FÜNFZEHN

109 10 0
                                    


Noah sah mich wieder stumm an. „Aber nicht bei Leo und Sofie vorbei! Bitte!" mir war eingefallen, dass man auch dort vorbeireiten könnte. „Klar. Machen wir, man muss dann einfach etwas weiter auf dem Grat reiten, das ist gar kein Problem." Meinte Dave zufrieden. „Maja, dir ist aber klar, dass du Leo nicht für immer aus dem Weg gehen kannst, oder?" fragte nun Noah. Noah war ähnlich wie ich, hatte ich das Gefühl. Nach außen war er immer fröhlich, glücklich und unbeschwert gewesen. Aber wenn man ihn ansah, zum Beispiel beim Abendessen, wirkte auch er manchmal mit den Gedanken abseits und ganz woanders. „Ich weiß." Ich wusste es, doch hoffte trotzdem, dass es ging. Vielleicht war es kindisch von mir, doch ich wusste einfach nicht was ich sonst tun sollte. Bei Dave und Noah konnte ich abschalten; sie waren für mich da, doch quetschten mich nicht aus oder stellten zu viele Fragen. Sie ließen mich reden, doch zwangen mich nicht. Sie waren zwei wunderbare Jungs. Perfekte Freunde füreinander, auch für mich. Ich konnte sie nicht beschreiben, sonst wäre mein Gehirn nur noch mit Adjektiven vollgestopft und das mit fast nur guten.

Wir hatten bereits den Hang erreicht und die Pferde liefen ihn gemächlich hinauf. „Was denkt ihr, bis wohin kommen wir heute?" ich wollte ein Gespräch anfangen, sonst würden die beiden noch denken, dass ich in Gedanken immer bei Leo wäre. „Ich würde schätzen, dass wir so gegen Mittag am Fuß der Berge angekommen sein müssten. Dave, was meinst du, schaffen wir es bis zu dieser Ebene? Da wo wir das letzte Mal gezeltet haben? Da wo diese ganzen Blumen wachsen?" Noah leitete die Frage an Dave weiter: „Ah, ja ich weiß was du meinst! Klar schaffen wir das. Das war damals so cool! Du musst wissen", Dave wandte sich an mich, „Wir haben auf der Ebene unter freiem Himmel geschlafen." Dave grinste beim Gedanken an ihre Erinnerungen. Ich konnte mir nur grob vorstellen, wie hier der Sternenhimmel aussehen musste. Einmal waren Papa, Mama und ich in Italien mitten in einem Gebirge gewesen. Dort war der Sternenhimmel gigantisch gewesen. Doch das war lang her, ich hatte damals erstmals verstanden, wie groß das Universum doch war.

„Wie sieht der Sternenhimmel hier aus?" fragte ich leise. Allein das gelbliche Gras, welches sich im Wind hin und her wiegte und das Klopfen der Hufe auf dem Erdboden waren zu hören. Noah fing an zu erzählen: „Ich warne Dave, er hasst es, wenn ich poetisch bin, also: In der Nacht ist der Himmel hier schwarz wie Tinte und die Sterne dafür umso heller. Es sieht aus, als hätte jemand goldene und weiße Farbe auf eine Zahnbürste getan, und hätte dann über den Himmel gespritzt. Man sieht die Milchstraße und unendliche Weiten. Ich meine es ernst, ich liebe das. Allein das ist einer der tausend Gründe, warum ich noch hier wohne." Am Ende lachte Noah etwas. Ich war so vertieft in seine kurze Beschreibung gewesen, dass ich gar nicht reagierte, sondern mir ein Bild vom nächtlichen Himmel ausmalte. „Na, heute Abend wirst du es ja sehen." Meinte Dave leichthin und zog am rechten Zügel, um sein Pferd nach rechts auf den Grat zu treiben. „Wie geht es dir?" Noah stellte diese Frage so unerwartet, dass ich mich an meinem eigenen Speichel verschluckte. „Oh! Ich- ähmm... gut? Denke ich." Es war übertrieben zu sagen, dass es mir gut ging, doch einfacher war es allemal. „Du lügst." Stellt Noah fest. Er hatte recht. „Ja." Es stimmte. „Erzähl uns die Wahrheit. Jetzt. Alles." Es war ein Befehl, keine Bitte. Er duldete keinen Widerspruch.

„Ich habe ein schlechtes Gewissen wegen Leo. Ich habe, seit ich hier bin, nicht mehr mit meiner Mutter gesprochen Ich vermisse sie. Ich vermisse mein Zuhause in Deutschland! Ich will nach Hause." Den letzten Satz flüsterte ich. Ich wollte nach Hause. „Maja, wenn du nach Hause willst, dann musst du das deinem Vater sagen!" Noah sah mich an. Ich wich seinem Blick aus und murmelte: „Ich weiß. Ich will einfach Leo nicht nochmal sehen. Aber ich will noch hierbleiben, für die Pferde und alle anderen. Wenn ich irgendwann weg bin, vergesst mich nicht, okay?"

„Niemals, wie sollten wir jemanden, mit so niedrigem IQ wie du vergessen?" Dave lachte.

„Dafür braucht man, wenn es hochkommt, zwanzig IQ. Dann liegst du unter zwanzig IQ. Herzlichen Glückwunsch für den dümmsten Menschen der Welt."

Den Satz, den Sofie einst zu Leo gesagt hatte hallte in meinem Kopf wider. Gedämpft hörte ich das Lachen von Dave und Noah. „Maja, das war ein Witz, das ist dir schon klar, oder?" Dave verlangte nach meiner Aufmerksamkeit. „Hm? Achso, klar. Ich war nur in Gedanken, sorry." Ich entschuldigte mich halbherzig. Dann herrschte Stille. „Tauschen wir Nummern aus?" fragte Noah nun. „Klar" meine Stimme war heiser und rau. Ich räusperte mich und folgte Dave, welcher inzwischen abgebogen war, den Hang hinab. „Noah, weißt du noch als du, Sofie, Leo und ich in Eastgras waren?" fragte Dave und machte langsamer, sodass wir nun zu dritt in einer Reihe ritten. „Ich weiß nicht, wir waren oft in Eastgras." Stellte Noah nüchtern fest und streckte seine Hand aus, um das hohe Gras zu streifen. „Nein, dieses eine Mal, als ich meinen Führerschein gemacht habe, weißt du's jetzt? Als wir fast das Auto geschrottet haben!" Noah lachte los. Da hatte ich wohl etwas verpasst... „Könntet ihr mich mal aufklären fragte ich, da ich auch mit lachen wollte. Das würde mir bestimmt guttun. Dann begann Dave mit einer Nacherzählung, welche wie aus dem Deutschunterricht war. Sie hätte mindestens eine 1+ mit Sternchen bekommen. Zuhause zumindest. 

Countryroads Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt