Ich trat aus dem Schatten des Vordaches und blieb unschlüssig und wartend auf dem Vorplatz stehen. Von drinnen hörte man Stimmen. Dann öffnete sich die Haustür und Dave und Noah kamen heraus. Der Blonde kniff kurz die Augen vor der grellen Morgensonne zusammen und kam dann auf mich zu. „Dein Vater kommt gleich, er klärt gerade noch irgendetwas mit deinem Opa." Ich nickte etwas verwundert. Was klärten sie? Dave stellte sich nun gegenüber von mir auf den roten Sand und meinte ernst: „Ihr fahrt schon. Ich kanns kaum glauben." Wieder nickte ich nur und wandte den Blick auf die Seite. „Ja, so ist das wohl. Aber ich hab' ja eure Nummern." Ich versuchte unbeschwert zu klingen. Noah kaufte es mir nicht ab, das merkte ich sofort, dennoch sah er mir nur in die Augen. „Willst du uns nicht umarmen? Ich dachte man macht das bei Abschieden so, vor allem als Mädchen." Dave grinste. „Stimmt." Auch ich lachte. Dann schloss ich Noah und Dave gleichzeitig in meine Arme. „Das ist kein Abschied okay? Das ist nur ein Auf Wiedersehen. Okay?" fragte ich gedämpft durch Noahs T-Shirt. Es roch vertraut. Ich erinnerte mich an alle gemeinsamen Momente, die wir hatten: Die Beerdigung meiner Oma, wie ich ihnen alles in Sachen Leo anvertraut hatte, unser kleines Abendteuer in den Bergen, die Bisonherde und die gemeinsamen Autofahrten. „Klar." Daves Stimme war etwas kratzig und rau, ich passte genau unter sein Kinn.
Nun stand ich hier, mitten in der morgendlichen Sonne und eingehüllt von den breiten Schultern meiner besten Freunde. Wie viel hatte ich meiner Mutter zu erzählen? Wie viel wollte ich meinen Freunden erzählen? Noah strich mir in einem großen Kreis über den Rücken und murmelte: „Wir kommen mal nach Deutschland. Dann zeigst du uns diese komischen Bezler und dein Zuhause." Ich kicherte leicht. „Brezeln meinst du. Ja, das machen wir mal. Das wäre schön." Wir traten aus der Umarmung zurück. Tränen schossen mir in die Augen. „Komm schon her!" diesmal umarmte ich Noah fest, innig und darauf bedacht, dass dies für eine lange Zeit nicht mehr gehen würde. Auch er hatte die Arme fest um mich geschlungen und seine Haare kitzelten an meiner Stirn. Schließlich fiel ich auch noch Dave in die Arme, ich spürte, wie er lächelt. „Versprecht ihr mir etwas?" Dave spürte meinen warmen Atmen auf seiner Haut, sogar durch das T-Shirt hindurch. „Klar, alles Maja." Ich löste mich. „Vergesst mich nie. Kommt entweder nach Europa oder ich komme nochmal her." Dave und Noah lachten. Sie lachten einfach. „Das ist doch klar Maja!" Ich war erleichtert. Die beiden hatte die Worte so ehrlich ausgesprochen, dass ich sicher war, dass sie ihr Versprechen halten würden.
Die Haustür öffnete sich erneut und Sibille, Jörg und Opa kamen hinaus. „Na dann..." mein Vater blickte mich mit einem Bist-du-bereit-Blick an. Fast unmerklich nickte ich. Opa hatte unsere Blicke entdeckt und kam auf mich zu. Er legte seine Arme um mich und auch ich klammerte mich an ihn. „Bleib so wie du bist, okay? Und stell keinen Unfug an." Es war ein gut gemeinter Befehl. Ich lächelte und nickte gegen seine Brust. Er löste sich von mir. Er blickte in mein gebräuntes Gesicht.
Sommersprossen hatten sich über meine Nase verteilt und meine braunen Augen schimmerten etwas orange. Ich sah in sein wettergegerbtes und altes Gesicht. Er hatte ein Lächeln auf den Lippen, welches aus dem tiefsten Inneren seines Herzens kam. Auch Sibille und Jörg verabschiedete ich mit einer Umarmung. Obwohl ich mich schon zwei Mal von den Jungs verabschiedet hatte, kamen beide nochmal auf mich zu. Das letzte Mal spürte ich ihre Körperwärme, weshalb ich es umso mehr genoss. „Bis blad." Murmelte ich und löste mich.
Ich hatte gar nicht mitbekommen wie Papa sich verabschiedet hatte, aber gerade schloss er den Kofferraum mit einem lauten Geräusch. „Ach, das hätte ich doch fast vergessen!" Ich hatte wahrlich gesehen, wie in Sibilles Kopf die Glühbirne aufgeleuchtet war. Aus ihrer Hosentasche zog sie etwas heraus. Sie streckte ihre Hand, welche die Papiere hielt nach mir aus und ich nahm sie verwundert entgegen. Ich drehte sie einmal um und augenblicklich brach ich in schallendes Gelächter aus. Es waren zwei Fotos. Eines von Dave, Noah und mir im Supermarkt, wo wir wie Idioten unsere Köpfe in Tiefkühltruhen hielten. Das andere war das Selfie, welches wir bei unserem Ausritt geschossen hatten. „Danke!" brachte ich unter meinem Lachkrampf hervor und umarmte Sibille kurz.
„Maja komm, sonst verpassen wir unseren Flug!" mein Papa rief mir die Zeit wieder ins Gedächtnis. Noch ein letztes, allgemeines „Bis bald!" brachte ich hervor, dann stieg ich ins Auto, welches Jörg uns extra geliehen hatte. Er selbst und auch Sibille hatten später noch einen Termin und Opa fuhr schon lang kein Auto mehr. Dave war es ja verboten und Noah war noch zu jung, weshalb wir allein fuhren.
Ich drückte auf den Knopf, welcher das Fenster herunterfahren ließ. Ich streckte die Hand hinaus und hoffte, dass man meine winkende Hand übers Autodach sehen konnte. Fast erschreckte ich mich zu Tode, als vor meinem Fenster der Blondschopf von Noah zum Vorschein kam. „Wir schreiben!" schrie er als wir schon losgefahren waren. „Natürlich!" bestätigte ich seine Aussage und blickte lächelnd auf meinen Unterarm, welcher als Zettel missbraucht wurde. Mein Kopf sank in die Stütze. Meine Lider schlossen sich von selbst und ich versank in dunklem und betäubendem Schlaf.
***Klein lou muss sich jetzt mental auf den Klassenausflug morgen vorbereiten... uff, vorletzter Schultag,
trotzdem liebe grüße, lou (:
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Countryroads
Teen FictionIch verstand es, denn ich hätte wahrscheinlich genauso gehandelt. Trotzdem war ich wütend. Meine Mutter arbeitete bei einer Organisation, die Kindern in armen Ländern half, die Folgen des Krieges zu überwinden. Sie reiste schließlich selbst dorthin...