen waren unterwegs, um diese Uhrzeit. Wir beide stiegen aus und liefen an den Kofferraum. Dort nahm ich mir meinen Koffer und die Reisetasche. Mein Papa hatte mir befohlen, einfach einzupacken was ging. Das war auch noch ein Hinweis darauf, dass er tatsächlich nicht wusste, wie lang wir blieben.
Schwer bepackt liefen wir durch das stinkende Parkhaus und atmeten erleichtert auf, als die frischere Luft aus der riesigen Flughafenhalle, uns erreichte. Wir liefen stumm durch die riesige Halle auf unser Gate zu. Auch dort standen nur etwa dreißig Personen, alle in Hoodies und Jogginghosen gekleidet. In diesem Punkt passte ich mich ziemlich gut an. Müde ließ ich mich auf einen Sitz fallen und war kurz davor die Augen zu schließen als eine Durchsage mich aufschrecken ließ. „Der Flug nach Vancouver geht in fünfzehn Minuten! Bitte begeben sie sich zum Gate! Wir wünschen ihnen einen angenehmen Flug mit der Lufthansa." Ich stöhnte auf und sah gequält in die eisblauen Augen meines Vaters. Der amüsierte sich etwas über mein Verhalten und zog sein Handy aus der Hosentasche.
Wenig später stellten wir uns an der Warteschlange an, die sich inzwischen gebildet hatte. Als wir durch den letzten Check gekommen waren, drehte ich mich um und wartete kurz, bis mein Vater auf einer Höhe mit mir lief. Mein Herz schlug etwas schneller als normal, denn allein die Vorstellung in einem fliegenden Etwas zu schlafen, machte mich wacher als Kaffee oder Cola. Mit dem Handy in der Hand lief meine einzige Begleitung den Glasgang entlang. An der Stewardess vorbei, die wir beide müde, aber freundlich grüßten, ins Innere der Maschine. „Achtundzwanzig, Neunundzwanzig, dreißig! Hier sind unsere Plätze!" ich blieb im schmalen Gang stehen und wartete bis sich Papa an den Fensterplatz gesetzt hatte. „Geht's da vorne vielleicht auch mal weiter?!" ertönte eine genervte und wütende Stimme von weiter hinten. Schnell setzte ich mich auch und ließ somit allen Leuten wieder freien Durchgang. Die Sitze konnte man weit nach hinten stellen, sodass sie flach wie eine Matratze lagen. Außerdem hingen über den Lehnen weiße Laken, welche man zum zudecken benutzen sollte. „Maja, ich glaube du musst noch sitzen bleiben, bis wir oben sind." Informierte mich mein Vater als ich gerade den Sitz nach hinten klappen wollte. „Hach, mein Schlafrhythmus ist eh am Arsch!" meinte ich gleichgültig und gähnte trotzdem. Es kam das allgemeine Gelaber aus den Lautsprechern, von wegen „bitte beachten sie die Sicherheitsmaßnahmen", „schnallen sie sich zum Starten und Landen an" und „ich bin heute ihr Pilot, einen angenehmen Flug" Ich krallte mich mit den Fingernägeln in die Armlehne und versuchte den Druck auf meinen Ohren auszugleichen. „Geht's?" fragte Papa unnötiger Weise von der Seite. Ich presste ein „Ja." Zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Das Flugzeug beschleunigte sich und ich spürte, dass es nun abgehoben war. Trotzdem blieben meine Finger verkrampft. Höhr und höher stieg die riesige Maschine in den Himmel empor. Erst, als wir schon lange die Wolkendecke durchbrochen hatten, erlosch das kleine Anschnall-Symbol. Papa saß mit einer Zeitschrift in der Hand neben mir. Ich fuhr nun den Sitz nach hinten und zog das Laken von der Lehne hinunter. So gut es ging, deckte ich mich zu und versuchte eine angenehme Position zum Schlafen zu finden. „Gute Nacht." Murmelte ich noch an Papa gewandt. „Schlaf gut." Ertönte eine Antwort. Das bestätigte sich, denn ich fiel wider Erwarten in einen tiefen Schlaf. Auch wenn ich wirres Zeug geträumt hatte, war mein Schlaf sehr erholsam gewesen. Ich wachte erst nach etwa sieben Stunden wieder auf. Als ich mich aufsetzte, schlief mein Papa neben mir. Ich fuhr mir einmal durch meine schokoladenbraunen Haare und griff nach meinem Handy. Der Flugmodus war bereits eingestellt und ich steckte meine Kopfhörer ein. Nun erklang leicht und ruhige Hintergrundmusik, welche mich ungemein entspannte.
Anscheinend war ich nochmal eingeschlafen, denn ich wachte auf. Mein Vater war inzwischen wach und hatte auch Kopfhörer in den Ohren. „Oh du bist wach! Es kam gerade Essen vorbei, ich denke es ist noch warm." Ich setzte mich zum zweiten Mal auf, doch diesmal kurbelte ich den Sitz wieder so, dass ich eine gerade Lehne hatte. Ich klappte den kleinen Tisch aus, der in der Lehne des Vordersitzes angebracht war. Papa stellte dort eine Pappschachtel mit Nudeln und Bolognese ab. „Na immerhin sieht es lecker aus..." meinte ich. „Es schmeckt eigentlich auch ganz gut." Beruhigte mich mein Papa. „Erzähl mir von der Ranch!" forderte ich ihn auf. Natürlich konnte ich mich nicht erinnern, wie auch wenn ich zwei gewesen war, als ich das letzte Mal dort war. Mein Vater fing an zu erzählen: „Sie ist schön. Es gibt dort ein großes Haupthaus, wo alle Zimmer drin sind. Außerdem gibt es eine große Küche und ein Sofa, dass zehnmal so groß ist wie unseres," meinte er. „Dann gibt es dort noch den Stall. Ich würde sagen, dass da ungefähr zwanzig Pferde drinstehen. Der Stall ist mi einer Weide verbunden, die sich genau dahinter befindet. Direkt daneben findet man die Scheune. Und dann sind hinterm Haupthaus noch eine große Weide." Er sah mich von der Seite an. Ich hatte währenddessen still gegessen und aufmerksam zugehört. Vielleicht würde es doch gar nicht so schlimm werden. Ich konnte ziemlich gut reiten, weshalb ich auf jeden Fall eine Beschäftigung dort hatte. „Wie lang braucht es denn jetzt noch?" fragte ich. Durch das Schlafen hatte ich das Zeitgefühl komplett verloren. Papa sah auf seine Armbanduhr und meinte: „Noch so viereinhalb Stunden." Daraufhin lehnte wir beide uns wieder zurück. Ich lauschte wieder meiner Musik und bekam so kaum mit, was mein Vater neben mir tat. Die letzten Stunden verstrichen schneller als gedacht. Ich hatte Musik gehört und irgendwelche sinnlosen Spiele, wie zum Beispiel „Slither.io" gespielt. Doch nun ertönte schon wieder die Durchsage: „Sehr geehrte Gäste, wir werden in etwa zehn Minuten landen. Schnallen sie sich an und klappen die bitte ihre Sitze nach vorne." Ich kontrollierte nochmal, ob ich auch beides getan hatte, was aber glücklicher Weise der Fall war, denn schon spürte ich, wie wir sanken. Erneut spannte sich mein Körper an und ich kniff die Augen zusammen. Als ich endlich ein Ruckeln spürte und die Rollen aufgesetzt hatten, öffnete ich die Augen wieder. Wir kamen langsam zum Stehen und schon begannen die Leute, sich abzuschnallen, hektisch ihr Handgepäck zu suchen und sich durch den Gang zu drängen. „Bleib noch kurz sitzen, jetzt kommen wir sowieso nicht raus." Meinte Papa, als ich gerade aufstehen wollte. Er hatte Recht. Also sank ich wieder in den Sitz und wartete ungeduldig mit den Bändeln meines Hoodies spielend, darauf, dass endlich alle draußen waren. Als die Gänge weitgehend leer waren, schnappten auch wir uns unser Handgepäck und liefen an der Stewardess vorbei, auf den anderen Kontinent. Amerika. Viele meiner Freunde hatten mich beneidet. Ich meine, ich fuhr mitten in der Schulzeit nach Amerika auf eine Ranch mit Pferden, langen Ausritten und dem typischen Klischee. Das war jedenfalls ihre Vorstellung gewesen. Naja, ich werde ja sehen, ob die Klischees bestätigt werden oder nicht. Jetzt liefen wir jedoch erstmal zur Kofferabgabe.
Eine gefühlte Ewigkeit später kam mein grauer Metallkoffer, welcher schon mit Stickern von überall aus der Welt übersäht war, an. Auch die Reisetasche schnappte ich vom Gepäckband und legte sie mir über die Schulter. Als auch Papa seinen Koffer hatte, liefen wir wieder durch eine Flughafenhalle. „Holt uns eigentlich jemand ab?" fragte ich. „Maja, deine Tante und dein Onkel wohnen ja auch bei Opa. Ich denke entweder Sibille oder Jörg wird uns abholen, ja." Stimmt. Das hatte ich vollkommen vergessen. Nun liefen wir durch die riesige Tür nach draußen. Es war dunkel draußen. Die Zeitverschiebung hatte wir auf jeden Fall sehr gut mitgenommen. Hier war es gerade zwei Uhr nachts.
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Countryroads
Teen FictionIch verstand es, denn ich hätte wahrscheinlich genauso gehandelt. Trotzdem war ich wütend. Meine Mutter arbeitete bei einer Organisation, die Kindern in armen Ländern half, die Folgen des Krieges zu überwinden. Sie reiste schließlich selbst dorthin...