Davor, zuvor, Vergangenheit
„Nei, jeg kann ikke forstår det."
Ich werde von einer Sprache geweckt, die ich davor noch nie gehört habe. Nur die Stimme erkenne ich. Ich habe diese Person schonmal reden gehört. Erst nach ein paar Sekunden realisiere ich, dass diese Person, beziehungsweise der halbnackte gutaussehende Junge, der gestresst in meinem Zimmer auf und ab läuft, Finley ist. Mein Kopf, der langsam aber sicher anfängt zu arbeiten und einen Gedanken nach dem anderen produziert, pocht etwas von der frühen Anstrengung. Dennoch bekomme ich hin zu schlussfolgern, dass die fremde Sprache Norwegisch sein muss und sofort höre ich etwas genauer hin.
„Ja, selvfølgelig er jeg bekymret."
Finley hat noch nicht bemerkt, dass ich wach bin und spricht weiterhin mit sorgenvoller Stimme – sofern sich eine sorgenvolle Stimmlage im Norwegischen genauso anhört, wie im Deutschen – in sein Handy. Ob ich vielleicht lieber aus dem Zimmer gehen sollte? Irgendwie klingt es so als wäre Finley sehr aufgebracht über das, was ihm erzählt wurde und ich habe das Gefühl zu sehr in seine Privatsphäre einzudringen. Aber noch bevor ich mich entscheiden kann, ob ich das Zimmer verlassen möchte oder nicht, wirft Finley mir einen Blick zu. Er schaut mich an, sein Blick ist leer als wäre er nicht wirklich hier und mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Was wurde Finley erzählt? Denn unter diesem Blick traue ich mich nicht mal mehr, mich zu bewegen. Sogar ein Atemzug scheint zu gewagt. Zu groß ist meine Sorge um Finley. Zu groß die Sorge die Verbindung zu ihm zu verlieren, wenn er den Blick abwendet. Und so liege ich in meinem Bett, schaue Finley in die Augen und warte. Ich weiß nicht genau, worauf ich warte. Vielleicht darauf, dass Finleys Augen wieder leuchten, dass seine Lippen sich zu einem Lächeln verziehen, aber ich warte vergeblich.
„Se opp for ham og hilse på ham fra meg. Og Theo, ta deg av deg. Ja, jeg gjør det. Ha det bra. Jeg må legge på nå."
Finley nimmt langsam das Handy von seinem Ohr. Irgendetwas ist in ihm zerbrochen. Ich sehe es in seinen Augen, die plötzlich so stumpf wirken, aber auch seine Schultern lässt er hängen als könnte er die ganze Last, die schwer auf ihnen liegt, nicht mehr tragen. Nicht mehr ertragen. Doch noch bevor er weiter zerbrechen kann, schlage ich die Bettdecke zurück und stürze auf ihn zu. Ich habe schonmal eine Person, die ich liebe emotional zusammenbrechen sehen, aber es schmerzt immer wieder aufs Neue und so schleppe ich Finley mit schwerem Herzen zu meinem Bett und setze ihn auf der Kante ab. Ein Häufchen Elend hätte nicht bemitleidenswerten sein können. Zuerst bin ich doch etwas überfordert mit der Situation, aber dann nehme ich Finley vorsichtig in den Arm. Ich mache nicht mehr und nicht weniger und Finley nimmt meine klägliche Hilfe an. Er legt seinen Kopf in die Kuhle zwischen meinem Hals und der Schulter und lässt alles los. Es wirkt als würden all die Fassaden auf einmal in sich zusammenstürzen und was zum Vorschein kommt, ist ein verletzlicher und trauriger Finley. Ein Finley, der beginnt zu weinen. Ein Finley, der einfach eine Schulter zum Ausweinen braucht. Jemand der ihn festhält, damit er nicht in den Abgründen seiner selbst verschwindet.
Ich weiß nicht genau, wie lange wir schon hier sitzen. Die Zeit hat aufgehört zu existieren, ihr stetiger Fluss ist für einen Moment zum Stillstand gekommen und Finley hat geweint. Er hat getan wovor sich so viele Männer und Jungen fürchten. Nur jetzt sind seine Tränen versiegt, er hat geweint und jetzt hat er keine Tränen mehr. Seine geröteten, geschwollenen Augen sind die einzigen Spuren, die sein Zusammenbruch hinterlassen hat und aus genau diesen Augen schaut er mich jetzt an. Seine Miene drückt Dankbarkeit aus. In seinem Kopf sucht er nach den richtigen Worten. Ich lasse ihm seine Zeit, so wie ich sie ihm auch vorhin schon gelassen habe.
„Du fragst dich bestimmt, was mich so aus der Bahn geworfen hat."
Er spricht die Worte mit Bedacht, wählt jedes einzelne sorgfältig aus und er fährt fort, nachdem ich ihm mit einem leichten Nicken zu verstehen gegeben habe, dass ich für ihn da bin. Ihm zu höre, sofern er reden möchte.
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may i love him
Teen FictionIn Julies Augen sind alle Jungs gleich, und zwar gleich schrecklich. Doch als sie die Schule wechselt und am ersten Schultag dem norwegischen Austauschschüler Finley über den Weg läuft, ändert sich einiges. Sie beginnt ihre Abneigung gegenüber Jungs...