Eine relativ große und schlanke Frau stand etwas abseits. Freudig quietschte ich auf und rannte, den Koffer über den Asphalt schrammend auf meine Mutter zu. Sie erblickte mich und ihre Augen erhellten sich. Mama breitete die Arme aus und ich flog, ohne abzubremsen hinein. Sehnsucht, Freude und sogar Traurigkeit mischten sich in meinem Bauch zu einem Gefühl: Glück umgab mich und meine Mutter.
Ich hoffte, dass sie merkte, wie viele Gefühle ich in die Umarmung steckte. Sie hatte ihre Arme eng um mich geschlungen und ihren Kopf in meiner Schulter vergraben. Sie hielt mich an den Schultern ein Stück zurück und musterte mich. „Groß bist du geworden! Ich hab dich so vermisst!" und wieder umarmte sich mich. Als würde uns eine große, unsichtbare Blase umgeben, rauschten die Leute an uns vorbei.
Mama löste sich von mir. Papa und Mama umarmten sich mindestens genauso fest. Die beiden küssten sich und ich sah weg. Papa bemerkte das und lachte herzlich. „Da geht's schon wieder los mit der Peinlichkeit, nicht wahr?" er kniff mir in die Wange und grinste mich ironisch an. Ich griff nur seine Hand und zog ihn in Richtung Parkplatz. Mama nahm meine andere Hand und so liefen wir wie eine Familie aus dem Bilderbuch zum Auto. Ich hatte das Gefühl, als könnte ich jede Minute vor Müdigkeit umfallen. Im Auto war die Luft abgestanden, warm und stickig. Ich keuchte als ich die Tür öffnete. Hier, in Deutschland war es bereits Abend und die Luft war etwas kühler.
Ich setzte mich auf die Rückbank, Mama hinters Lenkrad und Papa ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. „Ich bin so müde." sprach ich meine vernebelten Gedanken aus. „Mama, kann ich dir morgen alles erzählen?" ich konnte mir nicht vorstellen wie anstrengend es wäre, jetzt noch einen Vortrag über meinen letzten Sommer in Amerika zu halten.
„Natürlich" meinte sich und bog gerade links ab, einen kleinen Hügel hinauf. Die Straßen sahen vertraut aus, vereinzelt liefen Menschen durch die Gegend und blaue Mülltonnen standen an den Straßenrändern. Es schien, als wäre morgen Abholung.
Die Fahrt bis zu unserem Reihenhaus dauerte nicht lange – nicht einmal zehn Minuten, schon hatte Mama unser babyblaues Auto in eine Parklücke gequetscht. „Gott, wie ich dieses hässliche Auto vermisst habe." meinte ich und tätschelte mit flacher Hand die Motorhaube. Es war ein Hochzeitsgeschenk für meine Eltern gewesen, damals als ich noch nicht mal in Planung war. Es hatte also beinahe schon zwanzig Jahre auf dem Buckel, aber es tat seinen Job. Das sagte Mama zumindest immer. Sie hing sehr an diesem Gefährt.
Ich drehte Mamas Schlüssel im Schloss herum und sperrte die Tür auf. Papa wuchtete gerade meinen Koffer die drei Stufen zur Haustür hoch und stellte ihn etwas achtlos in den Flur. Es roch vertraut.
Alles sah noch aus wie früher; Die kleine Schale, in der wir die Schlüssel aufhoben, in der jedoch mehr andere Sachen Zuflucht fanden, die Garderobe mit den unscheinbaren Jacken, die fast alle grau, schwarz oder olivgrün waren, die Briefe, die auf der Treppe lagen und das kleine eingerahmte Foto von mir, das im Flur hing.
„Hat sich ja nichts verändert." sprach Papa meine Gedanken aus und lief in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu füllen. „Na, komm, ab ins Bett!" die sanfte Stimme meiner Mutter holte mich aus den Träumen an mein weiches Bett und erinnerte mich an mein Vorhaben. „Gute Nacht." murmelte ich nur noch und lief die knarzende Treppe hinauf, in mein Zimmer. Kurz blieb ich überrascht im Türrahmen stehen, ich wusste selbst nicht warum, denn alles war, wie ich es zurückgelassen hatte:
Die Bettwäsche hatte eine andere Farbe als in Amerika. Hier war sie avokadogrün – genau wie ich sie zurückgelassen hatte.
Der Schreibtisch war genauso aufgeräumt, wie ich ihn zurückgelassen hatte.
Fotos von mir, mit Freunden, Landschaftsaufnahmen und von Eisbecher hingen immer noch an der Wand, genau wie ich es zurückgelassen hatte.
Ein Grinsen huschte über meine Lippen. Es war lange her.
Ich schlüpfte unter die Bettdecke. Meine Klamotten ließ ich einfach an, sie hätten ohne Probleme auch als Schlafanzug durchgehen können.
Bis bald, Dave und Noah, dachte ich. Hallo Zuhause, schloss sich meinen Gedanken an. Hallo Schlaf, war das letzte was mir durch den Kopf kroch.
***Yikes, genaueres im nächsten Kapitel!

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Countryroads
Teen FictionIch verstand es, denn ich hätte wahrscheinlich genauso gehandelt. Trotzdem war ich wütend. Meine Mutter arbeitete bei einer Organisation, die Kindern in armen Ländern half, die Folgen des Krieges zu überwinden. Sie reiste schließlich selbst dorthin...