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Davor, zuvor, Vergangenheit

Eine schwere Stille hat sich über das kleine Badezimmer gelegt, nachdem Finley sich auf dem Badewannenrand und ich mich auf der Toilette niedergelassen habe, die sich gleich neben der Badewanne befindet. Unsere Beine berühren sich hin und wieder und diese Berührungen senden kleine wohlige Schauer durch meinen ganzen Körper. Aber ich brauche jetzt einen klaren Kopf. Also löse ich meinen Blick von Finley und schaue mich im Badezimmer um.

Es ist ein sauberes Badezimmer. Die weißen Oberflächen blitzen im kalten Licht der Deckenbeleuchtung und ein Geruch von Putzmittel hängt noch in der Luft. Alles in allem – es ist prinzipiell kein Ort, an dem man seine Beziehung zu einer Person neu festlegt und wenn man mich heute Morgen gefragt hätte, wo wir unser Gespräch führen werden, wäre das Badezimmer, der letzte Ort gewesen, den ich genannt hätte.

„Wir müssen vielleicht gar nicht re-...", setzte ich an.

„Ich habe mich wirklich blö-..."

Wieder einmal haben wir beide zur gleichen Zeit den Impuls eine schwere Stille zu beenden. Wieder einmal endet ist damit, dass wir uns gegenseitig unterbrechen und in ein verlegenes Lachen verfallen. Doch dieses Mal gebe ich Finley den Vortritt. Er hat lange genug warten müssen und die letzten Minuten sind die schlimmsten. Genau wie es bei einem 800-Meter-Lauf die letzten zehn Meter sind, die einen beinahe umbringen.

„Am Samstag. Ich denke, wir erinnern uns beide noch daran."

Er lässt seinen Blick durch das Badezimmer gleiten als würden dort zwischen den Handtüchern verborgen, die perfekt passenden Worte liegen. Dann fixiert er wieder mich, mustert mich und bleibt dann an meinen Augen hängen. Finley ist einer der wenigen Menschen, die ich kenne, die einem während einer Unterhaltung hin und wieder direkt in die Augen schauen, aber auf keine unangenehme Art. Es wirkt er so als würde er sicher gehen wollen, dass sein Gegenüber wieder auf das Gespräch konzertiert ist und wenn Finley einem in die Augen schaut, dann hört man ihm zu, gehört für diesen Moment nur ihm.

„Was ich am Samstag gesagt habe, habe ich auch so gemeint. Ich bin nach Deutschland gekommen, um die Kultur meiner Mutter eins zu eins kennenzulernen. Deutsch konnte ich schon, also wusste ich, dass das kein Problem sein würde und ich mich ganz auf das Schulsystem und die Bräuche konzentrieren kann. Aber da ich weiß, dass ich nach diesem Jahr wieder zurück nach Norwegen gehe, um meinen Schulabschluss dort zu machen, habe ich beschlossen keine Beziehungen einzugehen. Freundschaften sind natürlich ausgeschlossen und ich weiß auch, dass ich gar nicht wissen konnte, ob ich jemanden kennenlerne oder nicht, aber ich war mir sicher, dass ich mir und der anderen Person das nicht antun möchte. Doch dann hast du alles durcheinandergebracht."

Ich muss schmunzeln, aber zu gleich wird mein Blick glasiger. Was er erzählt, sollte einen eigentlich nicht zum Weinen bringen, aber irgendwie gehen meine Emotionen, die ich sonst immer unter Kontrolle habe, mit mir durch. Auch Finley lacht in sich hinein und schüttelt dabei den Kopf. Meine Tränen hat er noch nicht bemerkt, doch bevor es dazu kommt, wische ich sie mir schnell mit dem Handrücken weg. Dann erzählt er weiter.

„Ich habe dich auf dem Flur gesehen, wie du Frieda verteidigt hast, die du zu dem Zeitpunkt noch gar nicht kanntest. Wie du dich mit Evan angelegt hast, der mindestens zwei Köpfe größer ist als du. Und das an deinem ersten Schultag. Ich war so beeindruckt. Bis Evan seine Hand gehoben hat. Da konnte ich nicht mehr nur zusehen. Ich musste dir helfen und wie du mich dann angesehen hast. Als könntest du nicht glauben, dass ich real bin. Seit dem Moment wusste ich, dass ich einfach nicht anders kann. Ich wusste, dass ich unbedingt so viel Zeit wie möglich mit dir verbringen möchte."

Er macht eine kurze Pause, hebt den Kopf und schaut mich wieder direkt an. Jetzt bemerkt er meine geröteten Augen und die Tränen, die langsam über meine Wangen laufen. Sein Blick verändert sich schlagartig. Das Lächeln verschwindet und weicht einer besorgten Mine.

Ruhig beugt er sich zu mir, legt ganz sanft seine Hände an meine Wangen und mustert mich aufmerksam.

„Worauf ich eigentlich hinauswollt – du bist das Drama wert. Du bist es wert meine Versprechen an mich selbst zu brechen."

Finley blickt mich ernst an, mustert wieder mein Gesicht und über meine Wangen laufen wieder Tränen, die von seinen Händen abgefangen werden.

„Ich möchte dich nicht fragen, ob wir zusammen sein wollen, denn das ist blöd und irgendwie würde sich das so unreif anfühlen, aber du sollst wissen wie gerne ich dich habe und manche Fragen, muss man vielleicht einfach gar nicht aussprechen."

Seine Worte jagen Schauer durch meinen ganzen Körper. Er ist so viel mehr als Tom es jemals sein könnte. Kein einziges Mal hat er mich so angesehen, aber so viel mehr von mir verlangt.

Noch mehr Tränen lassen meinen Blick glasig werden und Finley legt sanft seine Lippen auf meine Wange. Küsst die Tränen. Lässt sie verschwinden und mit ihnen geht ein Teil der Last, die ich seit dem Vorfall mit mir rumtrage. Nicht die ganze Last. Nein, den Großteil werde ich mein Leben lang mit mir rumtragen, aber ein klitzekleiner Teil verschwindet durch Finleys Küsse.

Zart wie der Flügelschlag eines Schmetterlings ist der Kuss, den Finley auf meinen Mundwinkel platziert. Doch ich will mehr, schließe meine Augen und küsse ihn.

Dieser Kuss ist nicht so unschuldig wie der auf der letzten Party. Es fühlt sich anders an. Irgendwie intensiver und gleichzeitig vertraut. Als hätte ich diese Lippen schon unzählige Mal und noch nie zuvor geküsst, aber jedes Mal war es besonders.

Zaghaft lege ich meine Hände auf seiner Brust ab. Dann verändert sich der Kuss. So als hätte meine Berührung in Finley etwas entfacht. Er nimmt seine Hände von meinen Wangen, nur um mich im nächsten Moment an sich zu ziehen. Ich lasse mich auf seinen Schoß gleiten und er hält mich, passt auf, dass ich keinen Millimeter von ihm zurückweiche, er aber auch nicht in die Badewanne fällt.

Gerade als ich meinen Mund etwas öffne, um den Kuss intensiver werden zu lassen, wird die Badezimmertür aufgestoßen.

Finley und ich lösen uns etwas voneinander. Gerade so, dass ich einen Blick über meine Schulter werfen kann, um zu schauen, wer uns gestört hat.

Evan steht im Türrahmen mit einer Frieda in den Armen, die ganz und gar nicht gut aussieht. 

may i love himWo Geschichten leben. Entdecke jetzt