In diesem Moment verwarf ich alle Zweifel, die ich je gehabt hatte. Dass ich am Anfang keine Lust hatte hierher zu kommen, dass hier niemand sein würde, mit dem ich mich verstehen könnte, dass einfach alles hier blöd sein würde.
Das hohe Gras wehte leicht im Wind, die Sonne schien wunderbar auf uns herab und man konnte in unendliche Weiten sehen. Im Osten erkannte man einen Mischwald und weit hinter der Ranch sogar einen kleinen See. Mein neues Zuhause lag eingebettet dort unten in der Senke, idyllisch und friedlich. „Wow. Krass." Mehr brachte ich nicht heraus. Ich war überwältigt. Gewiss, Deutschland war auch schön, aber dies war kein Vergleich.
Dave und Noah lachten, da ich immer noch starrte. „Dreh dich mal um, Maja. Hinter uns gibt es auch noch was zu sehen." Ich gehorchte und wendete Schoko. Tatsächlich. Weit weg graste eine Herde Bisons und am Horizont erahnte man eine Bergkette. Auf den Gipfeln der Steingiganten konnte man vereinzelte Schneefelder glitzern sehen. „Wie schön es hier ist." Brachte ich heraus. „Naja, für Stadtkinder aus Deutschland schon." Meinte Dave frech. Hätten wir jetzt nicht auf Pferden gesessen, hätte ich ihm wahrscheinlich eine geklatscht. Freundschaftlich versteht sich. Also versuchte ich ihn mit Blicken zu schlagen, was nicht so ganz klappte. „Was machen die Bisons da?" fragte ich an Noah gewandt. „Grasen." Meinte Noah. „Boah! Wollt ihr mich eigentlich beide verarschen?" fragte ich etwas genervt. „Nein, die Bisons ziehen jedes Jahr hier durch die Gegend. Wir gucken meistens nach Nachwuchs, kranken Tieren oder Wunden." Erklärte er nun richtig. Ich nickte dankbar.
Ich hätte noch ewig hier stehen können und in die Landschaft sehen können, doch schließlich knurrte mein Magen etwas und außerdem hatten wir heute ja auch noch anderes zu tun. Ich strich mir eine braune Haarsträhne aus dem Gesicht und sah abwechselnd Noah und Dave an, die anscheinend nur auf mich gewartet hatten. Die beiden hatten schon gedreht. Ich tat es ihnen gleich und meinte etwas belustigt: „Wir können los. Wollen wir galoppieren?" Noah antwortete: „Klar! Aber lass uns auf der Ebene galoppieren, wenn wir den Hang runtergaloppieren, passiert vielleicht noch was. Dafür machen wir unten auch ein Wettreiten." Dave und ich nickten und ritten im Schritt den Hang nach unten.
Als wir uns wieder auf ebenem Boden befanden, sah ich die Jungs an. „Bereit?" fragte ich. Noah und Dave nickten beide. „3...2...1!" schrie Noah und galoppierte los. Ich war zwar überrascht, ließ aber Schoko auch sofort starten. Schoko galoppierte weich, schnell und mit großen Schritten. Dave war kurz hinter mir, doch ich holte auf. Meine braunen Haare wehten im Wind, genau wie Schokos lange Mähne. Ich war kurz davor zu jauchzen, so viel Spaß machte es mir, mit Schoko durch die Wiesen zu galoppieren.
Mit etwa dreißig Metern Abstand zum Vorplatz hielt ich als erste an. Ich reckte die Arme in die Luft und meinte triumphierend und etwas spöttisch: „Und ihr sagt ihr könntet reiten!" Dave und Noah lachten nur, sie wussten, dass dieser Spruch nicht ernstgemeint war.
Ich nahm Schoko ihr Zaumzeug und Sattel ab und verstaute es sofort im Stall. Mit einem Halfter und einer Putzkiste kam ich zurück und machte mich direkt ans Werk. Noah und Dave taten es mir gleich. „Jetzt erzählt ihr mal was! Ich weiß nicht mal, wie alt ihr seid!" forderte ich sie auf. Ich reib Schokos Fell mit einer Hand voll Stroh ab. „Okay, also ich bin sechszehn, gehe aber nicht mehr zur Schule, weil ich eh nicht studieren will, sondern die Farm meiner Eltern übernehmen werde. Ich habe auch eine Schwester." Fing Dave an. Noah machte weiter: „Ich bin siebzehn, gehe aber noch zur Schule. Nicht mehr lang, nach diesen Ferien noch drei Wochen, dann hab ich meinen Abschluss." Ich kratze Schoko gerade die Hufe aus und löste danach den Strick. „Wie lang bleibt ihr eigentlich?" kam die Frage von Noah. Ich biss mir auf die Unterlippe und betrachtete meine Hände, welche den Führstrick umklammerten. „Ich- ich weiß es nicht genau." Gab ich nun zu. „Naja, wenn du bleibst, haben wir mal ein bisschen Abwechslung!" meinte Dave und führte sein Pferd hinter meinem durch die Stallgasse. Mit einem Quietschen öffnete ich die Boxentür und gab Schoko einen Klapps auf Po, sodass sie in die Box trottete. Möglichst leise schloss ich die Tür wieder und füllte frisches, duftendes Heu in das dafür vorgesehene Netz. Ein letztes Mal streichelte ich Schokos Schnauze und ließ sie dann allein. Zusammen mit Dave und Noah lief ich nun ins Haupthaus. Opa stand in der Küche und briet etwas in einer Pfanne an. „Drei ausgehungerte Jugendliche! Das nenne ich mal ein Timing! Die Bratkartoffeln sind gerade fertig." Gab er uns Beschied und trug die Pfanne auf den Tisch, wo er sie auf einen Untersetzer stellte. Meine Augen weiteten sich etwas. „Bratkartoffeln?" fragte ich. „Ich dachte ich mache mal was typisch Deutsches. Ich hoffe es schmeckt..." meinte er und sah etwas skeptisch in die Pfanne. „Ach was!" meinte ich zuversichtlich und schöpfte Noah und Dave eine ordentliche Portion. „Boah... Was für Menschen leben denn bitte in Deutschland?!" fragte Dave und sah fast schon angewidert auf seinen Teller. „Ich zum Beispiel!" erwiderte ich etwas verwirrt darüber, dass Bratkartoffeln abartig fand. „Jetzt probiere doch erstmal!" wies ihn mein Opa zurecht und schaufelte sich selbst einen großen Löffel in den Mund. „Oh! Das ist echt gut, Opa!" meinte ich überrascht, als ich probiert hatte. Auch Dave und Noah schienen doch ganz angetan und nahmen sich beide nochmal. Nach dem Mittagsessen lief ich die Treppe nach oben, um mich endlich meinem Koffer zu widmen. Zuerst jedoch sah ich kurz auf mein Handy. Auch wenn ich über zwanzig neue Nachrichten hatte, öffnete ich sofort Spotify. Ich stellte meine Playlist auf „shuffle" und machte mich ans Auspacken. Hoodies, Pullis und Langarmshirts landeten im ersten Fach, ins zweite wurden T-Shirts und kurze Hosen gesteckt, und Jeans, Schlafanzüge und Handtücher wanderten auf die unteren beiden Zwischenböden. In die Schubladen räumte ich Unterwäsche, Socken und Sportklamotten.
Die Arbeit war nicht so schlimm gewesen, wie ich es gedacht hatte. Es hatte nicht mal eine Viertelstunde gebraucht und ich beschloss, in den Stall zu gehen und ein paar Boxen auszumisten. Wenn ich schon nichts Richtiges zu tun hatte, konnte ich mich ja immerhin ein bisschen nützlich machen. Als ich durch die Tür nach draußen lief, empfing wieder die brutzelnde Sonne. Schnell schnappte ich mir eine Schubkarre und Mistgabel und fuhr direkt in die Stallgasse. Ich ließ die Schubkarre in der Mitte stehen und sah mir erstmal die Boxen an. Auf der linken Seite sahen alle aus, als wären erst gestern oder vorgestern frisch eingestreut worden. Auf der rechten Hälfte befanden sich zwei Boxen, die eine neue Einstreu dringend nötig hatten. So trieb ich den Rappen, welcher in Box 16 stand, durch die Hintertür auf die Weide. Ich begann mit der Mistgabel das gebrauchte Stroh, samt Pferdeäpfeln in die Schubkarre zu verfrachten. Bestimmt drei Mal fuhr ich zum Misthaufen, welcher sich links mit etwas Abstand zur Scheune befand. Dann, endlich, streute ich frisches Stroh in der Box aus, was Staubkörne auffliegen ließ, die man im Lichtstrahl, welcher durch das schlecht geputzte Fenster fiel, erkennen konnte.
Zufrieden mit meiner Arbeit lehnte ich mich an die Boxentür des Rappen. Einmal schnaufte ich noch durch, dann wiederholte ich exakt den gleichen Vorgang bei einem braun weiß gescheckten Pferd. „Puh!" meinte ich und sah stolz die zweite Box an. Wenn ich das jetzt jeden Tag machen würde, hätte ich bald Armmuskeln wie sonst was. Verschwitzt und mit verwuschelten Haaren kehrte ich zurück. Auf dem Sofa saß mein Vater und telefonierte gerade. Ich lief ohne Umwege ins Bad und nahm eine kurze Dusche. Danach fühlte ich mich schon wesentlich besser und lief wieder die Treppe nach unten. Jetzt saßen Noah und Dave am Esstisch, beide an ihren Handys. „Jungs, habt ihr Lust was zu spielen?" fragte ich die beiden. „Ja! Ich will mit der kleinen Maja fangen spielen!" meinte Noah, ohne von seinem Handy aufzuschauen. „Uno?" fragte ich. Der Blonde, Noah, erwiderte: „Ja ist okay. Ich glaube das Sofie heute noch mit ihrem Bruder kommen wollte. Aber bis dahin können wir ja noch spielen." Auch Noah gab sich jetzt geschlagen und setzte sich zu uns auf den Teppichboden vor dem Sofa. Ich teilte für jeden sieben Karten aus und wir fingen an zu spielen.
***So... ich hoffe euch gefällt die Geschichte. ich weiß, ich sage es echt zu oft, aber über Feedback freue ich mich unglaublich! Ab morgen habe ich fünf Tage schulfrei, das heißt es wird vielleicht wieder öfter etwas kommen.
bleibt gesund, lou (:
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Countryroads
Teen FictionIch verstand es, denn ich hätte wahrscheinlich genauso gehandelt. Trotzdem war ich wütend. Meine Mutter arbeitete bei einer Organisation, die Kindern in armen Ländern half, die Folgen des Krieges zu überwinden. Sie reiste schließlich selbst dorthin...